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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Deutscher Orden

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Deutscher Orden (Organisation).

wesen (Burgen, Kriegsgeräte, Waffenfabriken, Pferde und Wagen), der oberste Spittler, dem die Krankenpflege und das ganze Spitalwesen, der oberste Trappier, dem die Beschaffung und Verteilung aller Kleidung, endlich der Treßler, dem die Verwaltung des gesamten Finanzwesens oblag. Diese und die Landmeister bildeten das Generalkapitel, die unter einem Landmeister stehenden Burgkomture sein Landkapitel. Das Generalkapitel hatte die maßgebende Mitwirkung an der gesetzgebenden Gewalt sowie bei der Entscheidung über Fragen von allgemeiner Wichtigkeit; es nahm die Rechenschaft entgegen, welche die zur Teilnahme berechtigten Gebietiger über ihre Amtsführung, zumal über Einnahmen und Ausgaben, abzulegen hatten, und wurde bei Ernennung, Absetzung und Beförderung derselben gehört. Dem entsprachen die Machtvollkommenheit der Landkapitel: Rechenschaftsabnahme und Ein- und Absetzung derjenigen Beamten, über welche der Landmeister nicht allein, sondern eben nur mit Zustimmung seines Kapitels verfügen durfte, Beratung und Entscheidung über die innere Landesordnung und über die Verhältnisse zum Ausland. Die Beamten, die überdies als Mitglieder eines geistlichen Ordens zu unbedingtem Gehorsam gegen ihre Obern verpflichtet waren, blieben so lange in ihren Stellen, bis sie entweder untüchtig und unbrauchbar oder einer Beförderung würdig erschienen; der Hochmeister dagegen, der nur in ganz besondern Fällen abgesetzt werden konnte, wurde stets auf Lebenszeit gewählt und zwar auf einem Generalkapitel, meist auf einem dazu besonders berufenen, außerordentlichen. -

Die zur vollen Mitgliedschaft aufgenommenen Brüder, die rittermäßigen Standes sein mußten, zerfielen, dem doppelten Zweck des Ordens entsprechend, in Ritterbrüder und Priesterbrüder; neben ihnen gab es, wie in allen geistlichen Körperschaften, auch dienende Brüder niedern Standes (Graumäntler); zu gewissen Dienstleistungen (in den Hospitälern und auf den Höfen) konnten auch weibliche Personen als Halbschwestern aufgenommen werden. Damit ferner der Orden mehr Leuten nütze sein möge, wie es in den Statuten heißt, in Wirklichkeit aber wohl mehr, um die Verrichtung, für das Wohl des Ordens mitzuwirken, auf weitere Kreise auszudehnen und um Erbschaften zu erlangen, war es auch weltlichen Leuten, verheirateten und unverheirateten, gestattet, "die Heimlichkeit des Ordens zu empfangen", ohne daß sie aus ihrem Stand austraten; zum Zeichen trugen sie Kleider von geistlicher Farbe mit einem halben Kreuz. Genauere Einsicht in das Wesen und die Verwaltung des Ordens gewähren die Statuten oder Ordensbücher, von denen das älteste vorhandene Exemplar (in deutscher Sprache) der zweiten Hälfte des 13. Jahrh. angehört.

Neben den oben angedeuteten Güterschenkungen liefen schon in den ersten Jahrzehnten des Bestehens des Ordens Verleihungen stattlicher Rechte und Privilegien durch Päpste, Kaiser und Könige her. Nach den päpstlichen Privilegien, welche in der Hauptbulle Honorius' III. vom 15. Dez. 1220 zusammengefaßt sind, war die Stellung des Ordens zu Kirche und Geistlichkeit folgende: Von den Besitzungen, welche er bereits vor dem großen Laterankonzil von 1215 besaß, durfte niemand von ihm den Zehnten fordern, sondern nur von den später erworbenen; nahm der Orden Geistliche, die nicht zu ihm selbst gehörten, an, so hatte über sie nicht der Diözesanbischof, sondern Meister und Kapitel die Jurisdiktion, andre bischöfliche Funktionen aber (Weihe von Altären und Kirchen, Einsetzung von Geistlichen und andre kirchliche Sakramente) standen dem Meister nicht zu, sondern blieben dem Bischof vorbehalten, allerdings zu unentgeltlicher Leistung; in Gebieten endlich, die der Orden den Heiden abnahm, durfte er Kirchen und Kapellen anlegen, die nur dem päpstlichen Stuhl unterworfen sein sollten. Vom König von Jerusalem erhielt der Orden, wie später auch in andern Ländern, Zollfreiheit und als Besserung seines Wappens auf seinem schwarzen Kreuz das goldene Kreuz Jerusalems (nach der Tradition 1219). Kaiser Friedrich II. verlieh ihm das Recht, Reichslehen und Allodien durch Schenkung oder Kauf an sich zu bringen, und gewährte dem Hochmeister sowie dem Landmeister in deutschen Landen eine bestimmt geregelte, sehr gastfreie Aufnahme am Hof.

Als erste Vorsteher des Deutschen Ordens kennen wir aus der Zeit des Hospitals Siegebrand, Gerard (anderwärts Curandus) und Heinrich, dann Hermann Walpoto, dem in der Versammlung vom März 1198 die Meisterwürde übertragen wurde, und nach ihm Otto und Heinrich (anderwärts Hermann). Alle werden gelegentlich in Urkunden erwähnt, dagegen der letzte nur in schriftstellerischen Quellen; der Zusatz v. Bassenheim beim Namen des ersten Meisters sowie die herkömmlichen Familiennamen der andern und die bestimmten Daten für Anfang und Ende ihrer Regierungen gehören erst der Überlieferung des 15. Jahrh. an. Selbst von dem nächsten Meister, dem großen Hermann v. Salza, kennen wir nicht das Datum der Wahl, sondern wissen nur, daß er 15. Febr. 1211 zum erstenmal urkundlich erwähnt wird. In dem langen, erbitterten Streit zwischen Kaiser Friedrich II. und der Kurie, der beinahe das ganze Abendland zerriß und jeden Versuch, die Ungläubigen in Palästina mit vereinten Kräften zu bekämpfen, unmöglich machte, war und blieb Hermann v. Salza der entschiedene, unwandelbar treue Freund und Anhänger des Kaisers; aber dennoch wußte er sich auch durchaus die Achtung und Zuneigung der Päpste zu gewinnen und zu erhalten, so daß er mehrmals den Vermittler zwischen Kaiser und Papst spielen konnte. Nicht bloß Privilegien wußte er seinem Orden zu gewinnen, sondern er legte auch durch ausgedehnten Landerwerb den Grund zu einer Macht und Bedeutung desselben, wie sie keiner der andern während der Kreuzzüge entstandenen Ritterorden auch nur annähernd erreicht hat. Der erste Erwerb freilich war nur vorübergehend. 1211 schenkte der König Andreas von Ungarn dem Deutschen Orden das Land Burza in Siebenbürgen, um die Angriffe der wilden Kumanen abzuwehren und das Land selbst zu kultivieren. Kaum aber hatte der Orden das Gebiet durch Anlegung von Burgen einigermaßen gesichert und Anbau und Kolonisation befördert, als der König es ihm wieder entriß. Daß es nach einigen Jahren der Dazwischenkunft und Ermahnung des Papstes gelang, den König zur Rückgabe des Landes und zur Erweiterung der Freiheiten und Gerechtsame des Ordens zu bewegen, half nicht viel; denn 1225 wurden die Ritter abermals durch den König aus dem Burzenland vertrieben und diesmal für immer.

Fast genau zu derselben Zeit gewann der Orden das Anrecht zu dem bedeutendsten und folgenreichsten Landerwerb. Seit mehreren Jahrzehnten waren die nördlichen Teilfürstentümer Polens von den durch frühere Angriffskriege gereizten heidnischen Preußen in die äußerste Bedrängnis gebracht und standen ihnen zuletzt fast wehrlos gegenüber. Endlich entschloß sich der Herzog Konrad von Kujavien und