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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Bodenmelioration

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Bodenmelioration (Maßregeln der Gesetzgebung und der Verwaltung).

schon die erste Voraussetzung derselben, die Zustimmung aller Interessenten, wird sich, da in der Regel eine größere Zahl bäuerlicher Besitzer für die B. in Frage kommt, nur selten erreichen lassen. Dazu kommt, daß es diesen Personen gewöhnlich auch an der Initiative für solche Unternehmungen, an der Fähigkeit, den Plan zu entwerfen, oft auch an den bereiten Mitteln zur Ausführung desselben fehlt. Will man daher in einem Land nicht auf die Vornahme solcher Bodenmeliorationen in größerm Umfang verzichten, so bedarf es vor allem einer gesetzlichen Einschränkung der Freiheit der Grundeigentümer in der Richtung, daß unter Umständen ein Zwang gegen sie ausgeübt werden darf, an einer solchen B. sich mit zu beteiligen, resp. die für solche auf ihren Grundstücken notwendigen Anlagen zu dulden. Über die Berechtigung eines solchen Zwanges, der nur ein Zwang gegen unverständigen Eigensinn ist, kann ein Zweifel nicht obwalten, wenn man festhält, daß jede Rechtsordnung die Gesamtinteressen und das Gesamtwohl der Bevölkerung zu fördern hat und dem Grundeigentümer nicht Rechte eingeräumt werden dürfen, die berechtigte Gemeininteressen schädigen. Aber diese Maßregel allein ist noch nicht ausreichend. Die zur Förderung dieser Bodenmeliorationen gebotenen Maßregeln der Staatsgewalt sind einerseits Maßregeln der Gesetzgebung, anderseits der Verwaltung.

Zu den Maßregeln der Gesetzgebung gehört 1) im Interesse aller Ent- und Bewässerungsmeliorationen die gesetzliche Regelung des sogen. Wasserrechts. Es bedarf insbesondere der Sicherung des natürlichen Ablaufs des Niederschlagwassers. Kein Grundbesitzer, dessen Grundstück niedriger als andre gelegen ist, darf Veranstaltungen treffen, durch welche der natürliche Wasserablauf von diesen auf sein Grundstück verhindert wird; kein Grundbesitzer, dessen Grundstück höher als andre gelegen ist, darf diesen den natürlichen Wasserzufluß entziehen. Es bedarf ferner einer Regelung der Benutzung stehenden und fließenden Wassers für Bewässerungsanlagen (Interesse der Schiffer, Flößer, Fischer, Müller und andrer Industriellen, welche fließendes Wasser als Triebkraft für Motoren verwerten) sowie der Ableitung des Wassers bei künstlichen Entwässerungsanlagen (s. Wasserrecht). Eine weitere Maßregel ist 2) die Gewährung der Möglichkeit einer zwangsweisen Bildung von Meliorationsgenossenschaften, insbesondere von Ent- und Bewässerungsgenossenschaften (auch von Drainagegenossenschaften). Der Zwang kann aber kein absoluter sein, sondern muß von bestimmten Voraussetzungen abhängig gemacht werden. Eine Voraussetzung ist die Existenz einer Majorität der Interessenten. Die Frage, wie der Gesetzgeber diese Majorität bestimmen soll (ob nur nach der Fläche oder nach der Kopfzahl oder nach Fläche und Kopfzahl, ob mit oder ohne Berücksichtigung des Werts der Grundstücke und weiter, ob absolute oder 3/5-, 2/3-, ¾-, 4/5- etc. Majorität), läßt sich nicht für jedes Land gleich entscheiden; es kommt auf Besitzverhältnisse, Intelligenz, Charakter, Rechtsanschauungen und Rechtsgewohnheiten der Bevölkerung an. Das maßgebende Prinzip muß aber sein, das Zustandekommen der Genossenschaften möglichst zu fördern, ohne die Interessen der Minorität zu verletzen. Die Bildung der Majorität darf deshalb nicht zu schwierig sein. Im allgemeinen dürfte die absolute Majorität der Fläche, die zugleich den höhern Wert (nach dem Katastralreinertrag) repräsentiert, genügen und nur ausnahmsweise noch dazu die Forderung auch einer absoluten Majorität der Besitzer zu stellen sein, wo die Besitzunterschiede zwischen den Interessenten, welche die Genossenschaft bilden sollen, zu große sind. Zweckmäßig ist es, die Nichterscheinenden und Nichtabstimmenden von vornherein als zustimmend zu zählen. Diese Normierung der Majorität dürfte um so weniger bedenklich sein, wenn das Gesetz als zweite Voraussetzung die obrigkeitliche Genehmigung des Plans vorschreibt. Der Zweck derselben ist die Prüfung, ob bei dem Plan die Interessen der Minorität gewahrt sind, und ob der Grund, der einen Zwang gegen Grundeigentümer rechtfertigt, vorliegt. Die obrigkeitliche Genehmigung ist deshalb auch nur dann zu geben, wenn nach Anhörung der Minorität (im Aufgebotsverfahren mit kontradiktorischer Verhandlung) festgestellt ist, daß der Plan ein gemeinnütziger ist, den Beitritt der Widerstrebenden aus technischen Gründen erfordert und das Interesse dieser nicht schädigt. 3) Für diese Zwangsgenossenschaften muß die Gesetzgebung ferner das Recht der juristischen Persönlichkeit gewähren und das Vorverfahren zur Begründung, die Kostenrepartition, die Einziehung der Beiträge (möglichst im Weg der administrativen Exekution), die Auflösung, die Liquidation und eventuell den Umfang der staatlichen Aussicht regeln. 4) Für freie (durch freie Vereinbarung der Beteiligten sich bildende) Meliorationsgenossenschaften ist obrigkeitliche Genehmigung nicht zu erfordern; die Gesetzgebung muß aber die Bedingungen zur Erlangung des Rechts der juristischen Persönlichkeit bestimmen, die Organisation, Auflösung, Liquidation etc. regeln.

Zu diesen Maßregeln der Gesetzgebung müssen sich folgende der Verwaltung gesellen: 1) Vor allem müssen die lokalen Verwaltungsbeamten (Landräte, Oberamtleute etc.), in deren Bezirk Bodenmeliorationen dieser Art angezeigt sind, es sich angelegen sein lassen, sie durch Verhandlungen mit den Interessenten zu stande zu bringen. Ihre Wirksamkeit in dieser Richtung wird wesentlich gefördert werden, wenn 2) für entsprechend große Bezirke vom Staat besondere Kulturtechniker (Kulturingenieure, Kulturinspektoren) mit amtlicher Eigenschaft ernannt werden, welche die Verwaltungsbeamten unterstützen, die Pläne entwerfen und die Ausführung übernehmen (s. Kulturtechnik), und 3) die Vorarbeiten für größere Unternehmungen zunächst auf Staatskosten angefertigt und diese Kosten unter Umständen ganz oder teilweise vom Staate definitiv getragen werden dürfen. 4) Die Geldmittel aber, welche für rationelle Bodenmeliorationen (das sind solche, die den Reinertrag so steigern, daß sich für das auf die B. verwendete Kapital eine Rente über den landesüblichen Kapitalzins und die Amortisationsquote hinaus ergibt) fehlen, können den Mitgliedern solcher Genossenschaften jederzeit in rationeller Kreditgewährung zugeführt werden, wenn Landeskulturrentenbanken als öffentliche Kreditvermittelungsinstitute bestehen. Ein Hauptzweck dieser Banken (s. Landeskulturrentenbanken) ist es auch, für Bodenmeliorationen, nachdem in zuverlässiger Weise festgestellt ist, daß der Reinertrag des Grundstücks durch die B. entsprechend gesteigert wird, das Kapital als ein unkündbares, allmählich zu amortisierendes hypothekarisches Darlehen zu geben. 5) Die Geschäftsführung größerer konzessionierter Meliorationsgenossenschaften erfordert unter Umständen eine obrigkeitliche Kontrolle. Diese wird in der Regel am wirksamsten dadurch bewerkstelligt werden, daß der Kulturtechniker oder ein sonstiger Verwaltungsbeamter Mitglied des Aufsichtsrats ist.