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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Böhmen

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Böhmen (Industrie, Handel).

gend um Reichenberg und Friedland, Aussig und Asch; die Fabrikate werden auch im Ausland abgesetzt. Sehr wichtig ist die Fabrikation von Leinenwaren, worin B. allen Kronländern des Kaiserstaats voransteht. Die Spinnerei blüht hauptsächlich um Trautenau, die Weberei im ganzen nordöstlichen Gebirgsland, hauptsächlich in der Gegend von Georgswalde ("Rumburger Leinwand") und Hohenelbe. Außerdem wird die Wirkerei in der Gegend von Asch und Teplitz, die Erzeugung von orientalischen Kappen (Fessen) in Strakonitz, die Juteindustrie und Bandfabrikation im N., die Stickerei und Spitzenklöppelei im Erzgebirge (besonders um Graslitz und Joachimsthal) betrieben. Die zweite Stelle nimmt die sogen. landwirtschaftliche Industrie ein. Hierher gehört die Rübenzuckerindustrie, welche sich in B., insbesondere in der Ebene der mittlern Elbe, in außerordentlichem Maß entwickelt hat und namhafte Exportquantitäten liefert. In der Kampagne 1882-83 bestanden 154 Fabriken, welche ein Quantum von 32 Mill. metr. Ztr. Rüben, d. h. 66 Proz. des in ganz Österreich-Ungarn verbrauchten Rohstoffs, verarbeiteten. Sehr große Fortschritte macht auch die Bierbrauerei; 1882-83 bestanden 818 Brauereien, welche 5,345,000 hl Bier erzeugten. Am bekanntesten ist das Pilsener Bier, welches nach allen Ländern Europas ausgeführt wird. Zu erwähnen sind ferner die Spiritusindustrie (in der Kampagne 1882-83 bestanden 228 Brennereien und 10 große Raffinerien), die Malz- und Preßhefenerzeugung, die Stärke- und Ölfabrikation sowie das Mühlengewerbe. Von hoher Bedeutung ist weiter die Metallindustrie. Sie liefert in einer Anzahl bedeutender Eisenraffinierwerke (darunter die großen Etablissements der Prager Eisenindustriegesellschaft) Stabeisen, Bessemermetall, Schwarzblech, Kessel- und Weißblech, Draht, Eisenbahnschienen und andres Eisenbahnmaterial sowie Eisenguß. Außerdem beschäftigen sich zahlreiche Unternehmungen, meist von kleingewerblichem Charakter, mit der Erzeugung verschiedener Eisen- und Stahlwaren, als: emaillierter Kochgeschirre (Fabriken in Bubna, Horzowitz, Komotau und Pilsen), verzinnter Löffel (Neudeck), Nadeln (Karlsbad), Nägel (insbesondere im Bezirk Horzowitz), Waffen (Prag, Weipert) und Schlosserwaren. Die anderweitige Metallindustrie umfaßt die Erzeugung von Kupferblech, Bleikapseln für Mineralwässer, Zinnfolien, Lampen, Spenglerarbeiten, Gold- und Silberwaren in Verbindung mit der Juwelenbearbeitung. Maschinenfabriken zählt B. etwa 80, hauptsächlich in Prag und Umgebung, Reichenberg und Pilsen; dieselben exzellieren in der Herstellung von Dampfmaschinen, dann von Einrichtungen für Zuckerfabriken, Bierbrauereien, Mühlen etc. Auch die Fabrikation von Transportmitteln wird in Prag und Umgebung betrieben, wo sich namentlich ein großartiges Etablissement für den Bau von Eisenbahnwaggons befindet. Ein hervorragender Platz gebührt ferner der Glasindustrie, welche sich in B. im 13. Jahrh. von Venedig aus einbürgerte, durch das Vorhandensein aller erforderlichen Mineralien, besonders des Quarzes, wie durch den Waldüberfluß begünstigt wurde und bald zu hoher Blüte gelangte. Sie beschäftigt 105 Glashütten, 50 Kompositionsbrennereien und 3000 Schleifereien mit zusammen 27,000 Arbeitern. Den Glanzpunkt der Produktion bildet das Kristallglas, das durch Formenschönheit und Reinheit am Weltmarkt tonangebend geworden ist und vorzüglich in der Umgegend von Haida und Steinschönau hergestellt wird. Die Hohlglashütten befinden sich hauptsächlich in den waldreichen Grenzgebirgen; die Tafelglasproduktion ist am bedeutendsten in der Umgegend von Pilsen, die Erzeugung von Knöpfen, Perlen und andern Glaskurzwaren in der Gablonzer Gegend, wo sie in Verbindung mit der Gürtlerei, getragen durch die jeweilige Moderichtung, für einen lebhaften Export arbeitet. In der keramischen Industrie blüht besonders die Porzellanindustrie, für welche in B. 26 Fabriken, davon 18 in der Karlsbad-Elbogener Gegend, bestehen. Mit vereinzelten Ausnahmen wird nur Gebrauchsgeschirr erzeugt und in großen Mengen exportiert. Hierher gehört auch die an der untern Elbe betriebene bedeutende Siderolith-, sodann die Steingutfabrikation. Andre erwähnenswerte Industriezweige sind noch die Fabrikation von Papier (52 Etablissements mit 69 Papiermaschinen, die größten in der Riesengebirgsgegend), von Leder, Schuhwaren, Handschuhen, Hüten, Knöpfen, Kinderspielzeug, Tinte, Bleistiften, von Musikinstrumenten (namentlich Blasinstrumenten, zu Prag, Königgrätz, Graslitz und Schönbach), medizinischen und Präzisionsinstrumenten (Prag), chemischen Produkten (insbesondere Schwefelsäure, Glaubersalz, Soda etc. in den Fabriken zu Aussig, Kralup, Prag u. a., dann Farben, Lacke, Spodium und Superphosphat), Zündhölzchen, Tabak und Zigarren (5 ärarische Fabriken mit 5565 Arbeitern), Schokolade, die Buch- und Steindruckerei (Prag) und Photographie. Beförderungsmittel der Industrie sind die Gewerbevereine (zu Prag, Reichenberg, Teplitz) und die Handels- und Gewerbekammern (zu Prag, Reichenberg, Eger, Pilsen, Budweis). Hand in Hand gehend mit dem regen Gewerbsleben, ist auch der Handel Böhmens bedeutend, dessen Zentralpunkt Prag ist, und der nicht nur durch die innern natürlichen Kräfte des Landes unterstützt und durch die vermittelnde Lage zwischen dem Norden und Süden Ostdeutschlands begünstigt, sondern auch durch Institute mannigfacher Art gehoben und durch zahlreiche Verkehrsmittel gefördert wird. Das Eisenbahnnetz hatte Anfang 1885 eine Ausdehnung von 4182 km erreicht und ist das dichteste in der ganzen Monarchie. In den letzten Jahren ist namentlich eine große Zahl von Lokalbahnen gebaut worden. Die Montan- und Industriebahnen mit ca. 380 km sind in obiger Ziffer nicht eingeschlossen. Die wichtigsten Linien sind: die Österreichische Staatseisenbahn, die Österreichische Nordwestbahn, die Franz-Josephsbahn, die Böhmische West- u. Nordbahn, die Süd-Norddeutsche Verbindungsbahn, die Buschtiehrader, die Aussig-Teplitzer und die Pilsen-Priesener Bahn. An Straßen besitzt B. 22,702 km (davon 4293 km Reichsstraßen), so daß 0,44 km Straße auf 1 qkm kommen. An Wasserstraßen sind nur die Elbe und Moldau von Belang. Erstere ist von Pardubitz ab flößbar und wird von Leitmeritz an auch mit Dampfschiffen befahren; die böhmisch-sächsische Grenze passierten auf der Elbe 1881 in der Thalfahrt 7186 Fahrzeuge mit 12,230,000 metr. Ztr. Waren (meist Braunkohle und Nutzholz). Auf der Moldau gehen von Budweis abwärts alljährlich mehr als 3500 Schiffe, mit Salz, Holz, Getreide etc. beladen, von Stiechowitz bis Prag auch Dampfer. Hauptausfuhrartikel Böhmens sind außer den Produkten der Web-, Metall-, Glas- und Thonindustrie besonders Getreide, Holz, Kohle, Obst, Zucker und Mineralwässer; Einfuhrartikel: Salz, Kolonial- und Drogueriewaren, Farbstoffe, rohe Baum- und Schafwolle, Tabak, Häute und Flachs. Dem Postverkehr dienen 1021 Ämter, dem Telegraphenverkehr 325 Staatsanstalten. Für die Bedürfnisse des Geld- und Kreditverkehrs sorgen (1883) 6 Filialen und 2