Schnellsuche:

Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Bevölkerung

852

Bevölkerung (Übervölkerung, Verteilung der Geschlechter).

Es kamen auf 1 qkm Einwohner in

Belgien (1883) 194

Niederlande (1880) 123

Großbritann. u. Irl. (1881) 112

Italien (1879) 96

Deutsches Reich (1880) 84

Frankreich (1881) 71

Schweiz (1880) 69

Österreich-Ungarn (1880) 61

Dänemark (1880) 51

Portugal (1878) 48

Rumänien (1878) 41

Serbien (1879) 34

Spanien (1878) 33

Griechenland (1879) 33

Europäische Türkei 26

Europäisches Rußland 14

Schweden (1879) 10

Norwegen (1875) 6

Europa 33

Mitteleuropa 80

Amerika 3

Australien 0,4

Asien 19

Afrika 7

Ausführlichere Angaben enthält die unsrer Karte beigegebene Tabelle.

Eine große Dichtigkeit der B. ist im allgemeinen möglich bei großer Fruchtbarkeit des Landes, einfachen Bedürfnissen der B. (Java), intensiver Bodenwirtschaft (China, Lombardei), hoher Entwickelung des Verkehrswesens und der Industrie (England, Belgien, Sachsen) etc. Sie kann aber auch entstehen, ohne daß das Gebiet, auf welchem sie sich befindet, ausreichende Unterhaltsmittel für dieselbe zu liefern vermag. Wie eine große Stadt ihre Nährmittel aus einem großen Umkreis bezieht, ohne dieselben immer direkt durch Gegenleistungen aus dem Gebiet von Handel und Industrie zu vergüten (Rentner, Beamte, persönliche Dienstleistungen etc.), so kann auch die B. eines größern Landes sich erhalten, ohne gerade auf dem Boden, auf welchem sie lebt, alle Vorbedingungen einer dauernden Existenz zu finden, sei es, daß ihr der Zwischenhandel genügenden Erwerb verschafft, oder daß ihr Kolonialländer mit oder ohne Vergeltung die nötigen Mittel liefern (Verzehrung von in der Kolonie durch Industrie, Handel oder in öffentlichen Stellungen erworbenem Vermögen, Tribute etc.), oder daß ihr das Ausland Zinsen zu zahlen hat. Es kann aber auch eine sehr dichte B. die Folge von leichtfertiger Eheschließung und Kinderzeugung sein. Fehlt es in einem solchen Fall an genügender wirtschaftlicher Rührigkeit und Thatkraft, so bildet sich eine Übervölkerung. Ganz allgemein spricht man von Übervölkerung, wenn das eigne Wohngebiet nicht die genügenden Nährmittel liefern kann. Da aber auch in einem solchen Fall eine sehr dichte B. nicht allein dauernd ihren Unterhalt finden, sondern selbst in Wohlstand leben kann, so bezeichnet man als Übervölkerung im engern und eigentlichen Sinn eine solche B., welche so dicht ist, daß ein Teil derselben keine Gelegenheit zu genügendem Erwerb zu finden vermag. Allgemeine Symptome derselben sind eine verhältnismäßig große Zahl von Armen, von Auswanderungen, Vergehen gegen das Eigentum etc. Nun ist der Spielraum der Ernährungsmöglichkeit ein verschiedener je nach natürlichen Verhältnissen, nach dem Stande der Kultur und des Verkehrs. Hiernach ist der Begriff der Übervölkerung ein durchaus relativer. Sind bei ungünstigem Klima, bei ungünstiger Lage und Beschaffenheit des Bodens (Gebirgsland, Wüste), bei geringer Entwickelung von Transport und Handel, von industrieller und landwirtschaftlicher Technik (Jägervölker, Nomadentum) nur wenig Menschen auf gegebener Fläche sich zu ernähren im stande, so kann auf gleichgroßer Fläche unter den entgegengesetzten Verhältnissen eine sehr dichte B. allenfalls einen reichlichen Unterhalt finden (fruchtbare Ebene, Flußniederung, lebhafter Handel, industrielle Blüte). Eine gewisse Dichtigkeit der B. mit städtischen Zentralpunkten ist allerdings Vorbedingung für Entwickelung der Kultur; bei zu dünner B., möge sie unter günstigen oder ungünstigen natürlichen Verhältnissen leben, können wichtige geistige und wirtschaftliche Kräfte überhaupt nicht zur Ausbildung kommen. Innerhalb gewisser Grenzen ist daher auch die Dichtigkeit der B. ein Maßstab für die Kulturhöhe derselben. Bei Vergleichung der Dichtigkeit der B. verschiedener Ländergebiete ist selbstverständlich auf die Beschaffenheit des Wohnraums und auf die Art der auf demselben gebotenen Erwerbsbedingungen Rücksicht zu nehmen. Die Zahlen an und für sich, insbesondere Durchschnittszahlen aus großen Ländern, gewähren zur Vergleichung kein richtiges Bild. Bei Ländern mit großen unbewohnbaren Flächen ergibt leicht die Durchschnittszahl ein zu ungünstiges, die Betrachtung von Stadtgebieten (London, Paris, Insel Malta), welche in engster Beziehung zu einem größern Hinterland stehen und mit demselben ein wirtschaftliches Ganze bilden, ein zu günstiges Bild. Im übrigen ist bei Betrachtung der Dichtigkeit einer B. immer der Zweck im Auge zu behalten, für welchen Vergleichungen vorgenommen werden (verwaltungsrechtliche, politische, Einfluß des Zusammenlebens auf Stand der Moral, der Bildung, der Vermögensverteilung, wirtschaftliche, politische Kraft etc.).

Geschlechter, Familienstand, Wohnplätze etc.

Die Verteilung der Geschlechter, welche für wichtige Kulturfragen, wie Ehe, Arbeitskraft des Volkes etc., von Bedeutung ist, weist eine in den meisten Ländern wiederkehrende, noch nicht genügend erklärte Erscheinung auf. Schon seit Süßmilch beobachtete man bei den Geburten ein Übergewicht des männlichen Geschlechts über das weibliche. So kamen (meist für den Durchschnitt der Jahre 1865-78) auf je 100 Mädchen 111 Knaben in Serbien, 106 in Österreich, Schottland, Irland, Schweden, Norwegen, 105 in Sachsen, Thüringen, Rußland, Rumänien, 104 in Deutschland, Preußen, England, Italien, Dänemark, Ungarn, Spanien, 103 in Bayern, Baden, Frankreich, Finnland, 102 in Württemberg, Belgien, Niederlande; unter 100 stellte sich die Zahl in der Schweiz mit 99, in Griechenland mit 94. Im Verlauf längerer Zeit fand man für etwa 200 Mill. Geburten das Verhältnis 106:100. Diese Erscheinung suchten der Engländer Sadler, der Tübinger Professor Hofacker ("Über Eigenschaften, welche sich bei Menschen und Tieren vererben", Tübing. 1828), in der neuern Zeit Göhlert ("Statistische Untersuchungen über die Ehen", Wien 1870) mit dem Altersvorsprung des Vaters vor der Mutter und dessen Maß zu erklären; doch ist die Richtigkeit dieser sogen. Hofacker-Sadlerschen Hypothese, welche sich auf die Untersuchung einer begrenzten Zahl von Ehen stützte, in der neuern Zeit in Zweifel gezogen worden. Mit wachsendem Alter tritt nun das umgekehrte Verhältnis ein. Das männliche Geschlecht weist eine größere Zahl von Früh- und Totgeburten und eine größere Kindersterblichkeit auf. Dazu kommt später der Einfluß der männlichen Beschäftigungen (aufreibende Unternehmungen, gefährliche Gewerbe, Kriege), von Trunksucht, Ausschweifungen, Auswanderungen etc., während die Sterblichkeit des weiblichen Geschlechts mit seinem regelmäßigen Leben trotz der Entbindungsgefahren auch in höherm Alter eine geringere ist. So kamen auf 1000 männliche Personen weibliche

in den Altersklassen Deutschland Österreich Frankreich England und Wales

unter 15 Jahren 997 1007 971 997

von 15 bis 70 Jahren 1054 1061 1015 1082

über 70 Jahre 1132 988 1134 1222

überhaupt 1036 1041 1008 1054