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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Blut

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Blut (Blutkörperchen).

gelb, mehrfach übereinander geschichtet aber rot. Von oben gesehen, erscheinen sie als runde Scheiben (Fig. a 1), welche in der Mitte ihrer Oberfläche eine Vertiefung zeigen und von einem dickern Rand umgeben sind. Von der Kante gesehen (Fig. a 2), erscheinen sie biskuitförmig, woraus ihre bikonkave Gestalt erkannt ist. Im mikroskopischen Präparat findet man zahlreiche geldrollenähnliche Aggregate von Blutscheiben (Fig. a 3). In der Gestalt der roten Scheiben sind zwei mechanische Grundformen repräsentiert, nämlich diejenige der Scheibe und die des Ringes. Letztere tritt uns in der Peripherie entgegen. Diese Kombination ist die denkbar günstigste, um bei Anwendung einer möglichst geringen Masse eine große Oberfläche und zugleich eine bedeutende Festigkeit zu erzielen.

Die roten Blutkörperchen sind im frischen Zustand außerordentlich geschmeidig und beweglich und deshalb im stande, schon bei sehr mäßigem Druck Öffnungen zu passieren, welche geringern Durchmesser als sie selbst haben. So ist man z. B. nicht im stande, die Blutscheiben durch Filtration mittels Fließpapiers von dem Plasma zu trennen; die frischen Blutkörperchen vermögen vielmehr selbst die engen Poren des Papiers zu passieren. Hat man aber die Körperchen durch Glaubersalzlösung gehärtet, so bleiben sie jetzt auf dem Filter zurück, und es fließt ein fast farbloses Filtrat ab. Neben der großen Geschmeidigkeit kommt den frischen Blutkörperchen eine bedeutende Elastizität zu, vermöge deren sie sofort in ihre alte Form zurückkehren, sobald sie durch Schleudern gegen die Gefäßwand oder beim Durchpressen durch die Kapillaren die absonderlichsten Gestalten angenommen haben.

Die Blutscheiben enthalten einen roten Farbstoff, das Hämoglobin (s. d.), welcher für die Atmung von außerordentlicher Bedeutung ist. Diesen Farbstoff vermag man von den Körperchen zu trennen; er tritt dabei in das Plasma über und färbt dieses rot. Bei dieser Trennung verliert das B. seine undurchsichtige Beschaffenheit, es hört auf, Deckfarbe zu sein, und wird durchsichtig und lackfarbig. Eine derartige Beschaffenheit erhält das B. beim Erwärmen auf 60°, beim öftern Gefrierenlassen und Auftauen, beim Verdünnen mit Wasser, beim Versetzen mit Galle oder Gallensäuren, mit Äther, Alkohol, Chloroform, Schwefelkohlenstoff und auf zahlreiche andre Arten. Der rote Farbstoff, das Hämoglobin, ist ein kristallisierbarer und eisenhaltiger Eiweißkörper, dessen Kristalle zu den prachtvollsten Gebilden der organischen Chemie zählen. Sie sind in Wasser, leichter noch in schwach alkalischen Flüssigkeiten löslich. Diese Lösungen zersetzen sich nach einigen Tagen, besonders in der Wärme, und erscheinen dann bei auffallendem Licht schmutzig braunrot, bei durchfallendem Licht aber grün. Das Hämoglobin, dem überhaupt nur eine sehr geringe Beständigkeit zukommt, zerfällt hierbei in Eiweißkörper und Hämatin, einen Farbstoff, dem man sehr häufig in alten Blutextravasaten begegnet.

Das Hämoglobin verbindet sich mit Sauerstoff außerordentlich leicht (1 g Hämoglobin vermag 1,2-1,3 ccm Sauerstoff aufzunehmen) und bildet Oxyhämoglobin, dessen Lösung zinnoberrot ist, während die des Hämoglobins dunkel kirschbraun erscheint. Die Verschiedenheiten in der Farbe zwischen arteriell und venösem B. sind auf einen größern Gehalt des erstern an Oxyhämoglobin zurückzuführen. Die Aufnahme des Sauerstoffs ist innerhalb weiter Grenzen vom Luftdruck abhängig, denn erst bei einem Absinken desselben jenseit 30 mm Quecksilber verliert das Oxyhämoglobin merkliche Mengen von Sauerstoff. An leicht oxydierbare Körper hingegen gibt es den Sauerstoff schnell ab.

Außer dem Hämoglobin enthalten die Blutscheiben noch Eiweißkörper, geringe Mengen von Lecithin und Cholesterin, mineralische Bestandteile und Wasser. Hinsichtlich der Salze zeigt sich ein großer Unterschied zwischen Blutkörperchen und Blutflüssigkeit. Während nämlich letztere sehr reich an Chlor und Natrium ist, kommen diese Stoffe den Blutscheiben kaum zu, und man trifft in diesen große Quantitäten von Kalium und Phosphorsäure an, Stoffe, welche die Blutflüssigkeit nur in sehr geringer Menge enthält.

Die farblosen Blutkörperchen (weiße Blutkörperchen, Lymphkörperchen, Wanderzellen, Leukocyten, Fig. f g) wurden 1770 von Hewson entdeckt. Sie bestehen aus leicht beweglichen Protoplasmamassen, die in den verschiedensten Gestalten erscheinen, und denen nur im Zustand starker Reizung oder nach dem Absterben eine bestimmte Form, die sphärische, zugeschrieben werden kann. Die Gebilde sind ohne jede Umhüllungshaut und bergen in ihrem Innern einen, mitunter auch mehrere Kerne und zahlreiche kleine, stark lichtbrechende Körnchen. Ihre Größe schwankt innerhalb weiter Grenzen, doch sind sie im B. der Säugetiere fast stets größer als die roten Blutscheiben. Ihre Menge ist nur gering, unter normalen Verhältnissen dürfte ein farbloses Körperchen auf 350-500 rote Scheiben kommen. Der chemische Bau und die Lebensthätigkeit der farblosen Blutkörperchen sind uns nur sehr mangelhaft bekannt. Besonders in die Augen springend ist die Fähigkeit der Körperchen, ihre Gestalt zu verändern und Bewegungen auszuführen. In passenden Nährflüssigkeiten und bei Temperaturen von 30 bis 40° kann man beobachten, wie das Körperchen einen oder mehrere Fortsätze ausschickt, die allmählich an Umfang zunehmen und sich derartig flächenhaft ausbreiten, daß sie nach einiger Zeit der übrigen Zellmasse an Umfang nicht nachstehen. Bald erblickt man die ganze Zelle da, wo früher nur ein schmaler Fortsatz beobachtet wurde. Indem Protoplasmafäden sich bald hier, bald dahin ausbreiten und den übrigen Körper nachfließen lassen, kommen Ortsveränderungen zu stande, welche lebhaft an diejenigen der auf der niedersten Stufe der Lebensformen stehenden Amöben erinnern, und welche man deshalb als die amöboiden Bewegungen der farblosen Blutkörperchen bezeichnet hat. Die Körperchen vermögen auch feste Partikelchen ihrem Zellleib einzuverleiben, indem dieselben zunächst von Protoplasmafortsätzen umfaßt werden.

Kraft ihrer amöboiden Bewegungen vermögen die farblosen Blutkörperchen selbst die anscheinend ganz impermeabeln Wandungen der feinsten Blutgefäße zu durchbohren, ein Vorgang, den man als Auswanderung der farblosen Blutkörperchen bezeichnet hat, und der zuerst von Waller, später von Cohnheim beobachtet worden ist. Der nähere Vorgang bei dieser Auswanderung (Diapedesis) gestaltet sich folgendermaßen: Die farblosen Blutkörperchen haben im allgemeinen die Eigentümlichkeit, sich nicht im Achsenstrom fortzubewegen, sondern längs der Gefäßwandung in ruhigerer Bewegung dahinzugleiten; oftmals sieht man, wie ein farbloses Blutkörperchen gar nicht mehr vom Strom fortgerissen wird, sondern wie es sich der Wandung des Gefäßes fest anlegt. Es verliert nun bald die bis dahin mehr oder weniger sphärische Gestalt und beginnt aktive Bewegungen auszuführen. Hat man die farblosen Blutkörperchen mit feinkörnigen Farbstoffen (Zin-^[folgende Seite]