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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Deutschland

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Deutschland (Reichsfinanzen).

Budget- oder Finanzperiode ist eine einjährige, indem der Versuch der Reichsregierung, zweijährige Budgetperioden einzuführen, wiederholt an dem Widerspruch des Reichstags scheiterte. Wie das Budget vom Bundesrat mit dem Reichstag vereinbart wird, so haben auch beide Körperschaften das Recht der Kontrolle der Reichsfinanzverwaltung. Die Vorprüfung der jährlich zu legenden Rechnungen erfolgt durch die preußische Oberrechnungskammer in Potsdam, welche zugleich als "Rechnungshof des Deutschen Reichs" fungiert. Für die Verwaltung des Reichskriegsschatzes und der Reichsschuld besteht die besondere Kontrolle der Reichsschuldenkommission, welche auch die Verwaltung des Reichsinvalidenfonds überwacht. Sowohl der Bundesrat als auch der Reichstag hat zu der Entlastung des Reichskanzlers die jährlich zu legenden Rechnungen der Reichsverwaltungen zu genehmigen. Das Finanzjahr läuft seit 1877 vom 1. April bis zum 31. März.

Einnahmen des Reichs.

Was die laufenden Einnahmen des Reichs anbetrifft, so kommen 1) privatrechtliche Einnahmen aus den Betriebsergebnissen der Reichseisenbahnen, Zinsen der bereits erwähnten Fonds, Gewinn aus der Münzprägung auf Rechnung des Reichs, Einnahmen aus dem Betrieb der Reichsdruckerei in Berlin, Kaufgelder aus Verkäufen für Rechnung des Reichs etc. in Betracht. Dazu kommen 2) die für Rechnung des Reichs zu erhebenden Gebühren, insbesondere die in der Reichspost- und Telegraphenverwaltung anfallenden. Aus diesen werden zunächst die laufenden Kosten ebendieser Verwaltung bestritten, während der beträchtliche Überschuß in die Reichskasse fließt. Für das Etatsjahr 1886/87 ist dieser Überschuß bei einer Gesamteinnahme von 180,300,820 Mk. (gegen 170,225,800 Mk. im Vorjahr) auf 28,592,274 Mk. veranschlagt. In jener Gesamteinnahme figurieren die Porto- und Telegrammgebühren mit 163,100,000 Mk., Personengeld 2,385,000 Mk., Gebühren für Bestellung von Postsendungen 8,130,000 Mk. und 3,600,000 Mk. vom Absatz der Zeitungen. Die Einnahmen der selbständigen bayrischen und württembergischen Postverwaltungen fließen in die Landeskassen der beiden Staaten. Dafür haben die letztern aber auch an den Einnahmen aus der Reichspost- und Telegraphenverwaltung keinen Anteil und müssen ebendeshalb höhere Matrikularbeiträge zahlen. Außerdem kommen Gebühren für gewisse Handlungen der Reichsbehörden, z. B. der Konsuln, des Patentamts, Sporteln des Reichsgerichts u. dgl., für die Reichskasse zur Erhebung.

3) An Steuern fließen in diese Kasse die Verbrauchssteuern von inländischem Salz, Tabak, Branntwein, Bier und von dem aus Rüben oder andern inländischen Erzeugnissen dargestellten Zucker sowie die Zölle. Die Erhebung der gemeinschaftlichen Zölle und Verbrauchssteuern ist Sache der Einzelstaaten; der Reinertrag fließt in die Reichskasse. Die außerhalb des Zollgebiets liegenden Teile des Reichs tragen zu den Reichsausgaben durch die Zahlung von Aversen in entsprechend erhöhter Weise bei. In Bayern, Württemberg und Elsaß-Lothringen ist jedoch die Besteuerung des Biers und des Branntweins nicht Reichssache. Sie haben daher an den betreffenden Reichseinnahmen keinen Anteil und zahlen statt dessen Aversa an die Reichskasse. Die Zolleinnahmen beliefen sich vor dem neuen Zolltarif von 1879 auf 114 Mill. Mk. brutto und 105 Mill. netto (Etat 1879/80). Im Etat für 1884/85 dagegen waren dieselben auf 196,450,000 Mk. netto veranschlagt. Hierzu kamen 17,434,000 Mk. an Erhebungs- und Verwaltungskosten, so daß die Zollbruttoeinnahme nach dem Etat rund 214 Mill. Mk. betrug. Nach dem Etat pro 1885/86 ist die Nettoeinnahme auf 199,820,000 Mk., nach dem Etat pro 1886/87 infolge der Zollerhöhungen von 1885 auf 245,720,000 Mk. veranschlagt. Was die Erträgnisse der einzelnen Zölle anbetrifft, so gingen z. B. 1884 aus Kaffee 44,5 Mill. Mk., Tabak 31,2, Getreide 23,8, Wein und Obstwein 14,7, Baumwollengarn 5,1, Vieh 3,5, Bau- und Nutzholz 3, Reis 2,9, Gewürzen 2,9, Südfrüchten 2,8, Heringen 2,8, Roheisen 2,7, Thee 1,5 Mill. Mk. ein. Auch die Tabaksteuer ist seit 1879 so erhöht, daß sie jetzt etwa 8 Mill. Mk. anstatt früher 1 Mill. einbringt. Etatisiert waren die Erträgnisse der Tabaksteuer 1881/82 mit 4,6 Mill. Mk., 1882/83: 11, 1883/84: 13,6, 1884/85: 13,9, 1885/86: 10,673,300, 1886/87: 7,656,000 Mk. Bezüglich der jährlichen Erträgnisse aus den Zöllen und aus der Tabaksteuer besteht die Einrichtung (Antrag "Franckenstein"), daß 130 Mill. Mk. davon in der Reichskasse verbleiben, während der Überschuß über diese Summe nach dem Verhältnis der Kopfzahl der Bevölkerung in die Kassen der Einzelstaaten zurückfließt. Nach dem Etat pro 1886/87 beläuft sich diese Rückzahlung auf 128,600,000 Mk. Dagegen verbleiben die Nettoerträgnisse der Rübenzucker-, Salz-, Branntwein- und Brausteuer dem Reich. Die Zuckersteuer hat einen Rückgang erfahren infolge des allzu großen Exports und der damit zusammenhängenden Krisis. Die Rübenzuckersteuer beträgt nämlich seit dem Gesetz vom 26. Juni 1869: 80 Pf. vom Zentner roher Rüben. Bei der Ausfuhr von Zucker wird die Steuer zurückvergütet und zwar mit 9 Mk. 40 Pf. pro Zentner Zucker, seit dem Gesetz vom 7. Juli 1883 aber nur noch mit 9 Mk. Diese Exportvergütung war und ist zu hoch, nachdem es die Fortschritte der Fabrikation gestatten, jetzt aus einer viel geringern Rübenmenge einen Zentner Zucker herzustellen, als dies bei dem Erlaß des Gesetzes vom 26. Juni 1869 der Fall war. So kommt es, daß der Zuckerfabrikant für den exportierten Zucker mehr vergütet erhält, als er für das Rohmaterial an Steuern bezahlt hat. Hieraus erklärt sich der Rückgang der Zuckersteuer, deren Nettoertrag sich 1873 auf 58,2 Mill. Mk. und 1875 auf 59,5 Mill. Mk. belief, während er 1878/79: 44,8, 1879/80: 48, 1880/81: 42,9, 1881/82: 36,3, 1882/83: 46 und 1883/84 nur 37,8 Mill. Mk. betrug, indem er in dem letztgedachten Etatsjahr um 6,7 Mill. Mk. hinter dem Etatsansatz zurückblieb, so daß dies Etatsjahr mit einem Defizit von 1,9 Mill. Mk. abschloß, während das Vorjahr noch einen Überschuß von 15 Mill. Mk. aufzuweisen hatte. Pro 1886/87 ist der Nettoertrag auf 37,5 Mill. Mk. veranschlagt, indem von der Bruttoeinnahme von 149,5 Mill. Mk. an Exportvergütungen 106 Mill. Mk. und an Erhebungs- und Verwaltungskosten 5,9 Mill. Mk. abgehen. Eine anderweite Normierung der Zuckersteuer ist in Aussicht genommen. Auch eine Umgestaltung der Branntweinsteuer wird, nachdem das Projekt eines Branntweinmonopols vom Reichstag abgelehnt worden ist, angestrebt, ebenfalls mit Rücksicht auf die veränderten und verbesserten Fabrikationsverhältnisse. Namentlich wird der Übergang zur Fabrikatsteuer von den Gegnern der dermaligen Maischraumsteuer empfohlen, welch letztere seit 1854 unverändert 30 Pf. für 20 Quart Maischraum beträgt. So kommt es, daß trotz der Zunahme der Bevölkerung der Jahresanfall dieser Steuer sich nahezu gleichbleibt. Derselbe belief sich 1874, 1875 und 1876 auf 48, 52 und 49 Mill.