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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Bordeaux

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Bordeaux.

und durch eine neuere Eisenbahnbrücke verbunden.

Obgleich nicht am Meer selbst gelegen, ist B. doch nächst Marseille und Havre die dritte Seestadt Frankreichs. Die Garonne, die mit trüben, schmutzig gelben Fluten an der Stadt vorbeifließt, bildet ein weites, halbmondförmiges Hafenbassin (Port de la Lune), das mit seinen breiten, langgestreckten, von schönen Häusern begrenzten Kais, die zu den schönsten derartigen Anlagen Europas gehören, 1200 Schiffen Raum gewährt. Doch genügt dieser Raum dem beständig wachsenden Verkehr längst nicht mehr, und so ist am untern Ende der Stadt, dem Stadtteil Bacalan, noch ein 1879 vollendetes, 10 Hektar großes Bassin angelegt worden, das auch bei Ebbe 6½ m Tiefe hat. Den Kern von B. bildet die mittelalterliche Altstadt mit engen, krummen und finstern Gassen in der Nähe des gewaltigen Quinconceplatzes; um sie haben sich die neuern Statteile ^[richtig: Stadtteile] gelagert. Die meisten Prachtbauten, alle in einem übereinstimmenden Stil ausgeführt und durch prächtige Treppen, Säulenportiken und zahlreiche von Pilastern umrahmte Fenster gekennzeichnet, stammen aus der Zeit Ludwigs XV. In Menge vorhandenes billiges, dabei treffliches Baumaterial fiel dabei sehr ins Gewicht. Unter den zahlreichen schönen Platzen sind nächst dem mit den Kolossalstatuen von Montesquieu und Montaigne und zwei als Leuchttürmen dienenden Rostralsäulen geschmückten Quinconce (an dessen Stelle ehemals die berüchtigte, unter Ludwig XIV. erbaute Citadelle stand) als dem Zentrum von B. die Allées de Tourny (mit monumentalem Springbrunnen an Stelle des 1870 vom Volk herabgeworfenen Reiterstandbildes Napoleons III.), die von der Place Tourny und vom Theaterplatz begrenzt werden, dann die schöne Parkanlage des Jardin public hervorzuheben. B. hat an 50 katholische und 3 prot. Kirchen (darunter seit 1867 eine deutsch-evangelische). Architektonisch besonders ausgezeichnet sind: die gotische Kathedrale St.-André (im 11.-14. Jahrh. erbaut), einschiffig und auffallend breit, mit einem reich mit Statuen geschmückten, von 2 eleganten, 50 m hohen Türmen flankierten Portal und schönem Chor, dabei der 1450 erbaute, isoliert stehende Glockenturm Peyberland; die Kirchen St.-Michel, ebenfalls mit isoliertem, 107 m hohem Glockenturm, ein Werk der spätern Gotik aus dem 15. Jahrh., St.-Seurin u. a. Von den übrigen Gebäuden sind hervorzuheben: das Stadthaus mit prächtigem Hof; das Theater (1775-80 erbaut), im strengern antikisierenden Stil und von großartigen Verhältnissen (dasselbe diente 1871 der Nationalversammlung als Beratungslokal); der Justizpalast, die Börse etc. Das einzige größere Monument aus der römischen Glanzzeit von B. ist das Palais Gallien, das Fragment eines Amphitheaters, dessen Cavea etwa 1500 Menschen fassen mochte. Die Zahl der Bewohner beträgt (1881) 217,990.

B. verdankt seine Größe und seinen Reichtum dem Handel und zwar vorzugsweise dem Weinhandel, in welchem es die erste Stelle in Frankreich einnimmt, und der sich schon seit dem 13. Jahrh., namentlich mit England, stetig entwickelte. Lange, bevor man die Stadt erreicht, sieht man die Spuren des großartigen Verkehrs, der den Weinexport zum Hauptgegenstand hat; das regste Leben entfaltet sich aber in den zum Bahnhof führenden Straßen und im Hafen. Der Weinexport (s. Bordeauxweine) ist infolge der Verwüstungen durch die Phylloxera nicht allzusehr zurückgegangen, da einzelne Distrikte (Médoc) noch wenig angegriffen sind und man jetzt ungeheure Mengen Wein aus Spanien, Sizilien etc. zu sehr niedern Preisen bezieht und zum Verschneiden verwendet oder, hergerichtet, als Bordeauxweine in den Handel bringt. B. hat infolgedessen jetzt auch bedeutende Weineinfuhr. Die Hauptabsatzgebiete bilden England und Südamerika. 1882 bezifferte sich der Weinimport im Hafen von B. mit 44, dagegen der Export nach dem Ausland mit 134 Mill. Frank. Außerdem werden auch nach französischen Häfen große Quantitäten versendet. Im auswärtigen Handel sind ferner die wichtigsten Artikel bei der Einfuhr: Häute und Felle, Cerealien, Holz, Spiritus, Seefische und Kolonialwaren; bei der Ausfuhr: Schafwollwaren, Branntwein und Liköre, chemische Produkte, Seefische, Kleider, Lederwaren und Obst. Im Verkehr mit französischen Hafen spielen die wichtigste Rolle in der Einfuhr: Baumaterialien, Eisen und Stahl, Getreide und Mehl, Branntwein und Fässer; in der Ausfuhr (außer Wein): Holz, Weizen und Mehl, Kohle und Ölpflanzen. Die gesamte Warenbewegung im Hafen betrug 1882: 2,147,217 Ton. im Wert von mehr als 800 Mill. Fr., wovon auf den internationalen Handel 1,868,058, auf den Binnenhandel 279,159 T. entfielen. Der Schiffahrtsverkehr umfaßt ca. 20,000 Schiffe im Jahr (1882 liefen 11,046 Schiffe mit 1,584,778 T. ein und 10,665 Schiffe mit 1,640,808 T. aus). Auf den internationalen Verkehr (insbesondere mit England, Nordamerika, Argentinien, Chile, Spanien, Deutschland etc.) kamen 1883: 1416 ein- und 1445 ausgelaufene Schiffe mit 923,355, resp. 930,915 T. Auch der Kabeljaufang wird von B. aus betrieben. 1882 sind von demselben 126 Schiffe mit 20,2 Mill. kg frischem Kabeljau zurückgekehrt. Neben dem Handel ist die Industrie von B. gleichfalls von großer Bedeutung. So besitzt B. eine starke Fabrikation von Likören und andern Spirituosen sowie von Essig, zu dem geringe Weine benutzt werden, Bier, moussierenden Getränken und (im Zusammenhang mit all der Geschäftsthätigkeit in Getränken) von Fässern, Glasflaschen, Siphons, Korkstöpseln, Kapseln, Etiketten etc. Andre Zweige der Eigenindustrie liefern alles, was zum Schiffbau, der sehr ausgedehnt ist (10 Werften), und zur Ausrüstung der Schiffe nötig ist; es gibt ferner eine sehr bedeutende Tabaks-, eine Porzellanfabrik, Fabriken für Maschinen, Papier, Seife, chemische Produkte, Schokolade, konservierte Lebensmittel, Dampfmühlen, Zuckerraffinerien, Baumwoll- und Schafwollspinnereien und -Webereien.

Bildungsanstalten sind: die 1441 vom Papst Eugen IV. gegründete Universität mit drei Fakultäten (1882 mit 87 Dozenten und 907 Studierenden), ein Lyceum, Normalschulen für Lehrer und Lehrerinnen, zwei theologische Seminare, eine medizinisch-chirurgische Vorschule, eine Bau- und eine Malerschule, eine Schiffahrtsschule (seit 1631), Matrosen-, Handels- und Gewerbeschulen, ein Taubstummeninstitut für Mädchen, mehrere gelehrte Gesellschaften, eine Akademie der Wissenschaften und Künste, eine öffentliche Bibliothek von 160,000 Bänden, ein botanischer Garten, ein reiches Naturalien- und ein Antiquitätenkabinett (mit interessanten römischen Inschriften und Altertümern aus der Umgegend von B.), eine Gemäldegalerie (mit Gemälden von Perugino, Palma Vecchio, van Dyck etc.), eine Sternwarte und vier Thea-^[folgende Seite]