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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Chemie

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Chemie (im 17. und 18. Jahrhundert).

anteil an der Entstehung seiner Theorie zuschrieb. Nach Becher waren Wasser und Erde die entferntesten Grundstoffe aller Körper. Aus ihnen entstehen zunächst drei Erden, die steinartige oder schmelzbare, die fettige und die flüssige, von den Alchimisten als Salz, Schwefel und Quecksilber bezeichnet. Stahl beschäftigte sich besonders mit der Untersuchung von Bechers fettiger, brennbarer Erde; er erforschte mit großem Scharfsinn den Verbrennungsprozeß, nahm in den brennbaren Körpern etwas Gemeinsames an, was ihnen die Eigenschaft der Entzündlichkeit, der Brennbarkeit, verleihe, und nannte den Träger dieser Eigenschaft Phlogiston. Die Darstellung dieses hypothetischen Stoffs wurde aber weder versucht, noch für erforderlich gehalten. Blei besteht nach Stahl aus Bleikalk (Bleioxyd) und Phlogiston, welches bei der Verbrennung ausgetrieben wird; erhitzt man Bleikalk mit Kohle, so erhält man wieder metallisches Blei, denn die sehr phlogistonreiche Kohle gibt an den Bleikalk Phlogiston ab. Die damals noch unbezweifelte Aristotelische Ansicht, daß die hervorragenden Eigenschaften der Körper durch etwas materiell in ihnen Enthaltenes bedingt werden, genügte, um den Glauben an die Existenz des hypothetischen Grundstoffs zu befestigen und dieser Glaube wurde nicht erschüttert durch die den Phlogistikern sehr wohl bekannte Thatsache, daß der Bleikalk schwerer ist als das Blei, aus welchem er entstanden ist. Man hat gesagt, sie hätten nur die qualitative Seite des Verbrennungsprozesses berücksichtigt und die Anwendung der Wage vernachlässigt; indes haben sie, wo sie es vermochten, auch die quantitativen Verhältnisse sehr genau untersucht, aber die Gewichtszunahme bei der Verkalkung wußten sie nicht zu erklären, und die Phlogistontheorie galt genau so lange, bis man den Schlüssel zu dieser Erscheinung gefunden hatte.

Die Zeit der Phlogistiker hat eine lange Reihe ausgezeichneter Chemiker aufzuweisen. Der holländische Arzt Boerhaave (1668-1738) gab 1732 ein System der C. heraus, welches alle damals bekannten Thatsachen aus unzähligen Quellen zusammengetragen und geordnet umfaßte. In Deutschland konzentrierte sich die chemische Thätigkeit in Berlin, wo Friedrichs d. Gr. Leibarzt Eller (1689-1760), die Apotheker Neumann (1682-1737) und Pott (1692-1777) und vor allen Marggraf (1709-82), der intellektuelle Begründer der Zuckerrübenfabrikation, wirkten. In Frankreich trug Lemery (1645-1715) die C. frei von allem mysteriösen Dunkel vor zahlreichen Zuhörern in der Landessprache vor und gewann der Wissenschaft dadurch viele Förderer und Freunde. Duhamel (1700-1781) unterschied zuerst das Natron vom Kali, Macquer (1718-84), die letzte Stütze der Phlogistontheorie in Frankreich, entdeckte die Arsensäure und verfaßte das erste chemische Wörterbuch, während von Rouelle (1718-79) die Einteilung der Salze in saure, basische und neutrale herrührt. Schweden besaß zwei ausgezeichnete Chemiker, den Begründer der analytischen C., Bergman (1735-84), und den großen Entdecker Scheele (1742-86), der, mit wunderbarer Beobachtungsgabe ausgerüstet, eine überraschende Fülle von Thatsachen festgestellt hat. Er entdeckte unter anderm das Mangan, Chlor und den Baryt, die Weinsäure, Zitronensäure, Oxalsäure, Äpfelsäure, Gerbsäure, Harnsäure, Milchsäure, Molybdän- und Wolframsäure und das Glycerin; er erkannte das färbende Prinzip des Berliner Blaus und die wahre Zusammensetzung der Blausäure; unabhängig von Priestley und gleichzeitig mit diesem entdeckte er den Sauerstoff, lehrte dessen Darstellung aus Salpetersäure, Salpeter, Braunstein, Arsensäure und den Oxyden der edlen Metalle. Er ermittelte die Zusammensetzung der Luft aus Sauerstoff und einem die Verbrennung und Atmung nicht unterhaltenden Gase sowie die Zusammensetzung des Ammoniakgases und des Schwefelwasserstoffs. In England wies Black (1728-99) die Ursache des Unterschieds zwischen ätzenden und kohlensauren Alkalien nach, indem er zeigte, daß beim Ätzendwerden der letztern einer ihrer Bestandteile, die Kohlensäure, abgeschieden wird. Diese Entdeckung übte einen mächtigen Einfluß, denn man wurde durch sie mit dem Gedanken vertraut, daß ein Körper eine Luftart absorbieren, zum Verschwinden bringen, dadurch selbst schwerer werden und andre Eigenschaften erhalten könne. Black ist ferner der Entdecker der latenten Wärme, er zeigte, daß der Aggregatzustand der Körper nur von einem größern oder geringern Wärmegehalt abhängt, daß die Gase gleichsam als Verbindungen fester Körper mit Wärme zu betrachten sind, und befestigte die Überzeugung von der freilich schon durch Boerhaave nachgewiesenen Unwägbarkeit der Wärme. Black ist der erste unter den pneumatischen Chemikern, von denen Henry Cavendish (1731-1810) das Wasserstoffgas, die Zusammensetzung des Wassers (welches dadurch seines Charakters als Element entkleidet wurde), die konstante Zusammensetzung der Luft und die Bildung von Salpetersäure in der Luft durch den elektrischen Funken entdeckte. Bei ihm findet sich auch zuerst der Begriff von der chemischen Äquivalenz, d. h. von der chemischen Gleichwertigkeit verschiedener Gewichtsmengen von verschiedenen Substanzen, und dies beweist ebenso wie die Bemühungen Bergmans um die quantitative Analyse, daß den Phlogistikern die Gewichtsverhältnisse durchaus nicht gleichgültig waren, und daß sie sich von der Unveränderlichkeit des Gewichts der Materie bei allen chemischen Wandlungen überzeugt hielten. Die Arbeiten von Cavendish gehören zum Teil einer spätern Zeit an als die Priestleys (1733-1804), welcher viele Gase untersuchte und 1774 den Sauerstoff entdeckte.

Diese Entdeckung und vor allem die Arbeiten Blacks bildeten das Fundament, auf welchem Lavoisier (1743-94) seine Oxydationstheorie aufbaute, die den Anfang der neuesten Epoche in der C. bezeichnet. Priestley hatte bei der Verbrennung von Schwefel und Kohle und bei der Verkalkung der Metalle Luftverminderung nachgewiesen, fand aber als treuer Anhänger der Phlogistontheorie nicht die richtige Deutung dieser Erscheinung. Lavoisier dagegen trat der C. als Physiker nahe, und nicht beirrt durch irgend eine Theorie, sah er in Gasen nur Verbindungen fester Körper mit Wärme und schloß daraus, daß die Verminderung der Luft von einer Fixierung des in der Luft mit Wärme verbundenen festen Körpers herrühren müsse. Da die Luft Gewicht besitzt, Wärme aber nicht, so muß diese Fixierung mit einer Gewichtszunahme des fixierenden Agens verbunden sein. Daher ist der Metallkalk schwerer als das Metall, und weil auch bei der Verbrennung stets Luftverminderung beobachtet wird, so muß das Verbrennungsprodukt gleichfalls eine Gewichtszunahme zeigen. Im J. 1774 wies Lavoisier nach, daß die Gewichtszunahme eines Metalls bei der Verkalkung gleich ist dem Gewicht der absorbierten Luft, und nach der Entdeckung des Sauerstoffs durch Priestley und Scheele vollendete er seine Oxydationstheorie, deren Anhänger als Antiphlogistiker bezeichnet wurden. Mit Guyton de Morveau stellte er die den neuen

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