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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: China

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China (Volksbelustigungen, Auswanderung).

Bambus; im N. sind zweiräderige Karren im Gebrauch. Alle Anstalten zur Beförderung sind Unternehmungen einzelner; das gut organisierte Regierungspostwesen dient nur zur Beförderung amtlicher Depeschen und Korrespondenzen. Die Warenbeförderung wird auf dem Landweg, im S. mittels Schiebkarren, im N. mittels zweiräderiger, von Pferden oder Ochsen gezogener Karren bewerkstelligt. Träger, Esel und Maultiere, im W. Kamele, sind jedoch die meist benutzten Transportmittel.

Öffentliche Schaugepränge sind beliebt; alle öffentlichen Feste (der Neujahrstag, das Fest der Drachenboote, gestiftet zu Ehren des im 4. Jahrh. v. Chr. lebenden Kinjuen, das Laternenfest am 15. des ersten Monats, das Fischerfest) geben Veranlassung zu allgemeiner Freude und Heiterkeit. Das Spazierengehen ist den Chinesen kein Bedürfnis, dagegen sieht man häufig Erwachsene einen Lieblingsvogel im Käfig stundenlang spazieren tragen. Leibliche Übungen werden nur vom Militär vorgenommen; doch ist das Ballspiel beliebt, wobei der Ball an der Erde mit den Füßen hin- und hergestoßen wird. Die Neigung zum Hasardspiel ist allgemein. Das Schachspiel ist bei den Chinesen seit undenklichen Zeiten üblich, weicht aber vom indischen und abendländischen bedeutend ab ("Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft", Bd. 24, S. 172). Kinder und Erwachsene vertreiben sich die Zeit gern mit Spielzeug; mechanische Spielereien mit überraschendem Effekt sind sehr gesucht, einen lohnenden Einfuhrartikel bilden Spieldosen. Theatervorstellungen sind überall ein Hauptvergnügen, auch Gaukler aller Art sieht man sehr gern. Eine besondere Belustigung für groß und klein ist ferner das Steigenlassen von Papierdrachen in allerlei Gestalt, die nach den chinesischen Berichten der berühmte General Hansi 206 v. Chr. erfunden haben soll. Bewunderungswürdiges, zuweilen Unerklärliches leisten endlich die Chinesen in der Kunst der Feuerwerke. Als Eigentümlichkeit in der Sitte und Anschauung der Chinesen sei noch erwähnt, daß sie beim Schreiben die Wörter nicht in wagerechten, sondern in senkrechten Linien aneinander fügen, dabei aber rechts anfangen; daß sie nicht den Nordpol des Magnets, sondern dessen Südpol gelten lassen etc.

Obschon die Liebe zur Heimat der Auswanderung aus C. entgegenwirkt, so treibt doch die Übervölkerung mancher Gegenden des Landes und die häufig dort auftretende Hungersnot alljährlich Tausende von Chinesen in die Fremde; sie verlassen jedoch ihr Vaterland nur in der Absicht, nach einigen Jahren dahin zurückzukehren. Begräbnis in der Fremde gilt als Unglück; man sucht es dadurch zu beseitigen, daß man den Toten wenigstens in heimatliche Erde legt, deren Import sich nach allen Punkten lohnt, wo chinesische Arbeiter sind. Nach Hinterindien und dem Ostindischen Archipel waren Auswanderungen schon lange im Gang, bereits 1832 schätzte man die Zahl der Chinesen außer Landes zu 3 Mill. Die Entdeckung des Goldes führte Ende 1848 die ersten Chinesen nach Kalifornien, 1850 wurde der Zuzug bedeutend; von 1821 bis 1883 sind 288,643 Chinesen in die Vereinigten Staaten eingewandert, von denen jedoch viele wieder in ihre Heimat zurückkehrten; nach dem Zensus von 1880 befanden sich 104,541 in C. Geborne in der Union, der größte Teil (90,149) in den pazifischen Staaten. In Kanada befanden sich 1881 nur 4383 Chinesen. Hier machte sich zuerst eine Bewegung gegen die chinesische Einwanderung geltend, die 1876 in Britisch-Columbia verboten wurde; 1879 geschah dasselbe in den Vereinigten Staaten, doch erhielt das Verbot auf die Drohung Chinas, amerikanischen Waren den chinesischen Markt zu sperren, bisher nicht Gesetzeskraft. Nach Australien war die chinesische Auswanderung zur Zeit der großen Goldfunde eine sehr starke, auch hier hat man durch eine Kopfsteuer und andre Maßregeln die chinesische Einwanderung zu beschränken gesucht; 1881 zählte man nur 43,706 Chinesen auf dem Australkontinent und in Neuseeland. Dem Inselreich Hawai, wo man 1883: 15,993 Chinesen zählte, hat diese Einwanderung den schrecklichen Aussatz gebracht. In neuester Zeit suchen Peru und im Hinblick auf die bevorstehende Emanzipation seiner Sklaven auch Brasilien die chinesische Auswanderung zu sich zu lenken.

Religionen.

Was die Religion und ihre Stellung zum Staat betrifft, so entspricht auf den ersten Blick C. den Wünschen eines modernen Staatsbürgers, da es kein Glaubensbekenntnis, keine feierliche Verpflichtung fordert, sich zu irgend einer bestimmten Religion zu bekennen. Praktisch genießt aber der Bekenner des Konfutsianismus politisch höheres Ansehen. Das Christentum ist der chinesischen Regierung deswegen besonders anstößig, weil es die Mitglieder mittels eines feierlichen Ritus, eines Sakraments, aufnimmt, als sollte man einer Art geheimer Gesellschaft angehören (vgl. Friedr. Müller, Reise der österreichischen Fregatte Novara, ethnographischer Teil, Wien 1868). Im einzelnen sind zu trennen: die alte Religion, die Lehren des Konfutse, die Lehren des Laotse, der Buddhismus und die durch gegenseitige Einwirkung dieser Religionssysteme aufeinander entstandene gegenwärtige Volksreligion. Die alte Religion des einzelnen war fast ausschließlich Ahnenkultus, der noch heute charakteristisch für chinesische Verhältnisse ist. Menschen und Naturgeister werden nicht gänzlich getrennt gedacht; die ganze Natur ist von Geistern (Schin) belebt. Der Himmel (Thian) ist das Höhere, die Erde (Ti) das Niedrigere. An der Spitze aller Geister steht der Himmel oder, wie man auch sagt, der Schangti, der "höchste Herrscher" oder Gott; in der philosophischen Sprache werden diese beiden Gegensätze durch Yang und Yin, etwa das männliche und weibliche oder das lichte und dunkle Prinzip, ausgedrückt. Durch die Zusammenwirkung von Himmel und Erde entstehen alle Wesen und das vorzüglichste derselben, der Mensch. Beim Tod erfolgt die Auflösung des Menschen in einen himmlischen und irdischen Teil; die Vorstellungen über diesen Unterschied sind zahlreich, doch herrscht in allen Äußerungen darüber wenig Klarheit. Auch über die Vorstellungen, welche sich die alten Chinesen von dem Zustand der Toten machten, finden sich nur wenige bestimmte Angaben. Die verstorbenen Herrscher werden als dem obern Kaiser (Gott) im Himmel zur Seite stehend gedacht; an andern Stellen wird der Aufenthaltsort der Toten unter die Erde verlegt, und dies ist jedenfalls später die herrschende Meinung geworden. Der Kaiser und die Ahnen aller werden noch als wirksam in Bezug auf das Schicksal ihrer Nachkommen auf Erden gedacht. Von Belohnung oder Bestrafung ist nirgends die Rede, die Gestorbenen bleiben in demselben Verhältnis zu ihren Fürsten etc. wie auf Erden; noch 621 v. Chr. wurden Menschen mit dem Fürsten begraben, um ihn in der andern Welt zu bedienen; auch gab man zu demselben Zweck hölzerne Menschengestalten ins Grab mit. Im einzelnen durchgebildet ist die Lehre von der Fortdauer nach dem Tod nicht, die Annahme einer Seelenwanderung findet sich nirgends. Ein Priesterstand fehlte;

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