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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Bevölkerungspolitik - Bewässerung.

ventive, indem sie die Entstehung einer größern B. verhüten (Erwägungen der Sittlichkeit oder Klugheit, Vorsicht in der Eheschließung, späteres Heiraten, geringere eheliche Fruchtbarkeit, unnatürliche Laster, Prostitution, geschlechtliche Ausschweifungen), oder repressive, indem sie eine bereits vorhandene B. vermindern (Auswanderung, Krieg, Mangel, Elend, Krankheit, Fruchtabtreibung, Kindertötung, Kinderaussetzen). Die repressiven Hemmnisse machen sich in erster Linie bei den schwächern Elementen der Gesellschaft geltend, insbesondere bei den Kindern der Armen, deren Sterblichkeit durch Mangel an Nahrung und Pflege erhöht wird. Den Wirkungen derselben soll aber der Mensch durch sittlich-vernünftiges Verhalten vorbeugen, wobei Malthus auch der Anschauung Raum gibt, daß in diesem Fall auch die Lage der untern Klassen sich verbessere.

In der neuern Zeit wurde die Lehre von Malthus unter dem Titel "Neumalthusianismus" in eigenartiger Weise von einer Gesellschaft, der Malthusian League, vertreten, welche im Interesse der Erleichterung für Eltern und Volk (Last des Haushalts, kleine Erbteile bei großer Kinderzahl) bewußte Beschränkung der Kinderzahl in der Ehe durch präventiven Geschlechterverkehr (Zweikindersystem) predigt, ohne jedoch zu bedenken, daß ihre Lehren gerade bei dem Teil der B. unwirksam sind, von welchem die eigentliche Volksvermehrung ausgeht, bei den untern Klassen, während uns von seiten des besser situierten Teils nie eine eigentliche Übervölkerung droht. Eine Bevölkerungspolitik, welche auf Wachstum der B. bedacht ist und durch verkehrte Maßregeln (falsche Armenpflege) leicht nur zur Entstehung einer unselbständigen, krankhaften B. (Proletariat) Veranlassung gibt, wird von Malthus als unnütz und schädlich verworfen. Die Natur sorge schon von selbst für eine genügende B. Darum solle der Staat nur gegen drohende Übervölkerung einschreiten durch Beschränkung leichtsinniger Eheschließungen, vernünftige Armengesetze etc., welchen Forderungen die praktische Politik durch verschiedene Beschränkungen auch vielfach entsprochen hatte (Heiratserschwerung durch Verpflichtung zum Nachweis genügender Erwerbsfähigkeit, durch Festsetzung eines hoch gegriffenen Normaljahrs, Förderung der Auswanderung etc.). Die gegen Malthus erhobenen Einwendungen waren meist verfehlt. Die optimistisch-utilitaristische Weltanschauung der Theologen begnügte sich mit dem Hinweis auf das biblische Wort: "Seid fruchtbar und mehret euch"; Sozialisten vermeinten, eine bessere Organisation der Gesellschaft werde auch schon alle nötigen Existenzmittel liefern, eine optimistische und unerwiesene Behauptung, welche erst in der Ansicht eine beachtenswerte Stütze erhielt, eine Zügelung in der Volksvermehrung trete ohne Mitwirkung des menschlichen Willens von selbst durch ein Naturgesetz ein, da die Fruchtbarkeit der Menschen um so mehr abnehme, je besser sie sich nährten (Doubleday, Sadler), bez. da die Entwickelung des Nervensystems und der geistigen Thätigkeit im umgekehrten Verhältnis zur Fortpflanzungsfähigkeit stände und die Menschen sich um so weniger vermehrten, je mehr sie sich geistig entwickelten (Carey, Spencer). Die Richtigkeit dieser Theorien bedarf jedoch noch der Bestätigung, während die Hauptzüge der Malthusschen Bevölkerungslehre mit den nötigen Verbesserungen, wie sie Psychologie und Statistik an die Hand geben, allgemein anerkannt sind. Nicht so die Folgerungen, welche Malthus aus seiner Lehre für die praktische Politik gezogen hat. Die Frage, woran eine wirklich bedenkliche Übervölkerung zu erkennen (intensiver Bodenbau, Auswanderung, hohe Preise der Lebensmittel sind hierfür keine zureichenden Symptome), und wie ihr zu begegnen, ist überhaupt keine so einfache. Kann auch durch wirtschaftliche und soziale Mißstände sich eine örtliche Übervölkerung mit Massenarmut bilden, so ist dieselbe doch meist nur von temporärer Bedeutung. Änderungen in der Technik (Industrie, Landwirtschaft, Transportwesen) und in der Rechtsordnung können leicht wieder für eine größere B. Raum schaffen oder eine angemessene örtliche Ausgleichung ermöglichen, ohne daß es neomalthusianischer Rezepte bedarf. Dazu kommt, daß bis zu einer gewissen veränderlichen Grenze die zunehmende Dichtigkeit der B. selbst Bedingung für Mehrung der Unterhaltsmittel ist. Auch zeigt die Wirklichkeit, daß bei gesitteten Völkern keineswegs eine Steigerung des Wohlstandes eine solche Volksvermehrung hervorzurufen pflegt, daß die wirtschaftliche Lage wieder auf den alten Stand herabgedrückt wird. Alle Spekulationen auf dem gedachten Gebiet sind darum eitel, weil man nicht im stande ist, zu ermessen, welche B. etwa eine den Verhältnissen der Zukunft entsprechende ist, und weil überdies die Erde noch so viel Raum für Besiedelung bietet, daß wenigstens praktisch die Angst vor Übervölkerung illusorisch ist. Die Thätigkeit des Staats wird sich im wesentlichen auf Regelung von Versorgungspflichten, Versicherungswesen, Armenpflege, Medizinal-, Sittenpolizei, Auswanderung und Kolonisation zu beschränken haben, dann überhaupt auf Hebung der Gesamtwohlfahrt. Im übrigen aber werden Gesittung und wirtschaftlicher Trieb der Gesellschaft das Meiste und Beste thun müssen, indem das Anpassen der B. an die jeweilen produzierbare Menge von Nahrungsmitteln wenn auch teils unter fortwährenden und damit weniger fühlbaren Einschränkungen, so doch auch teils ohne eigentlichen Druck stattfindet. Vgl. außer den oben (S. 851) angeführten Werken namentlich Malthus, An inquiry into the principles of population (Lond. 1798, 7. Aufl. 1872; deutsch, Berl. 1878); Garnier, Du principe de population (2. Aufl., Par. 1885); Sadler, The law of population (Lond. 1830); Doubleday, The true law of population (2. Aufl., das. 1854); Alison, The principles of population (das. 1840, 2 Bde.); Spencer, Theory of population (das. 1852); Guillard, Éléments de statistique humaine, etc. (Par. 1855); Gerstner, Bevölkerungslehre (Würzb. 1864); Schmoller, Die Resultate der Bevölkerungsstatistik (Berl. 1870); Kautsky, Der Einfluß der Volksvermehrung auf den Fortschritt der Gesellschaft (Wien 1880).

Bevölkerungspolitik, s. Bevölkerung, S. 851.

Bevölkerungsstatistik, s. Bevölkerung, S. 851, und Statistik.

Bevollmächtigte, Personen, denen andre den ausdrücklichen Auftrag (die Gewalt, volle Macht) erteilt haben, ein Geschäft für sie oder in ihrem Namen zu vollziehen; s. Mandat.

Bevollmächtigter Minister, s. Gesandter. ^[richtig: Gesandte.]

Bewaffnung, s. Waffen.

Bewaldungsziffer, das Verhältnis der Waldfläche zur Gesamtfläche eines Landes, ausgedrückt in Prozenten von der letztern. Über die Bewaldungsziffern der Länder von Europa s. Wald.

Bewässerung (Begießen, Bespritzen), das Verfahren, wodurch Äckern, Gärten und Wiesen das zum bessern Gedeihen der Pflanzen nötige Wasser auf künstliche Weise zugeführt wird. In gemäßigten Klimaten werden in der Regel nur die Gärten und