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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Deutschland

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Deutschland (Litteratur zur Geschichte).

sofort empfinden, indem sie 15. Dez. 20,000 Mk. für einen neuen Direktor im Auswärtigen Amte trotz Bismarcks persönlicher Befürwortung ablehnte. Indes über diesen Beschluß erhob sich ein solcher Sturm der Entrüstung, daß die Deutschfreisinnigen u. Ultramontanen, um einer Reichstagsauflösung vorzubeugen, ihre schroff negative Haltung nicht fortzusetzen wagten.

Dazu kam, daß der Reichskanzler, durch eine Kur neugekräftigt, wiederholt mit seiner wirksamsten Beredsamkeit eintrat und durch die Veröffentlichung der "Weißbücher" bewies, daß er auch die Kolonialpolitik mit derselben Meisterschaft leitete wie die europäische, wie denn der Zusammentritt der Congokonferenz (s. d.) in Berlin zeigte, daß Deutschlands Einfluß auch in den überseeischen Angelegenheiten von den Mächten anerkannt wurde. England hatte seinen Versuch, den deutschen Ansiedelungen an der Westküste Afrikas entgegenzutreten, aufgeben müssen. Außer dem Küstenstrich vom Kap Frio bis zum Oranje wurden hier noch Camerun und Togoland an der Guineaküste von D. in Besitz genommen; in Camerun kam es im Dezember 1884 zu einem blutigen Zusammenstoß deutscher Kriegsschiffe mit den von Engländern aufgehetzten Negern (s. Camerun). Die Mittel für die Verwaltungseinrichtungen in den afrikanischen Kolonien wurden vom Reichstag 1885 bewilligt, ebenso mit Streichung der westafrikanischen Linie das Dampferunterstützungsgesetz, der neue Direktorposten und einige neue Konsulate. Ein neuer Zolltarif, welcher die industriellen und besonders die landwirtschaftlichen Zölle erheblich erhöhte, gelangte durch die Hilfe des Zentrums zur Annahme. Auch wurden ein Börsensteuergesetz und der Zollanschluß Bremens genehmigt, so daß trotz der ungünstigen Parteiverhältnisse die Reichsregierung mit den Ergebnissen der am 15. Mai 1885 geschlossenen Session zufrieden sein konnte. Sie fühlte sich hierdurch ermutigt, auf der Bahn der Kolonialpolitik fortzuschreiten. Nachdem sie sich mit England über die Teilung des östlichen Neuguinea dahin verständigt hatte, daß der Norden nebst den Inselgruppen Neubritannien und Neuirland (Bismarck-Archipel) an D. fallen sollte, nahm sie auch an der Ostseite Afrikas die Erwerbungen einer deutschen ostafrikanischen Gesellschaft in Usagara unter ihren Schutz und erlangte nicht nur die Zustimmung des Sultans von Sansibar zu diesen Erwerbungen, sondern schloß auch mit demselben einen neuen Handelsvertrag ab. Als im August 1885 zum Schutz der deutschen Niederlassungen auf den Karolinen (s. d.) daselbst die deutsche Flagge aufgeheißt wurde, reizte dies die Spanier, welche die Inselgruppe mit Unrecht als ihr Eigentum ansahen, zu einigen Exzessen gegen die deutsche Gesandtschaft in Madrid und zu einem Protest gegen die deutsche Okkupation. Bismarck rief die Vermittelung des Papstes Leo XIII. an, und dieser schlichtete den Streit dahin, daß das moralische Anrecht der Spanier anerkannt, D. aber völlige Handelsfreiheit und die Befugnis, Stationen anzulegen, zugesprochen wurden. Statt der Karolinen nahm D. 1886 darauf die Marshallinseln in Besitz. Über die Abgrenzung der westafrikanischen Besitzungen wurden mit England und Frankreich Verträge abgeschlossen.

Die neue Session des Reichstags wurde 19. Nov. 1885 durch den Staatssekretär v. Bötticher mit der Verlesung einer kaiserlichen Thronrede eröffnet. Gleich zu Anfang der Beratungen kam es aus Anlaß der unberechtigten Beschwerden der Ultramontanen über die Nichtzulassung französischer Jesuiten in den deutschen Kolonien zu einem heftigen Zusammenstoß des Fürsten Bismarck mit den Führern des Zentrums. Die letztern rächten sich für die entschiedene Absage die ihnen von seiten des Reichskanzlers zu teil wurde, dadurch, daß sie sich mit den Deutschfreisinnigen, Sozialisten, Welfen, Elsässern und Polen zu einem Angriff auf die gegen die polnische Einwanderung in den östlichen Provinzen Preußens (s. d.) ergriffenen Maßregeln vereinigten. Die zuerst in der Polenfrage eingebrachte Interpellation wurde 1. Dez. durch eine kaiserliche Botschaft als ein Eingriff in innere Angelegenheiten Preußens zurückgewiesen. Darauf beschloß die oppositionelle Mehrheit im Januar 1886 nach dreitägigen Debatten ein Tadelsvotum über die Ausweisungen, dessen Wirkung indes durch die darauf folgenden Erklärungen und Beschlüsse im preußischen Landtag erheblich abgeschwächt wurde. Der Reichshaushaltsetat wurde mit einigen Abstrichen im Militär- und Marineetat genehmigt. Ebenso wurden die Mittel für die Anlegung eines Nord-Ostseekanals bewilligt. Andre Vorschläge der Reichsregierung über die Rechtspflege in den überseeischen Gebieten, über eine Reform der Zuckersteuer, über die Ausdehnung der Unfallversicherung etc. wurden an Ausschüsse verwiesen. Dasselbe geschah auch mit dem Gesetzentwurf über die Einführung eines Branntweinmonopols, den der Bundesrat auf Antrag Preußens genehmigt hatte, der aber im Reichstag schon bei der ersten Lesung 4. März fast von allen Parteien so entschieden bekämpft wurde, daß die Ablehnung desselben wahrscheinlich ist, wenn auch die Möglichkeit und Zweckmäßigkeit einer höhern Branntweinbesteuerung von den meisten anerkannt wurde.

Litteratur zur Geschichte Deutschlands.

Die Quellen zur deutschen Geschichte im Mittelalter sind gesammelt in dem großen Werk "Monumenta Germaniae historica" (s. d.), welchem sich die kleinern Sammlungen von Böhmer ("Fontes rerum germanicarum", Stuttg. 1843-68, 4 Bde.) und Jaffé ("Bibliotheca rerum germanicarum", Berl. 1864-73, 6 Bde.) sowie die von der Historischen Kommission herausgegebenen "Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert" (Leipz. 1862 ff., Bd. 1-18) und die "Deutschen Reichstagsakten" (Münch. 1868 ff.) anschließen. Vgl. Dahlmann, Quellenkunde der deutschen Geschichte (5. Aufl. von Waitz, Götting. 1883); Wattenbach, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter (5. Aufl., Berl. 1885, 2 Bde.); Lorenz, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter seit dem 13. Jahrhundert (3. Aufl., das. 1886, 2 Bde.).

[Gesamtdarstellungen.] Ausführliche Bearbeitungen der ganzen deutschen Geschichte sind: Häberlin, Umständliche deutsche Reichsgeschichte (Halle 1767-86, 21 Bde.); M. I. ^[Michael Ignaz] Schmidt, Geschichte der Deutschen (fortgesetzt von Milbiller bis 1806 und von Dresch bis 1816; im ganzen 28 Bde., Ulm 1785-1830); Heinrich, Deutsche Reichsgeschichte (Leipz. 1787-1805, 9 Bde.); Luden, Geschichte des Teutschen Volkes (bis 1237, Gotha 1825-37, 12 Bde.); K. A. Menzel, Geschichte der Teutschen (bis Maximilian I., Bresl. 1815-1823, 8 Bde.); Derselbe, Neuere Geschichte der Teutschen, von der Reformation bis zur Bundesakte (das. 1826-35, 6 Bde.; neue Ausg., das. 1854-56); Pfister, Geschichte der Deutschen, nach den Quellen (Hamb. 1829-35, 5 Bde.; Bd. 6 von Bülau, 1842); Wirth, Geschichte der Deutschen (bis 1806; 4. Aufl., Stuttg. 1860-64, 4 Bde.); Leo, Vorlesungen über die Geschichte des deutschen Volkes und Reichs (Halle 1854-67, 5 Bde.); Sugenheim, Geschichte des deutschen Volkes und seiner Kultur (Leipz. 1866, 3 Bde.);