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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Ehe

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Ehe (kirchliche und Ziviltrauung; Wirkungen der Eheschließung).

normieren kann, unterliegt keinem Zweifel. Er wird dadurch allen Religionsparteien gerecht und vermeidet wenn auch nicht den Widerstreit der religiösen Auffassungen verschiedener Konfessionen, so doch dessen nachteilige Wirkung in Ansehung einzelner Staatsbürger bei dem Vorhaben einer Eheschließung. Zu diesem Zweck muß aber die Zivilehe eine obligatorische sein, d. h. der bürgerliche Eheschließungsakt muß unter allen Umständen und für alle Staatsangehörigen in gleicher Weise gefordert werden, indem es den Brautleuten überlassen bleibt, ob sie neben der zivilen Eheschließung noch um die kirchliche Weihe ihres Ehebundes nachsuchen wollen oder nicht. Besteht die Möglichkeit der bürgerlichen Trauung nur aushilfsweise für den Fall, daß die kirchliche Trauung nicht erlangt werden kann (Notzivilehe), wie z. B. in Österreich (Gesetz vom 25. Mai 1868) für die Konfessionslosen, oder läßt das Gesetz, wie es in England für die zur Staatskirche Gehörigen der Fall ist, den Brautleuten zwischen der kirchlichen und der bürgerlichen Eheschließung die Wahl (fakultative Zivilehe), so hat ein solches System weit eher den Charakter einer Opposition gegen Kirche und Religion, ganz abgesehen davon, daß jene Systeme den Charakter der Ausnahmegesetze tragen. Durch die obligatorische Zivilehe dagegen ist eine allgemeine Norm für alle Eheschließungen aller Konfessionen gegeben, ohne daß dabei das Bedürfnis der Verlobten nach kirchlicher Trauung und Einsegnung irgendwie beeinträchtigt wird. Dies System ging von Frankreich aus auch in diejenigen deutschen Territorien über, in welchen das französische bürgerliche Gesetzbuch Gesetzeskraft erlangt hat, nämlich Rheinbayern, Rheinpreußen, Rheinhessen und Birkenfeld. Aus den deutschen Grundrechten von 1848 erhielt sich die obligatorische Zivilehe nur für die Stadt Frankfurt a. M. in Geltung, und 1870 schloß sich auch Baden jenem System an, nachdem dort zuvor, ebenso wie in verschiedenen andern deutschen Staaten, schon die fakultative Zivilehe eingeführt gewesen war. Der Kulturkampf in Preußen, welcher sich im Anschluß an die Verkündigung des Dogmas von der päpstlichen Unfehlbarkeit auf dem Konzil von 1870 entspann, machte die Einführung der Zivilehe zur Notwendigkeit, und so ist dieselbe und zwar die obligatorische Ziviltrauung zunächst für die preußische Monarchie durch Gesetz vom 9. März 1874, demnächst aber durch das wiederholt angeführte Reichsgesetz vom 6. Febr. 1875 für das gesamte Reichsgebiet eingeführt worden. In Italien war die obligatorische Zivilehe bereits 1. Jan. 1866 in Kraft getreten, wie sie denn auch in der Schweiz, in England für die Dissenters, in Dänemark, Schweden und Norwegen, in den Donaufürstentümern, in Mexiko und teilweise auch in Südamerika eingeführt, auch in Spanien vorübergehend während der Republik in Geltung gewesen ist. In Deutschland hat sich in neuester Zeit eine rückläufige Bewegung gegen die obligatorische Zivilehe geltend gemacht, die jedoch nicht über das Stadium der Petitionen hinausgekommen ist, wenn sich auch Fürst Bismarck im Reichstag nicht ungünstig für solche Bestrebungen ausgesprochen hat. Nach dem Reichsgesetz vom 6. Febr. 1875 (§ 41 ff.) erfolgt die Eheschließung nach stattgehabtem Aufgebot (s. d.) vor dem Standesbeamten, in dessen Bezirk einer der Verlobten seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort hat. Auf schriftliche Ermächtigung des zuständigen Standesbeamten hin darf die Eheschließung auch vor dem Standesbeamten eines andern Ortes stattfinden. Der Mangel der Zuständigkeit des Standesbeamten zieht die Nichtigkeit der E. nicht nach sich. Die Eheschließung erfolgt in Gegenwart von zwei großjährigen Zeugen durch die an die Verlobten einzeln und nacheinander gerichtete Frage des Standesbeamten, ob sie erklären, daß sie die E. miteinander eingehen wollen, durch die bejahende Antwort der Verlobten und durch den hierauf erfolgenden Ausspruch des Standesbeamten, daß er sie nunmehr kraft des Gesetzes für rechtmäßig verbundene Eheleute erkläre. Hierauf erfolgt die Eintragung in das Heiratsregister. Ein Geistlicher oder ein andrer Religionsdiener, welcher zu den religiösen Feierlichkeiten einer Eheschließung schreitet, bevor ihm nachgewiesen worden ist, daß die E. vor dem Standesbeamten geschlossen sei, wird mit Geldstrafe bis zu 300 Mk. oder mit Gefängnis bis zu drei Monaten bestraft. Das Reichspersonenstandsgesetz hat übrigens (§ 82) ausdrücklich erklärt, daß die kirchlichen Verpflichtungen in Beziehung auf die Trauung durch dieses Gesetz nicht berührt werden. Auch ist die katholische Kirche bei ihren bisherigen Vorschriften gegenüber diesem Gesetz, welches sich ja lediglich auf die bürgerliche Gültigkeit der E. bezieht, einfach stehen geblieben. Dagegen sind für die protestantische Kirche in den meisten deutschen Staaten Trauordnungen infolge jenes Reichsgesetzes erlassen worden. Mitunter ist darin als Folge der verweigerten kirchlichen Trauung der Verlust des aktiven und passiven kirchlichen Wahlrechts und des Rechts, Taufpate zu sein, statuiert, auch wohl der Ausschluß vom heiligen Abendmahl als zulässig erklärt. Indessen sind die Fälle, in welchen die nachfolgende kirchliche Trauung nicht nachgesucht wird, verhältnismäßig selten. Angehörige des Deutschen Reichs können im Ausland nach dem Bundes- (Reichs-) Gesetz vom 4. Mai 1870 auch vor einem zuständigen Reichskonsul oder vor einem sonst hierzu ermächtigten diplomatischen Vertreter rechtsgültig eine E. schließen. Eine Eheschließung im Weg der Stellvertretung oder im Weg der Prokuratur kann nach dem deutschen Personenstandsgesetz nicht stattfinden. Bei fürstlichen Personen wird indessen zuweilen diese Form gewählt, die nach kanonischem Recht auf Grund eines Spezialmandats zulässig ist, aber nachträgliche ausdrückliche Zustimmung des abwesenden Teils erheischt. Eine sogen. Gewissensehe (matrimonium conscientiae), d. h. eine Vereinigung von Mann und Weib zu einem ehelichen Beisammensein auf Lebenszeit ohne Beobachtung der gesetzlichen Vorschriften, bloß durch gegenseitige Erklärung des Ehekonsenses, ist rechtlich lediglich als eine Form des Konkubinats zu betrachten.

Wirkungen der Eheschließung.

Wenn auch die Bedeutung der E. zunächst eine religiös-sittliche ist, so übt dieselbe doch einen so erheblichen Einfluß auf die menschlichen Lebensverhältnisse aus, daß die bürgerliche Gesetzgebung sich der Aufgabe nicht entziehen kann, die E. als Rechtsinstitut zu normieren und den Ehebund unter strafrechtlichen Schutz zu stellen. Eine Doppelehe (s. Bigamie) wird streng geahndet, und auch die Verletzung der ehelichen Treue kann öffentliche Strafe nach sich ziehen (s. Ehebruch). Da die katholische Kirche die E. als Sakrament betrachtet, nimmt sie das Recht der Gesetzgebung in Ehesachen in Anspruch, wie denn auch im Mittelalter und bis in die neuere Zeit hinein die Ehestreitigkeiten vor geistlichen Gerichten verhandelt wurden. Wenn nun aber, wie es in Deutschland durch das Personenstandsgesetz geschehen, der Staat die Ehesachen zum Gegenstand seiner Gesetzgebung macht, so können die abweichen-^[folgende Seite]