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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Deutschland

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Deutschland (Geschichte 1688-1714. Leopold I., Joseph I., Karl VI.).

ten Übermuts erregte einen solchen Sturm der Entrüstung, daß sich unter Führung Wilhelms von Oranien, der eben den letzten Stuart, Jakob II., vom englischen Thron gestürzt, eine große Koalition gegen Frankreich bildete, welcher sich fast alle europäischen Mächte, selbst der Papst, anschlossen. Acht Jahre kämpften kaiserliche und deutsche Reichstruppen am Rhein und in den Niederlanden gegen die Franzosen; wenn es ihnen auch gelang, den Boden des Reichs zu schützen, so vermochten die Heere der Koalition doch im Landkrieg keine entscheidenden Erfolge zu erringen. Beiderseitige Erschöpfung nötigte die Kriegführenden 1697 zum Frieden von Ryswyk, an dessen Verhandlungen auch die Reichsdeputierten sich beteiligten, ohne jedoch großen Einfluß auszuüben. Der Kaiser war es, der den Frieden abschloß und dabei das Interesse besonders der evangelischen Stände in wichtigen Punkten unberücksichtigt ließ: Frankreich gab einige Reunionen sowie Lothringen heraus, behielt aber das Elsaß mit Straßburg und Saarlouis und setzte es durch, daß der in der Pfalz seit 1688 mit Gewalt hergestellte Katholizismus in 1922 Ortschaften herrschend blieb.

Die spanische Erbfolgefrage hatte wenige Jahre später den Ausbruch eines neuen Kriegs zur Folge, in welchen auch das Reich verwickelt wurde. Zwar war es Deutschlands Interesse durchaus nicht, daß die spanische Monarchie mit Österreich verbunden wurde. Wie die Seemächte, so mußte auch das Reich nur wünschen, daß Spanien nicht an Frankreich fiel. Aber als die Kombination, die Erbschaft einem Dritten, dem bayrischen Kurprinzen Joseph Ferdinand, zu übertragen, durch dessen frühen Tod (1699) vereitelt wurde, als sich nach dem Tode des letzten spanischen Habsburgers, Karl II. (1. Nov. 1700), ein Testament vorfand, welches Ludwigs XIV. Enkel Philipp von Anjou zum Erben der ganzen Monarchie einsetzte, und der stolze Ludwig XIV. weder auf eine Teilung der Erbschaft eingehen, noch die immerwährende Trennung der französischen und der spanischen Monarchie versprechen wollte, sahen sich die Seemächte gezwungen, Österreich im Kampf gegen die maßlose Herrschsucht Frankreichs beizustehen, und auch das Reich mußte demselben 30. Sept. den Krieg erklären, nachdem das Bündnis der beiden Wittelsbacher, des Kurfürsten Max Emanuel von Bayern und des Erzbischofs Joseph Klemens von Köln, mit Ludwig XIV. den Krieg auf Reichsgebiet übertragen hatte. Überdies hatte der Kaiser die mächtigsten Reichsfürsten, wie die Kurfürsten von Hannover, Pfalz, Sachsen und Brandenburg, durch besondere Bündnisse für sich gewonnen und zur Stellung ansehnlicher Hilfstruppen vermocht. Der spanische Erbfolgekrieg (s. d.) entbrannte zu gleicher Zeit in den Niederlanden, in Italien und in Süddeutschland. Hier schien 1703 das Kriegsglück für die verbündeten Franzosen und Bayern sich entscheiden zu wollen. Der Marschall Villars eroberte Landau und Breisach und rückte über den Oberrhein, den Markgraf Ludwig von Baden 1702 mit Erfolg verteidigt hatte, in Schwaben ein, wo er sich mit Max Emanuel vereinigte, um in Tirol dem in Oberitalien vordringenden Herzog von Vendôme die Hand zu reichen. Der Aufstand des Tiroler Volkes verhinderte dies, aber die Verbündeten besetzten Augsburg und 1704 auch Passau und bedrohten die kaiserlichen Erblande, während ein Aufstand in Ungarn wütete. Die kühne und mit Geschick durchgeführte Vereinigung der drei Feldherren der Verbündeten, Marlboroughs mit dem Heer der Seemächte, Eugens von Savoyen mit den Kaiserlichen und Ludwigs von Baden mit den Reichstruppen, an der obern Donau 1704 brachte einen völligen Umschwung hervor. Die beiden Siege Marlboroughs und Ludwigs am Schellenberg bei Donauwörth (2. Juli) und Marlboroughs und Eugens bei Höchstädt (13. Aug.) über Tallard und Max Emanuel warfen die Franzosen über den Rhein zurück und brachten Bayern in die Gewalt der Kaiserlichen. Das eigentliche Reichsgebiet war von den Feinden befreit, der Krieg wurde fortan in Italien und den Niederlanden auf nichtdeutschem Boden und mit steigendem Kriegsglück geführt.

Aber nun zeigte sich, daß Österreich die durch die Unterstützung des Reichs und seiner Fürsten errungenen Erfolge nur zu seinem Vorteil auszubeuten suchte. Kaiser Joseph I. (1705-11), der älteste Sohn Leopolds I., erklärte die beiden wittelsbachischen Kurfürsten, ohne die verfassungsmäßige Gutheißung des Reichstags und nur auf die Zustimmung der übrigen Kurfürsten gestützt, in die Acht und unterwarf Bayern nach blutiger Erstickung eines Bauernaufstandes seiner Herrschaft. Die Proteste des Reichsfürstenkollegiums gegen dies eigenmächtige Verfahren blieben unbeachtet. Als die Niederlagen der Franzosen bei Turin, Ramillies, Oudenaarde und Malplaquet, die Erschöpfung der Menschen- und Geldkräfte sowie Hungersnot und Elend in seinem Land Ludwig XIV. so gedemütigt hatten, daß er 1709 dazu bereit war, auf die spanische Erbschaft zu verzichten und alle Eroberungen in Elsaß und Lothringen an das Reich zurückzugeben, wurde dies Anerbieten vom Kaiser mit der Forderung abgelehnt, Ludwig müsse seinen Enkel Philipp V., der den spanischen Thron mit Glück gegen den Habsburger Karl behauptete, selbst von demselben vertreiben helfen. Dies übermütige Verlangen wies der französische König zurück, und der Sturz Marlboroughs und der kriegslustigen Whigpartei in England (1710), ferner der plötzliche Tod Josephs I., nach welchem, da Joseph keine Söhne hinterließ, dem spanischen Prätendenten Karl die ganze österreichische Hausmacht und die Kaiserkrone zufielen, bewirkten eine Spaltung unter den Verbündeten. Die Seemächte England und die Niederlande konnten kein Interesse dafür haben, daß Spanien und Österreich in Einer Hand vereinigt wurden, und als Karl VI. (1711-40) in verblendeter Hartnäckigkeit bei dem Anspruch hierauf beharrte, knüpften sie separate Unterhandlungen mit Frankreich an, die 1713 zum Frieden von Utrecht führten. Der Kaiser setzte den Krieg gegen Ludwig XIV. und seinen Enkel fort, aber weder in Spanien noch am Oberrhein mit Erfolg. Der Kampfeseifer war bei den deutschen Fürsten schon so erlahmt, daß Prinz Eugen 1713-14 nur über kaiserliche und buntscheckige Reichstruppen verfügte, mit denen er der gesamten französischen Heeresmacht unter Villars nicht gewachsen war; er verlor selbst Landau, Freiburg und Breisach wieder an die Feinde und riet nun selbst zum Frieden, der 6. März 1714 in Rastatt zwischen Frankreich und dem Kaiser, 7. Sept. 1714 in Baden in der Schweiz mit dem Reich im wesentlichen auf Grund der Utrechter Bedingungen zu stande kam. Österreich erwarb aus der spanischen Erbschaft die italienischen Besitzungen (Mailand, Neapel und Sizilien) und die Niederlande, während das Reich zwar die verlornen rechtsrheinischen Festungen zurückerhielt, aber außer dem Elsaß nun auch Landau endgültig abtreten und die Ryswyker Klausel über die Religionsverhältnisse der Pfalz von neuem bestätigen mußte; die Kurfürsten von Bayern und von Köln wurden restituiert. So ging D. aus dem langen, blutigen Krieg ohne jeden Gewinn hervor und welche Wunden hatte der Krieg