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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Eisenbahn (Stand des Eisenbahnwesens in Großbritannien, Deutschland).

Anmerkung: Fortsetzung des Artikels 'Eisenbahn'

Anmerkung: Fortsetzung von [Geschichte der Eisenbahnen.]

dreifaches Gewicht mit einer Geschwindigkeit von 10 engl. Meilen in der Stunde fortbewegen und keinen Rauch erzeugen würde. Bei den im Oktober 1829 in der Nähe von Rainhill angestellten Versuchen gewann die Lokomotive von G. Stephenson den Preis, indem sie die gestellten Bedingungen nicht nur erfüllte, sondern auch noch übertraf. Sie zog ihr fünffaches Gewicht und legte in der Stunde 14-20 engl. Meilen zurück. Die Ursache dieses günstigen Resultats war die Benutzung eines Röhrenkessels und die Verstärkung des Luftzugs um mehr als das Achtfache. Mit den Wettfahrten von Rainhill und der Einführung der verbesserten Stephensonschen Lokomotive war der eigentliche Schöpfungsakt des Eisenbahnwesens selbst geschlossen. Was von nun ab im Bereich der Technik des Eisenbahnwesens geschah, war Ausbildung und Entwickelung von Keimen, die fast alle schon in Stephensons großer Schöpfung enthalten waren. Von nun ab kam der Bau der E. rasch in Aufnahme. Nachdem schon vor 1826 das Kohlengebiet der Ruhr und Saar in Rheinpreußen über 60 km E. erhalten hatte, wurde im J. 1830 die Bahn von Prag nach Lana von 45 km Länge eröffnet, 1832 die 127 km lange Budweis-Linzer Eisenbahn, welche indes nur mit Pferden betrieben wurde. Belgien eröffnete seine erste mit Dampf betriebene Bahn 1835 zwischen Brüssel und Mecheln. Am 7. Dez. 1835 bewegte sich auf deutschem Boden der erste von Lokomotiven gezogene Zug auf der von Denis erbauten Nürnberg-Fürther Bahn; 1¼ Jahr später eröffnete die Leipzig-Dresdner Bahn ihre erste Strecke; 1838 pfiff die Lokomotive in Österreich (Wien-Wagram) und in Preußen (Berlin-Potsdam). Zugleich ward die erste deutsche Staatsbahn von Braunschweig nach Wolfenbüttel eröffnet. Aus diesen Anfängen hat sich das Eisenbahnwesen binnen wenigen Jahrzehnten zu dem mächtigsten Kulturhebel der Neuzeit, welcher durch die E. ihr charakteristisches Gepräge aufgedrückt ist, entwickelt. Wie sich ziffermäßig diese Entwickelung gestaltet hat, ist aus der nachstehenden Tabelle ersichtlich.

Gesamtlänge des Eisenbahnnetzes der Erde:Durchschnittliche Zunahme im Jahr:
1830332Kilom.1830-40826Kilom.
18408591"1841-451767"
185038022"1846-504120"
185568148"1851-556025"
1860106886"1856-607748"
1865145114"1861-657646"
1870221980"1866-7015373"
1875294400"1871-7514484"
1880367235"1876-8014567"
1881393232"1880-8124515"
1882421566"1881-8228334"
1883443441"1882-8321875"

II. Formen und Stand des Eisenbahnwesens in verschiedenen Ländern.

In Großbritannien entwickelte sich das Eisenbahnwesen sehr bald mit großer Intensität. Als seine ersten Keime entstanden, war die industrielle Entwickelung Englands schon auf einer sehr großen Höhe angelangt. Ein dichtes Kanal- und Straßennetz nach und von den Häfen hatte ein zahlreiches Korps hochbefähigter Techniker herangebildet, so daß, als die Dampfkraft in den Dienst des täglichen Lebens hinaustrat, eine Reihe von Meistern der Technik und alle Hilfsmittel einer entwickelten Eisen- und Kohlenindustrie bereit standen, das neue Kommunikationsmittel in jeder Weise zu stützen und zu fördern. Die Lage Englands, das große Weltgeschäft und die relativ geringe Ausdehnung des Landes bringen es ↔ mit sich, daß die bewegten Massen enorm sind und auf kurzen Strecken möglichst rasch den Häfen zueilen. Die Bewegung der verhältnismäßig kleinen, aber zahlreichen Güterzüge ist in England nur um weniges langsamer als die der Personenzüge. Es gibt Baumwoll-, ja sogar Kohlen- und Erz-Eilzüge. Die Konstruktion der Lokomotiven trägt dem Zweck der Schnelligkeit bei nicht allzu großen Lasten Rechnung, der große Radstand ermöglicht schleuniges Anhalten und Abfahren. Die ausgebildeten Lade- und Entladevorrichtungen, die reiche Ausstattung mit allen technischen Hilfsmitteln spiegeln das hier alles beherrschende Hauptmoment: Schnelligkeit und Zeitersparnis, überall wider, während das Vertrauen des Publikums zum Eisenbahnpersonal sich in der geringern Bequemlichkeit der Personenwagen und Gepäckbeförderungsart zeigt und die Bauart der Wagen, Gestelle und Kasten das rege Bestreben erkennen läßt, unnötiges Geräusch zu vermeiden. Zugleich entwickelte der gewaltige Verkehr das Signalsystem in ausgezeichneter Weise. Auch verdient die vortreffliche Einrichtung Erwähnung, daß der Personenverkehr fast ausschließlich auf die Tagesstunden, der Güterverkehr dagegen auf die Abend- und Nachtstunden beschränkt ist. Hierdurch wird die hohe Präzision ermöglicht, durch welche sich die englischen E. in Hinsicht auf die Innehaltung der von ihnen gestellten Fristen auszeichnen. Einen besondern Charakterzug des englischen Eisenbahnwesens bildet endlich das Hineinrücken der E. in die Mittelpunkte der großen Städte und die Verwendung besonderer Eisenbahnsysteme in den großen Städten selbst. Dadurch, daß die englischen E. die Kosten nicht scheuten, ihre Bahnhofsanlagen in die Mitte der großen Städte zu verlegen (ein Beginnen, welches freilich den Kauf und die Niederreißung von ganzen Stadtvierteln erforderte), bemächtigten sie sich des Verkehrs, welcher im andern Fall ohne ihre Vermittelung zwischen den Städten und den Bahnhöfen stattgefunden haben würde. Da dieser Verkehr aber gleichzeitig zu einem sehr einfachen und sehr bequemen gestaltet wurde, so nahm das Wechselverhältnis zwischen den E. und den Bevölkerungszentren, welche dieselben verbinden, Dimensionen an, welche auf dem Kontinent bisher auf nur sehr wenigen Linien vorhanden sind. Dies aber hat wiederum zur Folge, daß die großen Anlagekosten für den Bau der englischen Bahnhöfe zu verhältnismäßig günstigen Resultaten führten, da sie, Licht und Luft schaffend, mittelbar zur Verschönerung und sanitarischen Verbesserung der Städte beitrugen. Die Anlage von Stadteisenbahnen endlich hat sich in England so gut bewährt, daß eine solche in Berlin 1874 begonnen und 1882 vollendet wurde und auch Paris und Wien eine städtische Eisenbahnanlage projektierten. Die Gesamtlänge der E. in Großbritannien betrug 1884: 30,358 km mit einem Anlagekapital von rund 16,000 Mill. Mk.

Auf dem Kontinent mußte das Eisenbahnwesen trotz seines nächsten Zwecks, im Dienste des Handels zu stehen, doch innerhalb der großen Militärstaaten sich den unmittelbaren Staatszwecken unterordnen; die äußere Anlage wie die Verwaltung der kontinentalen Bahnen legen hiervon Zeugnis ab.

In Deutschland hat der Bau der E. in der ersten Zeit in ganz empfindlicher Weise durch die Kleinstaaterei gelitten; in neuerer Zeit aber entwickelte sich das deutsche Eisenbahnnetz so außerordentlich schnell, daß es gegenwärtig an absoluter Länge allen übrigen europäischen Staaten voransteht, an relativer Dich-

Anmerkung: Fortgesetzt auf Seite 431.