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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Berlin

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Berlin (Sehenswürdigkeiten; Verwaltung; Reichs- und Staatsbehörden).

denztheaters das französische Sittendrama. In dem Krollschen Etablissement herrscht im Winter die Posse, im Sommer die Oper vor. Konzerte von größerer Bedeutung sind diejenigen des königlichen Domchors, die Symphoniekonzerte der königlichen Kapelle, die Aufführungen der königlichen Hochschule für Musik, des philharmonischen Orchesters (Philharmonie) und der früher Bilseschen Kapelle (Konzerthaus). In den Sommergärten sind Symphonie- und Militärkonzerte äußerst zahlreich und mannigfaltig. Wirkliche Volksfeste gibt es dagegen nicht mehr; der einst berühmte Stralauer Fischzug ist zur völligen Bedeutungslosigkeit herabgesunken. Die Popularität, welche die Pferderennen von Tempelhof früher genossen, scheinen die Rennen in Charlottenburg wiederzuerlangen, während im Hoppegarten der weitern Entfernung wegen nur die bessern Gesellschaftsklassen vertreten sind. Dagegen haben ihre alte Anziehungskraft für hoch und niedrig die Frühjahrs- und Herbstparaden auf dem Tempelhofer Feld und die Hubertusjagd im Grunewald bewahrt. Die unternehmenden Besitzer der größern Vergnügungsetablissements, wie Tivoli, Eiskeller, und diejenigen in Treptow, Schöneberg, der Hasenheide wissen übrigens in ihren Veranstaltungen den mannigfaltigsten Ersatz für die alten Volksfeste zu bieten. Unter allen Vergnügungs- und Unterhaltungslokalen steht obenan der Zoologische Garten, der nach seiner Umwandlung im Jahr 1869 durch den Reichtum seines Inhalts, den Geschmack und die Pracht seiner Einrichtungen, namentlich des Raubtier-, Antilopen- und Elefantenhauses, den ersten Rang auf dem Kontinent einnimmt. Auch das Aquarium Unter den Linden ist eine der ersten Sehenswürdigkeiten der Stadt geworden. Der königliche Botanische Garten gehört zu den bedeutendsten seiner Art in Europa; sein großartiges Palmenhaus (von Glas und Eisen, 1856 erbaut), sein großes Winterhaus, das Haus der Victoria regia und viele Gewächshäuser bewahren die exotische Flora; sein ganzer bedeutender Raum ist zur Aufnahme von Gewächsen aller Erdteile eingerichtet und enthält etwa 20,000 Pflanzenspezies. Die Flora in Charlottenburg, nach dem Muster der Kölner Flora und des Frankfurter Palmenhauses, aber viel großartiger angelegt, mit sehr schönen Gartenanlagen und Palmenhaus, dient vorzüglich zu Konzerten und Sommernachtsbällen.

Verfassung. Behörden. Finanzen.

Seit 1. April 1881 ist B. auf Grund des § 1 der Gesetzgebung über die Organisation der allgemeinen Landesverwaltung vom 26. Juli 1880 aus der Provinz Brandenburg ausgeschieden und bildet einen Verwaltungsbezirk für sich. Doch sind das Oberpräsidium, das Konsistorium, das Provinzialschulkollegium und das Medizinalkollegium der Provinz Brandenburg auch für B. als höhere Instanz zuständig. Das Polizeipräsidium ist für B. die königliche, der Magistrat die städtische Behörde. Hinsichtlich militärischer Maßnahmen haben der Oberbefehlshaber in den Marken, der Gouverneur und der Kommandant von B. Anordnungen zu treffen. Das Polizeipräsidium steht direkt unter dem Ministerium des Innern und besteht aus sechs Abteilungen (I. Allgemeines, II. Gewerbe-, III. Bau-, IV. Kriminal- und Sicherheitspolizei, V. Paßbüreau, Gesindeamt etc., VI. Markt-, Fahrpolizei etc.). Es hat die eigentliche Polizei und die Aufsicht über Fremden-, Paß-, Fuhrwerks-, Dienstbotenwesen, Feuerwehr und sonstige zur Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung gehörige Anstalten. Dafür steht ihm die Schutzmannschaft zu Gebote, die, zu Fuß und beritten, die gesetzliche Ordnung zu überwachen hat. Diese besteht aus 1 Oberst, 13 Hauptleuten, 136 Polizeileutnants und Kriminalkommissaren, 294 Wachtmeistern und 2971 Schutzmännern. Der Magistrat (vollziehende Behörde für die Beschlüsse der Stadtverordneten) besteht aus einem Oberbürgermeister, einem Bürgermeister, 15 besoldeten (darunter 2 Syndiken, 2 Schul- und 2 Bauräte) und 17 unbesoldeten Stadträten. Die verschiedenen einzelnen Aufgaben dieser Behörde werden durch Direktionen, Deputationen, Kommissionen und Kuratorien verwaltet, welche aus Magistratsmitgliedern, Stadtverordneten und Bürgerdeputierten bestehen. Die Stadt ist in 326 Bezirke geteilt, deren jeder einen unbesoldeten Vorsteher hat; ferner schickt sie aus 4 Wahlbezirken 9 Abgeordnete in das Abgeordnetenhaus (der Oberbürgermeister ist Mitglied des Herrenhauses) und 6 Abgeordnete aus 6 Wahlkreisen in den deutschen Reichstag. Die Zahl der Stadtverordneten beträgt 126. Die Gerichtsbarkeit über alle Einwohner haben das Landgericht I und das einzige ihm unterstellte Amtsgericht I; das erstere hat 1 Präsidenten, 16 Direktoren, 71 Richter. Die Staatsanwaltschaft besteht aus einem ersten Staatsanwalt und 12 Staatsanwalten; das Amtsgericht I hat 98 Richter. Das dem Landgericht I übergeordnete Oberlandesgericht führt den Titel Kammergericht. Zu diesem gehören 9 Landgerichte, unter andern auch das Landgericht II in B., dem die 14 Amtsgerichte zu Altlandsberg, B. II (für die Umgebung Berlins), Bernau, Charlottenburg, Königs-Wusterhausen, Köpenick, Liebenwalde, Mittenwalde, Nauen, Oranienburg, Rixdorf, Spandau, Straußberg und Zossen unterstellt sind.

Finanzen. Entsprechend dem Wachstum der Stadt und ihrer Bevölkerung, ist auch das städtische Budget angeschwollen. Es betrugen in Millionen Mark im

Jahr Einnahmen Ausgaben Schuld

1830 2,2 2,1 12,3

1842 4,5 4,5 21,3

1860 11,8 10,5 15,1

1870 17,9 17,9 24,8

1880-81 39,1 39,1 116,6

Für das Finanzjahr 1885/86 ist der Stadt-Haushaltungsetat in Einnahme und Ausgabe auf 50,974,201 Mk. veranschlagt. Zu den Einnahmen liefert die Steuerverwaltung 27,254,835 Mk. An direkten Steuern erhebt die Stadt eine Haus-, eine Miets- und eine Gemeinde-Einkommensteuer, an indirekten eine Hunde- und eine Braumalzsteuer. Unter den Ausgaben erfordern:

^[Liste]

Bauverwaltung 10967756 Mark

Schulverwaltung 9942900 "

Kapital- und Schuldenverwaltung 8764161 "

Armenverwaltung 6022307 "

Verwaltungskosten 5144902 "

Polizeiverwaltung 2975266 "

Gesundheitspflege 2451195 "

Straßenbeleuchtung und -Reinigung 1716369 "

Die Gesamtschulden der Stadt beliefen sich 1. Jan 1885 auf 149,702,575 Mk. (darunter 19,892,894 Mk. auf die Gaswerke, 37,141,732 auf die Wasserwerke, 60,367,854 Mk. auf die Kanalisationswerke und die Rieselfelder, 12,259,099 Mk. auf Vieh- und Schlachthof, 7,860,000 Mk. auf die Markthallen). 12,180,996 Mk. sogen. Kämmereischulden sind zu verzinsen und zu amortisieren.

In B. haben außer Bundesrat und Reichstag folgende elf Reichsbehörden ihren Sitz: auswärtiges Amt, Reichsamt des Innern, Admiralität, Reichsjustizamt, Reichsschatzamt, Reichseisenbahnamt, Verwaltung des Reichsinvalidenfonds, Reichspostamt, Reichsamt