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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Berlin

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Berlin (Geschichte: 18. und 19. Jahrhundert).

liche Kosten großartige Seidenfabriken, Webereien und Druckereien für Kattun u. a. angelegt, während die schon 1751 vorhandene Porzellanmanufaktur eine bedeutende Erweiterung und Vervollkommnung erhielt. Zeitgemäße Reformen der städtischen Genossenschaften und Innungen unterstützten den Vertrieb der gesteigerten Produktion. Die Häuserzahl wuchs von 1750 bis 1786 um 510 massive und solide Baue, die Bevölkerung stieg bis nahe an 150,000. Dieser Zuwachs machte die Anlegung der Rosenthaler und Erweiterung der Stralauer Vorstadt nötig. Zur Verschönerung der Stadt trugen die beiden Türme auf dem Gendarmenmarkt bei, ferner die Marmorstandbilder der preußischen Helden Schwerin, Winterfeld, Keith und Seydlitz auf dem Wilhelmsplatz, wozu später 1797 von Schadows Hand noch die weit geschmackvollern des alten Dessauers und Zietens kamen, das Opernhaus, das Schauspielhaus und eine Menge andrer öffentlicher Bauten, so daß nun die Residenz auch in ihrem Äußern, namentlich in der Gegend der Linden, sich andern Hauptstädten Europas würdig zur Seite stellte. Damals war B. der Sammelplatz der französischen Schön- und Freigeister, eines d'Argens, Voltaire, Lamettrie u. a.; aber auch Lessing, Moses Mendelssohn, Ramler, Gleim, Engel hielten sich größtenteils in B. auf, der vielen als Schriftsteller ausgezeichneten Staatsmänner nicht zu gedenken. Die Akademie der Wissenschaften wurde nach französischem Zuschnitt umgeformt und für die königliche Bibliothek ein besonderes Gebäude errichtet. Von den unter Friedrich Wilhelm II. gemachten großen Ausgaben diente ein nicht unbedeutender Teil zur Verschönerung der Residenz. Namentlich ist das Brandenburger Thor hervorzuheben, über dessen Geschichte das S. 753 Gesagte zu vergleichen ist.

Während des letzten Dezenniums des 18. Jahrh. hob sich, begünstigt durch die französische Revolution, namentlich die Seidenzeugfabrikation in solchem Grade, daß B. den Bedarf für das nördliche Europa lieferte und durchschnittlich 4000 Stühle beschäftigte, welche Zahl später auf die noch immer bedeutende von 2000 herabsank. Auch die artistischen und litterarischen Verhältnisse der Stadt erlangten von Tag zu Tag eine größere Bedeutsamkeit. Anstalten wie die Tierarzneischule, die Artillerieakademie, das medizinische Friedrich-Wilhelms-Institut wirkten auf den gesamten Staat zurück. Noch größer wurden die Fortschritte Berlins seit dem Anfang des 19. Jahrh., und selbst die unglücklichen Kriegsschicksale von 1806 an vermochten sie nur auf kurze Zeit zu hemmen. Aber die Zeit der Schwäche und Erniedrigung brachte für B. zwei unschätzbare Kleinode, 1808 die Städteordnung und 1810 die Universität. Als Preußen sich 1813 gegen Frankreich erklärte, opferte B. freudig Gut und Blut zur Abschüttelung des fremden Joches. Mit Jubel empfing man im März die Russen. Beinahe wäre die Stadt später wieder eine Beute der Franzosen geworden, nur die glorreichen Siege bei Großbeeren und Dennewitz wendeten den unheildrohenden Besuch ab. Nach 1816 begann von neuem die Verschönerung Berlins durch Prachtgebäude und Denkmäler aller Art. Schinkel war es, dem die bedeutendsten Bauten der Stadt übertragen wurden. Sein erstes größeres Werk war das neue Schauspielhaus, das an Stelle des ältern abgebrannten 1819-1821 errichtet ward; dann folgten das Museum, die Königs- oder Neue Wache, die Schloßbrücke, die Werdersche Kirche, die Bauakademie, die bisherige Artillerie- und Ingenieurschule. Außer bei diesen Bauten ist aber Schinkels Einfluß noch bei vielen Privatgebäuden, Villen, den Restaurationen der prinzlichen Palais etc. sichtbar. In den Jahren 1834-36 entstand das Palais des jetzigen Kaisers Wilhelm unter Leitung des Oberbaurats Langhans. Eine andre Verschönerung der Stadt unter Friedrich Wilhelm III war die Aufstellung der Standbilder Blüchers, Scharnhorsts und Bülows nach Rauchs Modellen (1822-26) am Opernhausplatz, und der König schloß eben seine Augen, als der Grundstein zum Friedrichsdenkmal gelegt worden war. Wie Schinkel in der Baukunst, so war es Rauch, dessen Name sich an diese großen Monumente knüpft. Für die Umgegend der Stadt wurde von dem nicht minder berühmten Gartenbaudirektor Lenné der Tiergarten gänzlich in einen englischen Park umgewandelt. Die erste Eisenbahn von B. nach Potsdam datiert ebenfalls aus dieser Regierung (eröffnet 29. Okt. 1838).

In gleicher Weise und mit eignem großen Kunstsinn hat Friedrich Wilhelm IV. gewirkt; unter seiner Regierung entstanden das neue Opernhaus, das Neue Museum, das Krollsche Gebäude am jetzigen Königsplatz, viele Kirchen und Kapellen, Bethanien, das katholische Hedwigskrankenhaus, die Kaserne auf der Chausseestraße, die Ulanenkaserne zu Moabit, das Zellengefängnis ebendaselbst; ferner wurden die Friedenssäule auf dem Belle-Allianceplatz, die Standbilder Yorks und Gneisenaus am Opernplatz, Thaers an der Bauakademie, das Denkmal Friedrich Wilhelms III., endlich das großartige Reiterdenkmal des großen Königs vollendet und eingeweiht; das National-Kriegerdenkmal im Invalidenpark ist das letzte Werk dieser Art. Ganz neue Stadtviertel sind seitdem errichtet worden, die Friedrich-Wilhelmsstadt und die Friedrichsvorstadt schlossen die zwölf historischen Bestandteile der Stadt ab, so, wie sie mit ihren 458,000 Einw. Ende 1858 bestand. Unter dem jetzt regierenden Kaiser Wilhelm ist B. durch die Aufnahme eines großen Teils der Vorstädte in seine Mauern (die weggerissen worden sind) bedeutend vergrößert und durch zahlreiche Prachtbauten (besonders während der 70er Jahre), ferner die Zuschüttung der alten Festungsgräben sowie den Bau der Stadtbahn in seinem Aussehen völlig umgestaltet worden. Die neueste Entwickelung Berlins ist in die Darstellung seiner heutigen Erscheinung (s. oben) verwoben worden, worauf daher hier verwiesen werden muß. Seine neueste Geschichte läßt sich nicht von der des preußischen Staats trennen. Doch verdient, abgesehen davon, daß B. 1871 auch Hauptstadt des Deutschen Reichs wurde, Erwähnung, daß in B. 13. Juli 1878 der Berliner Friede (s. Berliner Kongreß) unterzeichnet wurde, welcher die politischen Verhältnisse der griechischen Halbinsel und in Armenien neu ordnete. Vom November 1884 bis Ende Februar 1885 tagte daselbst die Konferenz über die Congofrage (s. Congokonferenz).

Litteratur: "Berlin und seine Entwickelung. Städtisches Jahrbuch für Volkswirtschaft und Statistik" (seit 1867; seit 1874 u. d. T.: "Statistisches Jahrbuch der Stadt B.", hrsg. von R. Böckh); Böckh, Die Bevölkerungs- und Wohnungsaufnahme vom 1. Dez. 1880 in der Stadt B., Heft 1 (Berl. 1883); Derselbe, Die Bewegung der Bevölkerung der Stadt B. in den Jahren 1869-78 (das. 1884); "Verwaltungsbericht des königlichen Polizeipräsidiums von B. für die Jahre 1871-80" (das. 1882), über die Gemeindeverwaltung der Stadt B. von 1861 bis 1876 (das. 1881), derselbe von 1877 bis 1881 (das. 1884); Reuter, Das militärische B. (das. 1873); Rigler, Das medizinische B. (das. 1873); "B. und seine Bau-^[folgende Seite]