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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Cholera

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Cholera (asiatische C., Geschichtliches).

In der ersten Zeit nach dem Anfall muß noch strenge Diät eingehalten werden: der Kranke muß sich auf flüssige Nahrung, Fleischbrühe mit Schleim, Milch etc., beschränken, sich sorgfältig vor Erkältung, besonders des Unterleibes, hüten und kann erst allmählich zur frühern Lebensweise zurückkehren. - Auch die sogen. C. der Kinder (C. infantum), welche im Sommer in großen Städten geradezu ungeheure Sterblichkeitsziffern erreicht, ist auf abnorme Zersetzung der Nahrung zurückzuführen. Am häufigsten betrifft diese Krankheit Säuglinge jeden Alters, welche künstlich aufgefüttert werden, sowie Kinder, welche schnell von der Mutterbrust entwöhnt worden sind. Die Kinder erbrechen bei dieser Krankheit alles, was in ihren Magen kommt. Die etwa genossene Milch kommt nicht verkäst, wie bei gesunden Kindern, sondern ungeronnen wieder zum Vorschein. Gleichzeitig mit dem Erbrechen werden auch die Ausleerungen abnorm. Dieselben bestehen aus einer sauer riechenden, grünlichen oder gelblichen Masse, vermischt mit weißlichen Klumpen, später aus wässerigen Ausscheidungen. Die Kinder verfallen dabei sehr schnell, magern ab, das Gesicht wird faltig und greisenhaft, Lippen und Hände sind bläulich und fühlen sich kühl an, es treten krampfhafte Zuckungen ein, und bald folgt der Tod durch Erschöpfung. Der ganze Verlauf der Krankheit drängt sich oft auf wenige Stunden zusammen. Manchmal geht der choleraähnliche Anfall vorüber, und es schließt sich eine leichtere Form des Darmkatarrhs an. Die Behandlung der C. der Kinder hat die doppelte Aufgabe, 1) die einmal eingeleiteten sauren oder sonst schädlichen Gärungen zu hemmen und 2) der Wiederholung solcher Zersetzungen vorzubeugen. Den ersten Zweck erreicht man zuweilen durch das Erbrechen und die Durchfälle an sich, zuweilen empfiehlt sich die Entleerung mittels der Magenpumpe oder bei kräftigen Kindern durch Abführmittel. Unterstützt wird das Verfahren durch Darreichung von Wein und Mitteln, welche die Zersetzung hemmen, Kreosotwasser, Kalomel etc. in vorsichtigen Gaben, die nur der Arzt bestimmen kann. Die Verhütung fernerer Zersetzungen verlangt sorgfältiges Überwachen der Nahrung; wenn keine Mutter- oder Ammenmilch gegeben werden kann, so muß die Kuhmilch, oder was sonst gegeben wird, jedesmal vor dem Genuß aufgekocht, Gläser, Pfropfen etc. müssen aufs sauberste gereinigt werden. Selbstverständlich sucht man das Kind durch Baden, gute Luft und aufmerksame Pflege möglichst zu kräftigen.

Die asiatische Cholera.

Die asiatische C. (C. morbus, C. orientalis, asiatica, indica, epidemica) hat ihre Heimat in Ostindien. Hier ist sie, wie es scheint, von jeher sowohl in vereinzelten Fällen als auch in kurz dauernden und wenig verbreiteten Epidemien aufgetreten. Aber erst 1817 trat die C. in Indien in größerer, seuchenartiger Ausbreitung auf und fing an, sich auf die Nachbarländer auszudehnen. Am Schluß des Jahrs 1818 war schon die ganze ostindische Halbinsel von der Krankheit durchzogen und furchtbar verheert worden. Die Seuche, deren eigentliche Ursache unbekannt war und blieb, begann fast an jedem Ort, wo sie sich zeigte, mit der äußersten Bösartigkeit, nahm dann an Heftigkeit ab und dauerte meist nur 2-3 Wochen; an einzelnen Orten freilich, z. B. in Kalkutta, hatte sie einen jahrelangen Bestand. Schon damals bemerkte man, daß die Seuche sich vorzugsweise im Verlauf der großen Verkehrswege, der Flüsse und Landstraßen, verbreitete. Von 1817 bis jetzt ist die C. in Indien nie mehr ganz erloschen; sie trat vielmehr bald an diesem, bald an jenem Punkt in großer Ausbreitung auf. Von Indien aus ging die C. zunächst nach Hinterindien, Sumatra, Mauritius (1819), dann nach ganz China, den Philippinen, Java (1820-21); erst von 1821 an nahm sie ihren Lauf nach Westen und Norden und überzog Persien und Arabien. Bis 1823 hatte sie die Küsten des Kaspischen Meers, die Küsten von Syrien und somit das Mittelländische Meer erreicht. Hier machte sie einen Stillstand. Das nahe bedrohte Europa blieb vorläufig noch verschont, während in Asien teils die früher befallenen, teils neue Landstriche durchseucht wurden. Erst 1829 brach die Krankheit wieder an den europäischen Grenzen, nämlich in Orenburg, und 1830 von neuem in Astrachan am Kaspischen Meer aus. Nach Orenburg wurde sie wahrscheinlich von der Tatarei, nach Astrachan von Persien her eingeschleppt. Die weitere Verbreitung der C. nach Europa geschah von Astrachan aus. Sie drang im Thal der Wolga aufwärts und erreichte binnen zwei Monaten Moskau (1830). Ganz Rußland wurde im Lauf dieses Jahrs von der C. überzogen; auch drang sie, begünstigt durch den russisch-polnischen Krieg, 1831 nach Westen zu bis Polen vor. In das Jahr 1831 fallen auch die ersten deutschen Epidemien, namentlich die von Berlin, Wien etc. Die Verbreitung der Krankheit in diesem Jahr war eine ungeheure: im Norden reichte sie bis Archangel, im Süden bis Ägypten, über die Türkei und einen Teil von Griechenland. Im J. 1832 kam die C. zum erstenmal nach London und über Calais nach Paris, auch erschien sie damals zuerst von England aus importiert in Amerika (Quebec). Nun folgten sich in Europa bis 1838 viele bald mehr zerstreute, bald in offenbarem Zusammenhang stehende Epidemien von denen teils bisher verschonte Strecken (wie z. B. Spanien 1833-34, Schweden 1834, Oberitalien 1836, München 1836), bald schon früher durchseuchte Orte befallen wurden (wie z. B. Berlin 1832 und 1837). Vom Jahr 1838 an aber blieb Europa fast zehn Jahre lang frei von der C. - Im J. 1846 begann ein neuer Zug der C. von Indien aus.

Noch in demselben Jahr ging sie über Persien und einen Teil der asiatischen Türkei bis Syrien und gleichzeitig in nordwestlicher Richtung über den Kaukasus nach Rußland vor. Die weitere Verbreitung geschah in großer Schnelligkeit nach Süden (Mekka 1847) und Nordwesten (Moskau im September 1847). Im J. 1848 fand eine rasche Verbreitung der Krankheit über ganz Ost-, Nord- und Mitteleuropa (Petersburg, Berlin, Hamburg, London) statt. Zu Ende jenes Jahrs erschien sie auch wieder in den großen Hafenstädten der Vereinigten Staaten von Nordamerika (New York, New Orleans). Im Frühling 1849 fand eine große Epidemie in Paris statt, worauf sich die C. über Frankreich und Belgien ausbreitete. Auch in Deutschland gewann die C. in den Jahren 1849 und 1850 große Verbreitung. Das Jahr 1851 war für Deutschland cholerafrei; dagegen brach sie im folgenden Jahr von Polen her in den östlichen Teilen Deutschlands aus, kam aber diesmal nicht über Berlin hinaus. Bis zum Jahr 1859 traten in den verschiedensten Ländern innerhalb und außerhalb Europas größere Seuchen auf. In diesem Jahr aber schien die Krankheit ihren zweiten großen Verheerungszug im wesentlichen beendigt zu haben. Ihren dritten großen Zug über den asiatischen und europäischen Kontinent trat sie 1865 an. Namentlich wurden 1866 viele Opfer durch die C. hinweggerafft, z. B. während des Kriegs in Böhmen, in Leipzig, Berlin, an den Küsten der Ostsee etc. Die Krankheit ist seitdem in

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