Schnellsuche:

Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Cholera

64

Cholera (der Kochsche Cholerapilz).

von Rob. Koch 1883 nach Ägypten gesandt wurde, vorbehalten, diese Frage zu lösen. Koch fand in dem Darminhalt von Cholerakranken, in der Darmwand von Choleraleichen, in der Wäsche und im Boden infizierter Ortschaften einen eigentümlichen, noch bei 1000facher Vergrößerung sehr kleinen Spaltpilz, welcher wegen leichter Krümmungen seiner Fädchen von ihm als Kommabacillus bezeichnet wurde. Dieser Pilz fand sich konstant in jeder Choleraleiche, aber nur im Darm, nicht im Blut oder in andern Organen. Die Menge der Pilze war eine ungeheure, sie stand in geradem Verhältnis zur Schwere der Darmerkrankung, zuweilen waren alle andern sonst im Darm vorkommenden Bakterien durch den Kommabacillus verdrängt. Es gelang Koch, den Pilz rein zu züchten, wobei sich ein Aussehen und ein Verhalten beim Wachstum herausstellten, durch die sich dieser Pilz von allen bisher bekannten in charakteristischer Weise unterscheidet (S. 63, Fig. 1). Übertragungen des Pilzes in den Magen von Tieren blieben unschädlich, jedoch scheint z. B. beim Meerschweinchen eine wirkliche C. zu entstehen, wenn der Mageninhalt vor dem Einbringen der Kommabacillen neutralisiert oder alkalisch gemacht und durch Opium die Darmbewegung gehemmt wird. Eine natürliche Übertragung, welche Koch in Indien beobachtete, ersetzt indessen den Mangel exakter Tierversuche, da der Bacillus sich in den Pfützen und Wasserlöchern, aus welchen die sehr unsaubern indischen Bewohner Kalkuttas trinken, in solchen Ortschaften, welche von der Seuche befallen waren, massenhaft vorfand, während er an cholerafreien Orten fehlte. Da der Bacillus später in Toulon, in Paris und Italien ganz regelmäßig bei allen Cholerakranken gefunden wurde und sonst nirgends vorkommt, wo nicht C. herrscht, so ist nicht zu zweifeln, daß er die Ursache der Seuche u. das bei der Übertragung wirksame "Choleragift" darstellt.

Hierdurch ist nun auch die Möglichkeit gegeben, die asiatische C. von jeder Art von anderm Brechdurchfall zu unterscheiden, da nur der eigentlichen C. der Kommabacillus eigen ist. Sehr leicht ist diese Unterscheidung übrigens nicht, da es andre in Komma- oder Spirillenform auftretende Pilze gibt, welche mit den echten Cholerapilzen verwechselt werden können.

Am ähnlichsten ist ihm ein Kommabacillus, welchen Prior und Finkler 1884 bei Fällen von einheimischer C. fanden (Fig. 2), und demnächst eine Spirille, welche Miller aus dem Mundspeichel (Fig. 3) gesunder Personen zuerst rein züchtete. Diese Ähnlichkeit bezieht sich jedoch nur auf die Gestalt der einzelnen Kommastäbchen, denn wenn die Pilze auf Gelatine in einem Reagenzglas kultiviert werden (s. Figuren, S. 63), so bildet der Cholerapilz höchst charakteristische Figuren, eine Luftblase, von welcher ein dünner weißer Faden abgeht, während die andern ähnlichen Bakterien schneller wachsen und die Gelatine mehr gleichmäßig verflüssigen und Figuren bilden, welche einem länglichen Beutel gleichen.

Auch wenn die Bakterien auf Glasplatten in dünnen Schichten von Gelatine kultiviert werden (Fig. 4), bilden die Cholerabacillen sehr eigentümliche Figuren, leicht ausgezackte Ringe mit weißem Pünktchen, welche durch Verflüssigung der Gelatine tief eingesunken sind und so im Durchschnitt die Gestalt eines Napfes (Fig. 5) erlangen; diese Figuren in Reinkulturen sind von denen aller übrigen Bakterien bestimmt zu unterscheiden, u. nur durch solche Kulturen kann in zweifelhaften Fällen festgestellt werden, ob einheimische oder asiatische C. vorliegt.

Dieser Pilz vermehrt sich außerhalb des menschlichen Körpers in Flüssigkeiten, welche das nötige Nährmaterial enthalten, z. B. Trink-, Grund- und andern Wassern mit tierischen Abfallstoffen, äußerst schnell, vermag dagegen sich nicht in trocknem Zustand zu erhalten und geht bei Temperaturen von 17° und darunter zu Grunde. Die Entstehung des Kommabacillus verlegt Koch in den südlichen Teil des Gangesdelta, wo eine zwischen den Flußläufen gelegene Niederung mit üppigster Vegetation regelmäßigen Überschwemmungen zur Zeit der Meeresflut unterliegt und bei der hohen Temperatur eine wahre Brutstätte für alle Bakterien bildet, denn von hier aus verbreitet sich die C. regelmäßig nach Norden über das übrige Gangesdelta, und zwar wird die Verschleppung in Indien selbst durch ein außerordentlich frequentiertes Pilgerwesen sehr begünstigt. Von hier aus wird die C. auf den verschiedensten Wegen des Verkehrs von Land zu Land verschleppt, bald durch Personen, bald durch Kleider und Waren; ja, es kann durch eine Person die Verschleppung über Hunderte von Meilen erfolgen, wie dies z. B. 1866 geschah, wo die C. von Odessa direkt nach Altenburg importiert wurde. Es ist nicht nötig, daß die Person, welche die Verschleppung bewirkt, selbst an schwerer C. erkrankt; vielmehr können schon die Dejektionen von einem leichten Choleraanfall, der als solcher noch gar nicht erkannt ist, in einem bisher davon freien Orte die C. importieren. In seltenen Fällen geschieht die Übertragung in der Weise, daß die Krankheit von dem Ankömmling unmittelbar auf die mit ihm in Berührung kommenden Menschen übertragen wird (wenigstens erlangt auf diese Weise die C. niemals eine epidemische Verbreitung); vielmehr wird an dem bisher gesunden Orte durch die ankommenden Cholerakranken ein sogen. Infektionsherd gebildet, d. h. wahrscheinlich eine Bodenvergiftung bewirkt, und von diesem Boden aus, besonders wenn derselbe durch Feuchtigkeit zur Vermehrung der Keime beiträgt, werden die umwohnenden Menschen gefährdet. Während nun in den 30er Jahren die C. gemäß der damaligen Verkehrsart langsam vorrückte und vornehmlich auf der Karawanenstraße über Rußland bei

^[Artikel, die unter C vermißt werden, sind unter K oder Z nachzuschlagen.]