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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Eisen

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Eisen (Geschichtliches und Statistik).

mit Macintosh und Wilson auf den Clyde Iron Works in Schottland aus, worauf man die heiße Luft alsbald weiter bei Kupolöfen, Frischfeuern etc. anwandte. Während man früher in den eisernen Winderhitzungsapparaten Temperaturen über 400° meist nicht erlangen konnte, so erzielt man jetzt solche von 800° C. und mehr in den Regenerativapparaten von Cowper und Whitwell u. a.

Die Gichtgase wurden 1814 von Aubertot zum Erzrösten, Kalk- und Ziegelbrennen angewandt; 1836 nahm Sire zu Clerval ein Patent auf deren Benutzung für das Eisenfrischen, und 1837 führte Faber du Faur das Puddeln mit Gasen zu Wasseralfingen (Württemberg) aus, seit welcher Zeit die Sache erst allgemeiner bekannt geworden ist. Man hat dann die Anwendung der Gichtgase zur Erzeugung hoher Temperaturen (z. B. für Puddel- und Schweißöfen) meist aufgegeben wegen ihrer Abhängigkeit vom wechselnden Hochofengang und sie mit großem Vorteil beschränkt auf die Erzeugung niederer Temperaturen, welche zeitweilig schwanken dürfen (Gebläsewinderhitzung, Rösten, Kalkbrennen, Dampfkesselfeuerung etc.). Die Bestrebungen der Neuzeit beim Hochofenbetrieb gehen dahin, durch Anwendung großer Öfen bei gleichzeitg ^[richtig: gleichzeitig] verstärktem Gebläse und stärker erhitztem Wind kolossale Produktionen unter Brennstoffersparung zu erzielen (das Großartigste in dieser Hinsicht wird im Clevelanddistrikt in England geleistet) und zweckmäßigere Konstruktion der Öfen zur Verlängerung der Kampagnen, bequemere Arbeit und Materialersparung (Öfen mit geschlossener Brust, Büttgenbachs Hochofen, Lürmanns Schlackenform, Annäherung der Innengestalt der Hochöfen an die Tonnen- oder Cylinderform etc.) zuwege zu bringen.

Von hoher Bedeutung für die Schmiedeeisenerzeugung war die Erfindung des Eisenpuddelns in Flammöfen mit Steinkohlen. Das erste englische Patent auf das Flammofenfrischen erhielten 1766 Thomas und George Cranage, wie es aber scheint, ohne praktischen Erfolg, den erst Henry Cort 1784 erzielte. Östlund gab 1838 die erste Anregung zu einem Puddelofen mit beweglichem Herd, welcher aber erst von dem Amerikaner Danks durch Erzielung eines haltbaren Futters 1871 lebensfähig gemacht ist. Eine Erweiterung erfuhr der Puddelprozeß durch die Generatorgasfeuerung, welche zuerst Bischoff in Mägdesprung 1839 ausführte. Während die Gase anfangs in dem Zustand, wie sie den Generator verlassen, durch kalte oder heiße Zug- oder Gebläseluft verbrannt wurden, lehrte Siemens 1860 nach seinem Regenerativsystem sowohl Generatorgase als Luft durch Überhitze stark zu erhitzen, seit welcher Zeit man Temperaturen zu erzeugen im stande ist, von denen man früher keine Ahnung hatte. Man kann dabei Brennmaterialien (Braunkohle, Holz, Sägespäne, Torf etc.) verwenden, die früher für die Eisenindustrie nicht verwertbar waren. Ponsard hat neuerdings versucht, die Regenerativfeuerung kontinuierlich zu machen und dieselbe mit Rotieröfen zu verbinden (Sellers Ofen). Auch die Anwendung von staubförmigem Brennmaterial überhaupt sowie besonders bei Rotieröfen macht Fortschritte (Cramptons Rotierofen). Durch die Einführung des Puddelprozesses stellte sich das Bedürfnis heraus, verbesserte und vergrößerte Walzwerke zu besitzen. Der erste Schritt auf diesem Feld war die Einführung des Zängewalzwerks statt des Zängehammers durch Henry Cort 1783 und W. Purnell 1787. Von da an kamen die später verschiedentlich abgeänderten Stabeisenwalzwerke in Gebrauch, deren indessen Payne schon 1728 erwähnt. In Frankreich kamen Walzwerke erst zu Ende des 18. Jahrh. in Anwendung, in Deutschland und Österreich erst im ersten Viertel des 19. Jahrh. Das Universalwalzwerk erfand Daelen in Hörde 1848. Die Walzwerke führten wiederum zur Herstellung von Dampfkesseln aus Eisenblech statt aus Gußeisen; 1820 fertigte der Engländer Birkinshaw gewalzte Eisenbahnschienen an, und 1825 baute Stephenson mit solchen die erste für das Publikum bestimmte Eisenbahn von Stockton nach Darlington, nachdem er bereits 1812 die erste Lokomotive für die Kohlenwerke von Darlington hergestellt hatte. Das älteste Projekt eines Dampfhammers der jetzt gebräuchlichen Art rührt von James Watt, dem Begründer des neuern Dampfmaschinenwesens, aus dem Jahr 1784 her, ohne daß dasselbe zur Ausführung kam. 1838 oder 1839 lieferte James Nasmyth zu Patricroft bei Manchester Zeichnungen zu einem Dampfhammer, welcher zu Creusot in Frankreich praktisch ausgeführt wurde. Das Eisenschneidwerk wurde 1618 Clement Dawbeny in England patentiert und um die Mitte des 18. Jahrh. auch in Deutschland bekannt. Die erste Luppenquetsche ist 1805 von John Hartop in England angewandt. Während die Roh- und Stabeisenbereitung allmählich bedeutende Fortschritte machte, blieb die Stahlerzeugung lange Zeit auf derselben Stufe stehen. 1730 gelang es zwar B. Huntsman (bei Sheffield), durch Umschmelzen von Zement- oder Herdfrischstahl einen vorzüglichen Gußstahl herzustellen; aber das Produkt war zu einer allgemeinern Verwendung zu teuer. Erst seitdem H. Bessemer 1856 die Entkohlung des geschmolzenen Roheisens durch eingepreßte Luft eingeführt hat, ist es möglich, Stahl (Bessemerstahl) in großen Massen und zu billigen Preisen zu liefern, und seitdem ist eine Umwälzung in der gesamten Eisenindustrie eingetreten. Von großer Wichtigkeit ist ferner die seit 1865 von Martin in größerm Maßstab eingeführte Darstellung des Flammofenflußeisens (Martineisens). Die wichtigste Erfindung der Neuzeit in der Eisenindustrie ist unstreitig die weitere Ausbildung des Bessemer-Prozesses durch Thomas und Gilchrist (1879), wodurch dieser Prozeß auch für phosphorhaltiges Roheisen anwendbar wurde. - Agricola ist der erste, der mit der Gründung der Metallurgie auch dem Eisenhüttenwesen eine wissenschaftliche Form zu geben suchte. Zu Anfang des 18. Jahrh. folgten Réaumur und Swedenborg mit ihren Werken, und gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts verbreiteten Bergman und Sveen v. Riemann das erste Licht sowohl über die Natur des Eisens als auch über die bei seiner Gewinnung im großen angewandten Verfahrungsarten. Vollständige Aufklärung über die Ursache des Unterschiedes zwischen den verschiedenen Eisensorten verdankt man wesentlich den umfassenden Arbeiten Karstens.

Die Eisenindustrie hat in den letzten 40 Jahren einen ganz erstaunlichen Aufschwung genommen. Den Impuls dazu gaben direkt und indirekt die neuen Verkehrsmittel, Eisenbahnen und Dampfschiffe. Die Eisenbahnen bedürfen pro Meile zu neuer Belegung allein 10,500 Ztr. Schienen und zur Erneuerung pro Jahr 1200 Ztr. Danach berechnet sich der jährliche Bedarf der vorhandenen Eisenbahnen auf 42 Mill. Ztr. und für den Neubau auf 31 Mill. Der leichtere Verkehr regte aber Bedürfnisse auf allen Gebieten an, und zur Befriedigung derselben bedurfte man in erster Linie der Maschinen, welche enorme Mengen von E. verbrauchten. Die Produktion der preußischen Bergwerke an Eisenerzen betrug: