Schnellsuche:

Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Dionysios

995

Dionysios.

Kriegszüge gegen die griechischen Städte in Sizilien und Unteritalien, eroberte Tauromenion, Kroton und Rhegium, dessen Bürger wegen höhnischer Zurückweisung der Werbung des D. um eine Rhegierin grausam bestraft wurden, plünderte im Bund mit den Galliern zahlreiche Städte in Etrurien und gründete am Adriatischen Meer mehrere Militärkolonien. Mit den Karthagern schloß er 383 nach wechselvollen Kämpfen Frieden und überließ ihnen Sizilien westlich vom Halykos. Auch in Griechenland suchte er Einfluß zu gewinnen, indem er die Spartaner gegen Theben und Athen mit gallischen und spanischen Söldnern unterstützte und 384 eine prächtige Festgesandtschaft zu den Olympischen Spielen schickte; doch wurden seine Chorgesänge von den Griechen in Olympia verhöhnt und ausgezischt, und die Gesandtschaft kehrte ohne Siegeskranz zurück. Als aber die Athener 367 seiner Tragödie "Hektors Lösung" am Feste der Lenäen den ersten Preis erteilten, freute er sich so sehr, daß er ein großes Trinkgelage veranstaltete und an den Folgen desselben (oder nach andern an einem von seinem Sohn gereichten Gifttrank) starb, nachdem er 38 Jahre über Syrakus geherrscht. D. war ein tapferer, kühner Mann, mäßig in sinnlichen Genüssen und edler Regungen fähig, dabei klug und witzig. Herrschaft und Ruhm waren das Ziel, nach dem er unablässig strebte, und das zu erreichen er kein Mittel der Grausamkeit und Raubsucht scheute. Die Hinterlist und Gewaltthätigkeit, mit der er die Herrschaft erlangt hatte, sowie seine Eitelkeit machten ihn aber auch argwöhnisch und launisch. Ein unbedachtes Wort konnte seine vertrautesten Genossen in Gefahr bringen, wie er denn selbst seinen Freund Philistos verbannte, den Dichter Philoxenos wegen eines ungünstigen Urteils über seine Gedichte in die Steinbrüche werfen und den Philosophen Platon, durch ein freimütiges Wort desselben beleidigt, als Sklaven verkaufen ließ. Über seine Furcht vor Nachstellungen, seine Mittel, sich davor zu schützen (wie das "Ohr des D."), und sein Bewußtsein von der Jämmerlichkeit eines solchen mißtrauischen, in steter Furcht schwebenden Lebens (Schwert des Damokles) erzählten die Alten viele Anekdoten.

2) D. II., Sohn des vorigen und der Lokrerin Doris, war talentvoll und höherer Regungen fähig, erhielt aber absichtlich eine schlechte Erziehung, da der tyrannische Vater fürchtete, der Jüngling möchte vor der Zeit nach der Herrschaft streben. Er hatte sich daher früh gewöhnt, der Genußsucht zu frönen und allen Launen nachzugeben. Erst nach seinem Regierungsantritt 367 v. Chr. suchte ihm sein Schwager Dion für wissenschaftliche Studien Interesse einzuflößen, was ihm besonders durch die Berufung Platons gelang. Bald aber erhielten Philistos und Aristippos, Männer von unedler Denkart, Einfluß auf den jungen Herrscher; Dion wurde 366 verbannt, und Platon verließ 365 Sizilien wieder. Zwar ließ sich derselbe durch D.' Drängen bewegen, 361 nochmals nach Syrakus zu kommen; doch war sein Aufenthalt fruchtlos und endete schon 360. Als Regent und Krieger zeigte D. anfänglich Geschick und guten Willen, auch stand das Glück ihm zur Seite. Der Krieg gegen die Lukaner endigte mit einem für ihn vorteilhaften Frieden. D. befestigte hierauf mehrere Punkte am Adriatischen Meer und besiegte die illyrischen Seeräuber. Aber in Syrakus verlor er durch seine Schwelgerei und seinen Despotismus die Volksgunst und wurde 357 von Dion vertrieben, worauf er in Lokroi Epizephyrioi, der Heimat seiner Mutter, Zuflucht suchte. Die freundliche Aufnahme, die er dort fand, mißbrauchte er, um sich zum Herrn der Stadt aufzuwerfen und die ärgsten Gewaltthätigkeiten gegen die Einwohner, namentlich gegen edle Jungfrauen, auszuüben. Der Tod des Dion (s. d.) und die darauf in Syrakus ausgebrochenen Unruhen veranlaßten ihn, nach zehnjährigem Exil 346 einen Angriff auf jene Stadt zu versuchen. Das Unternehmen gelang, und nachdem er seinen Stiefbruder Nysäos, der sich der Herrschaft bemächtigt hatte, vertrieben, kam aufs neue die höchste Gewalt in seine Hand. Die unerhörte Strenge, mit welcher er nun verfuhr, trieb viele Bürger zur Flucht; bald aber kehrten dieselben unter Timoleon von Korinth 343 zurück, und ihre Schar wuchs bald zum mächtigen Heer heran, dem D. sich und seine Schätze überliefern mußte. Timoleon sandte ihn nach Korinth, wo er fortan als Privatmann lebte. Auch hier seinem Hang zu einem verschwenderischen, unordentlichen Leben frönend, soll er zuletzt teils durch Betteln, teils durch den Unterricht der Kinder sein Leben gefristet haben.

3) D. der Periegēt, griech. Geograph des 3. Jahrh. n. Chr., von unbekannter Herkunft, beschrieb (nach Eratosthenes) in Hexametern die Hauptmeere und die merkwürdigern Küstenländer und Inseln der damals bekannten Welt. Sein trefflich angelegtes und durch Reinheit und Eleganz der Sprache ausgezeichnetes Gedicht ("Periegesis") wurde vielfach (besonders von Eustathios) kommentiert, von Rufus Festus Avienus im 4. Jahrh. n. Chr., dann auch von Priscian im Anfang des 6. Jahrh. in lateinische Verse übertragen und war noch lange im Mittelalter ein geschätztes und häufig kommentiertes Lehrbuch. Neuere Ausgaben besorgten Passow (Leipz. 1825), Bernhardy (das. 1828), Müller (in den "Geographi graeci minores", Bd. 2, Par. 1861) und Wescher ("De Bospori navigatione quae supersunt", das. 1874); eine Übersetzung Bredow (in seinen "Nachgelassenen Schriften", Bresl. 1826).

4) D. Thrax (der "Thraker"), griech. Grammatiker um 100 v. Chr., Aristarchs Schüler, Verfasser eines kleinen grammatischen Lehrbuches ("Techne grammatike"), des ältesten seiner Art. Das Werkchen ist gewissermaßen die Grundlage aller europäischen Grammatiken, jedoch nur in stark interpolierter Gestalt erhalten. Beste Ausgabe ist die von Uhlig (Leipz. 1884).

5) D. aus Halikarnassos, römischer, griechisch schreibender Historiker, kam 29 v. Chr. nach Rom, wo er mit vielen angesehenen Männern verkehrte und als Rhetor lehrte und schrieb, hauptsächlich aber sein großes historisches Werk verfaßte, welches er 7 v. Chr. vollendete. Er starb wahrscheinlich bald danach. Wir besitzen von ihm mehrere Schriften rhetorischen und litterarhistorischen Inhalts und eine Geschichte Roms, die jedoch nicht vollständig erhalten ist. Die erstern, die man unter dem Namen der rhetorischen Schriften zusammenzufassen pflegt, bestehen teils in Abhandlungen über einzelne Teile der Rhetorik, teils in Betrachtungen über angesehene Schriftsteller der ältern Zeit und legen für seine Kenntnis und sein Urteil im ganzen ein günstiges Zeugnis ab. Seine Geschichte Roms, von ihm selbst römische Archäologie genannt, bestand ursprünglich aus 20 Büchern, welche die Geschichte von der ältesten Zeit bis zum ersten Punischen Krieg (264) umfaßten; es sind aber davon nur die 10 ersten Bücher und ein Teil des 11. erhalten, welche bis 443 reichen. Sie ist hauptsächlich für Griechen bestimmt, denen der Beweis geliefert werden soll, daß die Römer griechischen Ursprungs und ihr Charakter und ihre Einrichtungen wesentlich griechisch seien, eine Tendenz, die nicht ohne nachteilige Einwirkung auf die Auffassung und Darstellung der römischen Dinge bleiben konnte; auch werden dem