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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Bodenmelioration

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Bodenmelioration (die Gesetzgebung einzelner Staaten).

C) Bodenmeliorationen auf staatlichem Grund und Boden sind natürlich Staatssache; die Frage, ob sie vorzunehmen, ist nach allgemeinen staatswirtschaftlichen Grundsätzen zu entscheiden. Der Staat muß aber auch selber Bodenmeliorationen anordnen und ausführen, welche entweder wegen ihres großen Umfangs die Kräfte der Einzelnen übersteigen, oder welche im Interesse nicht bloß der betreffenden Grundbesitzer, sondern auch der gesamten Bevölkerung größerer Bezirke geboten sind, und deren Existenz daher nicht mehr von dem Willen einer Majorität der Grundbesitzer abhängig gemacht werden darf. Die Kosten solcher Bodenmeliorationen sind auf Private, Gemeinden, Staat nach Maßgabe des Vorteils zu repartieren. Hierhin gehören große Flußkorrektionen (wie z. B. die Korrektion des Mittelrheins 1840-73, durch welche für Baden mit einem Kostenaufwand von 30 Mill. Mk. der Lauf des Stroms um fast 19 Stunden abgekürzt und 25,700 Morgen Land gewonnen wurden; die Theißregulierung in Ungarn 1856-60, durch welche 715,000 Hektar Land unter Deichschutz gebracht wurden; die Linthkorrektion in der Schweiz 1807-22 etc.), große Entwässerungsunternehmungen (wie z. B. die Austrocknung des Haarlemer Meers in Holland 1840-53, die Entwässerung Irlands 1846-55, aus früherer Zeit die Melioration des Rhin- und Havelländischen Luches in Preußen 1718-1725, wodurch 22 geogr. QMeilen sumpfige Moorwiesen in kulturfähiges Land umgewandelt wurden; die großen Entwässerungen in Preußen unter Friedrich II. in den Brüchen des Döllefließes, der Silge, des Rhins, der Jäglitz, der Dosse, der Oder, der Netze, der Warthe etc.), größere Deichanlagen, durch welche die gemeinsame Wassersgefahr von ganzen Ortsfluren und größern Distrikten abgewendet wird. Die letztern erfordern eine besondere gesetzliche Regelung und obrigkeitliche Organisation der Deichverbände (s. Deich).

II. Thatsächliche Bodenmeliorationspolitik.

Im großen und ganzen befolgen die meisten Kulturstaaten heute eine dem Bodenmeliorationswesen günstige Politik. Im einzelnen bestehen freilich sowohl in den legislatorischen Maßregeln als in der Mitwirkung der Staatsverwaltung nicht unerhebliche Unterschiede. Demgemäß ist auch der thatsächliche Zustand des Bodenmeliorationswesens ein verschiedener, hier besser, dort schlechter. Was insbesondere die deutschen Staaten angeht, so ist fast überall das Wasserrecht im 19. Jahrh. in einer auch die B. begünstigenden Weise geregelt (z. B. Preußen: Gesetze vom 15. Nov. 1811, 28. Febr. 1843, 23. Jan. 1846, 28. Jan. 1848, 11. Mai 1853, 14. Juni 1859, 9. Febr. 1867, Verordnung vom 28. Mai 1867, Wiesenordnung vom 28. Okt. 1846. Bayern: Gesetze vom 28. Mai 1852 und 15. April 1875. Sachsen: Gesetze vom 15. Aug. 1855 und 9. Febr. 1864, § 354 ff.; B. G.-B. Baden: Gesetz vom 25. Aug. 1876 und Verordnung vom 24. Dez. 1876. Hessen: Gesetze vom 19. Febr. 1853 und 20. Febr. 1853). Vgl. R. Brückner, Das deutsche Wasserrecht (in Hirths "Annalen des Deutschen Reichs" 1877); Neubauer, Zusammenstellung des in Deutschland geltenden Wasserrechts (Berl. 1881); G. Meyer, Lehrbuch des deutschen Verwaltungsrechts, Teil 1, § 106 ff. (Leipz. 1883). Ebenso ist in den meisten Staaten die zwangsweise Bildung von Meliorationsgenossenschaften, namentlich von Ent- und Bewässerungsgenossenschaften, möglich. Eine Ausnahme macht unter den größern Staaten bisher noch Württemberg, wo die betreffende Gesetzgebung, obgleich ein dringendes Bedürfnis und seit Jahrzehnten ein lebhafter Wunsch einsichtiger Landwirte, noch immer aussteht. (Gesetze bezüglich der Wassergenossenschaften: Preußen, ältere: Gesetze vom 28. Febr. 1843 für Bewässerungsgenossenschaften, 11. Mai 1853 für Entwässerungsgenossenschaften mit Ausnahme der Drainage, Deichgesetz vom 28. Jan. 1848. Neue Regelung durch Gesetz vom 1. April 1879. Bayern: Gesetze vom 28. Mai 1852 und 15. April 1875. Sachsen: Gesetze vom 15. Aug. 1855 und 9. Febr. 1864. Baden: Gesetze vom 25. Aug. 1876 und 12. Mai 1882. Hessen: Gesetze vom 7. Okt. 1830 und 2. Jan. 1858. Sachsen-Weimar: Gesetz vom 16. Febr. 1854. Oldenburg: Gesetze vom 8. Juni 1865 und 20. Nov. 1868. Braunschweig: Gesetz vom 20. Juni 1876. Sachsen-Meiningen: Gesetz vom 6. Mai 1872. Sachsen-Altenburg: Gesetze vom 18. Okt. 1865, 7. Aug. 1866, 25. April 1868. Sachsen-Koburg-Gotha: Gesetze vom 12. April 1859 und 7. Febr. 1871. Schwarzburg-Sondershausen: Gesetz vom 26. Jan. 1858. Schwarzburg-Rudolstadt: Gesetz vom 7. Febr. 1868. Waldeck: Gesetz vom 18. Juni 1862. Reuß j. L.: Gesetz vom 6. April 1872. Lippe-Detmold: Gesetz vom 17. März 1879. Bremen: Gesetz vom 15. Dez. 1880. Elsaß-Lothringen: französisches Gesetz vom 21. Juni 1865, Gesetz vom 11. Mai 1877.) Manche dieser Gesetze, z. B. die bayrischen und badischen, erschweren unzweckmäßig die Bildung der Majorität; die meisten erfordern für den Zwang den Nachweis eines überwiegenden Nutzens für die Landeskultur. Die neue preußische Gesetzgebung unterscheidet zwischen freien und öffentlichen Genossenschaften. Die erstern, lediglich auf freier Vereinbarung der Beteiligten beruhend, erlangen durch Eintragung in ein gerichtliches Register, die von der Erfüllung gewisser formeller Vorschriften abhängig ist, die Rechte einer juristischen Person des Privatrechts. Die öffentlichen setzen einen öffentlichen oder gemeinwirtschaftlichen Nutzen voraus, ihre Begründung erfordert ein durch die Verwaltungsbehörde geleitetes Vorverfahren und die Genehmigung durch den Minister, resp. (im Fall des Zwanges) den Landesherrn. Sie unterliegen staatlicher Aussicht, haben aber auch Rechte öffentlicher Korporationen (z. B. das Recht, rückständige Beiträge der Mitglieder im Weg der administrativen Exekution beizutreiben, ein Vorzugsrecht im Konkurs für rückständige Beiträge etc.). Es kann hier nicht weiter auf diese Gesetze eingegangen werden, ebensowenig auf die verschiedengradige Mitwirkung der Verwaltung bei der Förderung von Bodenmeliorationen (am energischten und erfolgreichsten in Preußen) und auf die thatsächlichen Erfolge der bisherigen Politik. S. darüber die folgende Litteratur. In Frankreich, England, Belgien besteht kein Zwang zur Bildung von Bodenmeliorationsgenossenschaften, wohl aber in Österreich. Das Reichsgesetz vom 30. Mai 1869 bildet hier die Grundlage der Landesgesetze für die einzelnen Kronländer, welche 1870-75 erlassen wurden.

Litteratur. Roscher, System der Volkswirtschaft, Bd. 2, § 36-39; Rau, Lehrbuch der politischen Ökonomie, Bd. 2, § 102-104, § 150 ff.; v. Viebahn, Statistik des zollvereinten und nördlichen Deutschland, Bd. 2, S. 530 ff. (Berl. 1862); R. v. Mohl, Die Polizeiwissenschaft, Bd. 2, § 136 (3. Aufl., Tübing. 1866); Meitzen, Landwirtschaft, im 2. Teil von Schönbergs "Handbuch der politischen Ökonomie", Bd. 1, § 57 ff. (das. 1882); Derselbe, Der Boden und die landwirtschaftlichen Verhältnisse des preußischen Staats, Bd. 1, S. 442 ff.; Bd. 2, S. 55 ff.;