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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Deutschland

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Deutschland (Geschichte 1075-1125. Fränkische Kaiser).

Reformation der Kirche, die Heinrich III. unternommen, eifrig befördert und durch das Dekret Nikolaus' II. 1059, welches die Wahl der Päpste dem Kardinalskollegium übertrug und die Befugnis des Kaisers auf ein unbestimmtes, bald gänzlich mißachtetes Bestätigungsrecht beschränkte, die Unabhängigkeit des Papsttums erreicht. Als er 1073 selbst den Stuhl Petri bestieg, beschloß er, der Kirche als der allein sittlich berechtigten Macht in der Welt nicht bloß völlige Freiheit von aller weltlichen Gewalt zu verschaffen, sondern, da auch er an der Idee einer Weltherrschaft festhielt, die sich nur in der päpstlichen Hierarchie, nicht im Kaisertum verkörpern müsse, die Unterordnung aller weltlichen Gewalten, selbst der höchsten, unter das Papsttum durchzusetzen. Durch das Gebot des Cölibats suchte er die Geistlichkeit vom Volk loszureißen und ganz an die Kirche zu fesseln. Die Einsetzung (Investitur, s. d.) der Bischöfe und Äbte wollte er nicht bloß durch strenges Verbot der Simonie von unerlaubter Vermischung mit egoistischen Motiven befreien, sondern beanspruchte sie als alleiniges Recht für die Kirche. Hiermit focht er nicht bloß die kaiserliche Oberhoheit an, sondern beeinträchtigte in einem wichtigen Punkte die Machtstellung des deutschen Königtums, das der hohen Geistlichkeit bedeutende weltliche Rechte und Besitzungen zugestanden hatte, welche die Bischöfe und Äbte den mächtigsten Reichsfürsten gleichstellten, dafür aber die Ernennung und Belehnung der geistlichen Reichsfürsten beanspruchte und auch bisher unbeanstandet vollzogen hatte.

Durch die Verletzung kaiserlicher Rechte in Oberitalien von seiten Gregors schon längst gereizt, durch eine hochmütige Vorladung des Papstes an ihn, um sich wegen Simonie vor seinem Richterstuhl zu verantworten, und durch päpstliche Einmischung in die Angelegenheit der unterworfenen sächsischen Bischöfe aufs äußerste erbittert, nahm Heinrich IV. im Vollgefühl seines Siegs über die Sachsen den Kampf gegen das Papsttum auf, indem er durch eine Synode deutscher Bischöfe in Worms im Januar 1076 Gregor VII. absetzen ließ. Dieser antwortete mit dem Bannstrahl, welcher den deutschen Fürsten den ersehnten Vorwand gab, von neuem vom König abzufallen und das drückende Joch einer starken Monarchie abzuschütteln. Mit Einem Schlag sah sich Heinrich der Früchte seines Siegs beraubt. Ebenso kleinmütig und verzagt im Unglück wie übermütig im Glück, ließ er es geschehen, daß die Fürsten im Oktober 1076 in Tribur über ihn zu Gericht saßen, und unterzog sich allen Demütigungen, um nur seine sofortige Absetzung zu verhindern. Doch wurde dieselbe bloß aufgeschoben; auf einem Reichstag in Augsburg im Februar 1077 sollte sie unter Vorsitz des Papstes erfolgen. Dies vereitelte Heinrich, indem er durch seine schimpfliche Buße zu Canossa Gregor zur Aufhebung des Bannes nötigte. Als die enttäuschten Fürsten dennoch zur Absetzung Heinrichs und zur Wahl eines neuen Königs in der Person Rudolfs von Schwaben schritten, der das Wahlrecht der Fürsten ausdrücklich anerkennen mußte, ermannte sich Heinrich IV. und griff, unterstützt von dem niedern Adel und den Städten, tapfer zum Schwert. Nach hartnäckigen Kämpfen fiel Rudolf in der Schlacht bei Zeitz (1080), und wenn auch die Sachsen den Widerstand noch einige Zeit fortsetzten, sogar in Hermann von Lützelburg einen neuen Gegenkönig wählten, so war doch die Kraft der Empörung in D. gebrochen. Heinrich zog daher 1081 nach Italien und nahm Rom ein, wo er einen Gegenpapst, Clemens III., auf den päpstlichen Thron setzte und sich von ihm zum Kaiser krönen ließ; Gregor VII. wurde von den Normannen aus der Engelsburg gerettet und starb 1085 in Salerno im Exil. Aber einen dauernden Sieg über die Kirche hatte der Kaiser damit nicht erzielt. Die Macht des Papsttums bestand in seiner Herrschaft über die Geister und Gemüter, welche durch den gleichzeitigen religiösen Aufschwung der Kreuzzugsbewegung aufs höchste gesteigert wurde. Dieser Hydra gegenüber war die auf die schwankende Treue habsüchtiger Vasallen begründete Gewalt des Kaisers machtlos. Immer neue Empörungen reizte die Hierarchie gegen Heinrich IV. auf, den sie mit unversöhnlichem Haß verfolgte; seine eignen Söhne erhoben, von der Kirche verführt, gegen ihn die Fahne des Aufruhrs, erst Konrad (1092), dann Heinrich (1105). Diesem Schlag erlag der schwer geprüfte Mann 1106.

Heinrich V. (1106-25) verdankte zwar der päpstlichen Partei und den Fürsten die Krone, aber sowie er sich allgemein anerkannt sah, versuchte er sowohl der Kirche als den Vasallen gegenüber die kaiserlichen Rechte unverkürzt zur Geltung zu bringen. Durch Klugheit und rücksichtslose Energie erzwang er auf seinem Römerzug 1111 von Papst Paschalis einen Vertrag, der ihm die Einsetzung der Geistlichkeit ausdrücklich zugestand. Aber gerade da zeigte sich, wie wehrlos die materielle Gewalt der Kaiser gegen die geistige der Kirche war. Paschalis brach zwar den Vertrag nicht, wohl aber eröffneten die Kardinäle und ein Teil des Klerus den Kampf von neuem mit Bannflüchen und aufrührerischen Agitationen. Als das kaiserliche Heer im Kriege gegen die aufständischen sächsischen Großen 1115 am Welfesholz unterlag, als der Friede mit dem Papste durch den Streit über die Mathildische Erbschaft wieder gebrochen wurde, sah sich Heinrich V. genötigt, mit Papst Calixtus II. über einen Vergleich zu unterhandeln und im Wormser Konkordat 1122 den entscheidenden Anteil an der Einsetzung der geistlichen Fürsten der Kirche einzuräumen. 1125 starb er kinderlos in Utrecht. Mit ihm erlosch das fränkische Kaiserhaus, dessen Regierung so glänzend begonnen hatte, das aber die politische und Kulturentwickelung Deutschlands nicht förderte. Die weltlichen Großen hatten durch die Erblichkeit aller Lehen ihre Unabhängigkeit und Macht verstärkt, die Bischöfe hingen nicht mehr vom Kaiser, sondern vom Papst ab, der die Kirche mit monarchischer Gewalt regierte und in dem Streben nach Weltherrschaft das Kaisertum überholt hatte; die Kolonisationen des deutschen Volkes im Osten waren zerstört, die dortige Grenze seit der Ottonenzeit zurückgegangen und durch slawische Barbarei gefährdet; durch die innern Kämpfe war D. dem großartigen geistigen Aufschwung der romanischen Völker, der sich im ersten Kreuzzug offenbarte, fern gehalten worden und in der Pflege der Künste und Wissenschaften hinter den andern Kulturvölkern des Abendlandes zurückgeblieben und nun gab das Erlöschen der Dynastie den Großen Gelegenheit, ihren Anspruch auf die freie Wahl des neuen Herrschers geltend zu machen.

Die staufische Zeit.

Die natürlichen Erben der Salier waren die staufischen Brüder Friedrich von Schwaben und Konrad von Franken. Sie waren Neffen Heinrichs V.; auf sie gingen dessen Eigengüter über, und Friedrich hatte der sterbende Kaiser die Reichsinsignien übergeben. Aber gerade weil Friedrich ein Anhänger des erloschenen Kaiserhauses gewesen, weil er der Erbe desselben, überdies ein mächtiger Reichsfürst war, wählten die in Mainz versammelten Fürsten auf Antrieb des