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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Deutschland

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Deutschland (Geschichte 1338-1400. Karl IV., Wenzel).

kaiserliche Würde unmittelbar von Gott allein herstamme, und daß der von den Kurfürsten Erwählte sofort und durch die Wahl allein König und Kaiser werde, folglich der Anerkennung und Bestätigung des apostolischen Stuhls nicht bedürfe. Aber bald geriet Ludwig durch die übermäßige Erweiterung seiner Hausmacht mit den Fürsten in Konflikt. Schon 1323 war es ihm gelungen, für seine Familie ein mächtiges Fürstentum zu gewinnen, indem er nach dem Aussterben der Askanier (1320) die Mark Brandenburg seinem ältesten Sohn, Ludwig, übertrug; dann hatte er sich in zweiter Ehe mit der Erbin von Holland, Zeeland, Friesland und Hennegau vermählt und mit diesen Landen seinen zweiten Sohn belehnt; 1341 erklärte er ferner die in seiner Hand vereinigten Herzogtümer Ober- und Niederbayern für unteilbar. Damit nicht zufrieden, vermählte er 1342, um Tirol zu erwerben, die Gräfin Margarete Maultasch, Erbin von Tirol und Kärnten, mit seinem Sohne, nachdem er ihre erste Ehe mit Johann Heinrich von Luxemburg, einem Sohn Johanns von Böhmen, eigenmächtig getrennt hatte. Diese Ländergier empörte die Fürsten, sein Eingriff in kirchliche Rechte zog ihm von neuem den päpstlichen Bann zu. Auf Antrieb des Papstes vereinigten sich fünf Kurfürsten 1346 in Rhense zur Absetzung Ludwigs und zur Wahl Karls von Luxemburg, welcher die Ansprüche des Papstes wieder in weitestem Umfang anerkannte. Ludwig war zwar gewillt, seine Krone mit Gewalt zu verteidigen, starb jedoch schon 1347. Sein Sohn Ludwig von Brandenburg setzte den Widerstand gegen Karl noch eine Zeitlang fort und stellte in Günther von Schwarzburg einen Gegenkönig auf. Indes das Auftreten des falschen Waldemar in Brandenburg, den Karl anzuerkennen nicht säumte, bewog ihn zu einer Verständigung mit den Luxemburgern. Günther starb, nachdem er gegen 22,000 Mk. Silber auf seine Kronansprüche verzichtet, bereits 1349.

So war nun Karl IV. (1346-78) unbestrittener Herr in D., das jedoch von der Herstellung des innern Friedens nicht viel Vorteil zog, da es gerade damals von einer furchtbaren Pest, dem Schwarzen Tode, der namentlich am Rhein wütete, heimgesucht wurde. Karl unternahm 1355 eine Romfahrt, um sich von einem Kardinal zum Kaiser krönen zu lassen, mußte sich aber gegen den Papst verpflichten, sofort nach der Krönung Rom zu verlassen; den Rest der Reichsrechte in Italien wahrte er nicht, sondern er verkaufte ihn an die Städte und Dynasten. In D. suchte er eine festere oligarchische Verfassung zu begründen, indem er nach längern Verhandlungen mit den Reichsständen 1356 auf dem Reichstag zu Metz die Goldene Bulle (s. d.), das erste umfassende Reichsgrundgesetz, erließ. Durch diese wurde einmal das bestehende Wahlrecht gesetzlich anerkannt: die Erzbischöfe von Mainz, Trier und Köln und die weltlichen Fürsten von Sachsen-Wittenberg, Pfalz, Böhmen und Brandenburg wurden als Kurfürsten bestätigt, womit dem Streit in den Häusern Wittelsbach und Sachsen über die Führung der Kurstimme ein Ende gemacht wurde, und, um fernern Streitigkeiten vorzubeugen, bestimmt, daß fortan diejenigen Lande, an denen die Kurstimme haftete, unteilbar und nach dem Rechte der Erstgeburt erblich sein sollten. Die Wahl sollte durch die Majorität der Stimmen entschieden werden; des Papstes und seines angeblichen Bestätigungsrechts ward nicht Erwähnung gethan. Wahlstadt sollte Frankfurt, Krönungsstadt Aachen sein. Alljährlich sollten die Kurfürsten mit dem Kaiser zur Beratung wichtiger Reichsangelegenheiten zusammenkommen.

Die oligarchische Verfassung, zu welcher durch die Goldene Bulle der Grund gelegt war, und wonach die eigentliche Leitung des Reichs dem Kurfürstenkollegium zufiel, während der Kaiser auf Ehrenrechte beschränkt wurde, hätte segensreich für D. werden und namentlich den Landfrieden fest und dauernd begründen können. Indes auch dazu kam es nicht. Der Kaiser entschlug sich doch in den wichtigsten Dingen des Beirats der Kurfürsten, diese verfolgten meist nur ihre eigennützigen Interessen, und ihre Privilegien reizten die übrigen Stände, sich auch in Besitz dieser bevorzugten Stellung zu setzen, was ihnen teilweise gelang. Karl IV. widmete seine Regententhätigkeit fast ausschließlich seinen Erblanden, und durch eine umsichtige Finanzverwaltung erzielte er in der Hebung ihres Wohlstandes und ihrer Kultur und in ihrer Vermehrung bedeutende Erfolge. Böhmen wurde ein blühendes, gewerbthätiges Land, in Prag, das er durch herrliche Bauten schmückte, stiftete er 1348 die erste deutsche Universität. 1353 erwarb er einen Teil der Oberpfalz, bald darauf die Lehnshoheit über ganz Schlesien und die Reichsstadt Eger mit ihrem Gebiet, 1363 zu der schon früher mit Böhmen vereinigten Oberlausitz auch die Niederlausitz; 1373 endlich kaufte er von dem wittelsbachischen Markgrafen Otto die Mark Brandenburg, welche er formell seinem Sohn Wenzel übertrug, thatsächlich aber selbst regierte. So vereinigte er im Osten Deutschlands ein zusammenhängendes Gebiet unter seiner Herrschaft, das von der Donau bis fast an die Ostsee reichte. Aber noch weiter reichten seine Blicke. Er faßte auch die Erwerbung der Königreiche Polen und Ungarn für sein Haus ins Auge, indem er mit Ludwig d. Gr. Verhandlungen anknüpfte über eine Vermählung seines Sohns Siegmund mit dessen Erbtochter. Er plante also die Bildung eines großen luxemburgischen Reichs im Osten Europas. Dagegen gab er das Königreich Burgund völlig preis, indem er durch Ernennung des französischen Dauphins zum Generalvikar des burgundisch-arelatischen Königreichs (1377) die Verbindung desselben mit D. löste.

Karls mit so überraschendem Erfolg geschaffenes Werk ging freilich unter seinem Nachfolger wieder zu Grunde. Wenzel (1378-1400), gegen die Bestimmung der Goldenen Bulle noch bei Lebzeiten des Vaters gewählt, wußte die Einheit des luxemburgischen Hauses nicht aufrecht zu erhalten. Sein Oheim, Markgraf Jobst von Mähren, und sein Bruder Siegmund, der die Mark Brandenburg erhielt und später durch seine Heirat mit Ludwigs d. Gr. Tochter Maria das Königreich Ungarn erwarb, standen Wenzel nicht nur nicht zur Seite, sondern halfen seine Macht in Böhmen schwächen, indem sie sich mit den aufrührerischen Ständen gegen ihn verbündeten; Wenzel geriet einige Zeit in deren Gefangenschaft und mußte 1401 die Lausitz an Jobst abtreten. Nicht einmal in seinen Erblanden Herr, war Wenzel natürlich noch weniger in D. im stande, sein Ansehen zu behaupten. Anfangs zeigte er die Absicht, die Aufrechterhaltung des Landfriedens zu sichern, und veranlaßte auf den Reichstagen zu Nürnberg (1383) und Heidelberg (1384) dahin zielende Beschlüsse. Aber ihre Durchführung gegenüber dem Widerstreben aller Stände war ihm nicht möglich. Je weniger bisher die Reichsgewalt die niedern Stände, die Städte und die Ritter, berücksichtigt hatte, desto mehr sträubten sich diese, sich ihrer Autorität zu unterwerfen und die selbständige Verfolgung ihrer Sonderinteressen auf Reichsgebot einzustellen. Wie im Norden der Städtebund der Hansa allein durch eigne Kraft, ohne Hilfe