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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Deutschland

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Deutschland (Geschichte 1660-1688. Leopold I.).

bärmlich, daß die reichen Länder nicht die notdürftigsten Kosten aufzubringen vermochten und der Kaiser von fremden Subsidien abhängig war.

Die nach neuen Eroberungen in D. lüsterne schwedische Habgier war durch den Bund des Kaisers mit Brandenburg, Polen und Dänemark 1658-60 abgewehrt und Schweden in seine Grenzen zurückgewiesen worden. An der Westgrenze aber machte Ludwig XIV., auch nachdem seine Kaiserwahl vereitelt worden, immer bedrohlichere Fortschritte, indem er im Kampf mit Spanien die 1556 an dieses überlassenen burgundisch-niederländischen Provinzen stückweise in seinen Besitz zu bringen wußte und die Ausdehnung Frankreichs bis an seine natürliche Grenze, den Rhein, offen beanspruchte. Im Pyrenäischen Frieden (1659) erwarb er ein wichtiges Stück von Flandern; im Devolutionskrieg suchte er die ganzen spanischen Niederlande zu annektieren, und weder Kaiser noch Reich hätten ihn daran gehindert: der Aachener Friede, den ihm die Tripelallianz der Seemächte mit Schweden 1668 aufnötigte, ließ ihm den Besitz von zwölf wichtigen Festungen. Viele Fürstenhöfe standen in französischem Sold, und der französische Gesandte war auf dem Reichstag in Regensburg die einflußreichste Persönlichkeit. Der Herzog von Lothringen, dessen Fürstentum die Verbindung Frankreichs mit dem Elsaß unterbrach, wurde, als er sich der französischen Botmäßigkeit nicht unbedingt fügen wollte, 1670 ohne weiteres verjagt und seines Landes beraubt. Die Herrschsucht und Anmaßung des französischen Eroberers überschritten endlich alles Maß und zwangen dem Kaiser und dem Reich die Waffen in die Hände. Als Ludwig XIV. 1672 im Bund mit den Bischöfen von Köln und Münster die vereinigten Niederlande überfiel, um sie für die Tripelallianz zu züchtigen, sammelte er seine Truppen auf deutschem Reichsgebiet und besetzte mit ihnen die klevischen Städte. Ein kaiserliches und ein brandenburgisches Heer rückten an den Rhein, um die Reichsgrenzen zu schützen. Bei der Zurückweisung desselben drangen die Franzosen bis tief in das Innere des Reichs ein, besetzten Trier, verwüsteten die Pfalz und unterjochten die zehn Reichsstädte im Elsaß. Jetzt ermannten sich Kaiser und Reich zu einer Kriegserklärung an Frankreich, und kaiserliche und deutsche Reichstruppen kämpften 1674 bis 1678 im Verein mit denen Spaniens und Hollands am Rhein, während gleichzeitig die norddeutschen Fürsten den frechen Angriff Schwedens zurückwiesen. Die Heere der Koalition kämpften tapfer und nicht unglücklich; im Norden errang der Große Kurfürst über die Schweden den glänzenden Sieg von Fehrbellin (28. Juni 1675) und entriß ihnen ganz Pommern. Indes die materiellen Hilfsmittel der Verbündeten waren bald erschöpft, ihre Feldherren und Staatsmänner durchkreuzten bei der Kriegführung und bei den Friedensverhandlungen durch Mißtrauen und Eifersüchteleien gegenseitig ihre Pläne, und so trug Ludwig XIV. endlich doch über die uneinige Koalition den Sieg davon. Im Frieden zu Nimwegen (1678) behielt er Lothringen, die elsässischen Städte, die Franche-Comté und eine Reihe belgischer Festungen und tauschte gegen Philippsburg Freiburg i. Br. ein. Darauf zwang er im Frieden von St.-Germain (1679) den Kurfürsten von Brandenburg, seine schwedischen Eroberungen wieder herauszugeben.

Dieser unglückliche Ausgang des ersten Koalitionskriegs verschärfte den Zwist zwischen den Verbündeten und die Spaltung im Reich. Man verzweifelte an der Möglichkeit, sich der französischen Universalmonarchie entziehen zu können. Nicht bloß die meisten rheinischen Stände, auch mächtige patriotische Fürsten, wie Brandenburg, schlossen sich dem französischen König an, und als der Kaiser durch seine Verfolgungssucht gegen die ungarischen Protestanten dort einen gefährlichen Aufstand heraufbeschwor und die Türken zu einem großartigen Kriegszug gegen D. rüsteten, glaubte Ludwig XIV. die Maske des Schutzes deutscher Verfassung und Freiheit, die er bisher vorgehalten fallen lassen und zur offenen Gewaltthat schreiten zu können. 1679 errichtete er in Metz und Breisach Reunionskammern (s. d.), welche alle Gebiete, die jemals zu den in den letzten Friedensschlüssen vom Reich abgetretenen Ländern gehört hatten, für Frankreich reklamierten, und ließ dieselben sofort besetzen. 1681 bemächtigte er sich durch Verrat und Einschüchterung der freien Reichsstadt Straßburg, des Schlüssels zu Süddeutschland. Ein Schrei der Entrüstung ging durch ganz D. und schien den schlummernden Patriotismus der Fürsten und des Volkes zu energischer Thatkraft aufzureizen, aber er erstickte in den schwerfälligen Modalitäten der Reichsverfassung, die es nur zu ohnmächtigen Protesten kommen ließ. Überdies machte der Einfall eines ungeheuern türkischen Heers, welches von Ungarn aus 1683 bis Wien vordrang und dieses Bollwerk des Südostens hart belagerte, einen Krieg mit Frankreich unmöglich. Die ganze kaiserliche und Reichsmacht mußte aufgeboten werden, um durch den Sieg am Kahlenberg (12. Sept.) Wien zu befreien und die Türken nach Ungarn zurückzutreiben. Hier erfochten die kaiserlichen Feldherren Karl von Lothringen, Ludwig von Baden und Eugen von Savoyen glänzende Erfolge: 1686 wurde Ofen erstürmt, 1697 die türkische Heeresmacht bei Zenta aufs Haupt geschlagen und im Frieden von Karlowitz 1699 Ungarn mit seinen Nebenlanden dem Kaiser als Erbreich unterworfen.

Im Osten kamen die mit Hilfe deutscher Truppen errungenen Siege und die Erweiterung der österreichischen Hausmacht wenigstens der Sicherheit der Reichsgrenze zu gute. Im Westen dagegen brachte der auch hier sich geltend machende Aufschwung der militärischen Kraft Österreichs und Deutschlands dem letztern nicht die gewünschte Frucht. Nachdem das Reich im Regensburger Waffenstillstand 1684 Ludwig XIV. den Besitz der Reunionen für 20 Jahre zugestanden hatte, erhob derselbe 1685 nach dem Aussterben der kurpfälzischen Linie der Wittelsbacher für seine Schwägerin Elisabeth Charlotte Anspruch auf die Allodialgüter des pfälzischen Hauses. Zur Abwehr dieses Übergriffs, mit dem der Widerruf des Edikts von Nantes und die Thronbesteigung des katholischen, französisch gesinnten Jakob II. in England zusammenfielen, vereinigten sich der Kaiser, die angesehensten deutschen Stände, Spanien, die Niederlande und Schweden 1686 zu der Liga von Augsburg; der Prinz Wilhelm III. von Oranien bereitete eine allgemeine Koalition Europas gegen Frankreichs Tyrannei vor. Ludwig XIV. nahm 1688 die Nichtanerkennung seiner Kreatur, des Grafen Wilhelm von Fürstenberg, als Erzbischof von Köln von seiten des Papstes und des Reichs zum Anlaß, um seinen Gegnern mit der Kriegserklärung zuvorzukommen. Er begann die Feindseligkeiten mit einem Akt kalter, wohlüberlegter Barbarei, indem er die gesegnete Pfalz, um sie für seine Feinde als Operationsgebiet unbrauchbar zu machen, durch Feuer und Schwert in eine Einöde verwandeln ließ. Mannheim, Kreuznach, Oppenheim, Frankenthal, Baden, Bruchsal, Offenburg, Heidelberg mit seinem herrlichen Schloß, Worms und Speier wurden eingeäschert, das platte Land, auch das des benachbarten kölnischen und trierschen Gebiets, verwüstet. Diese That frevelhaf-^[folgende Seite]