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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Elsaß-Lothringen

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Elsaß-Lothringen (unter französischer Herrschaft).

tig beurteilen will. Seit 20. März 1617 war ihnen die Wahl nur zwischen der Abhängigkeit von Spanien und der von Frankreich gelassen. Das letztere erhielt im Westfälischen Frieden genau diejenigen Rechte und Besitzungen, welche Österreich unmittelbar vor Ausbruch des Kriegs den Spaniern abgetreten hatte. Der günstigste Fall für die Entwickelung des Elsaß wäre eingetreten, wenn sich Herzog Bernhard von Weimar, wie er beabsichtigte, in dem Grenzland eine selbständige fürstliche Gewalt zu schaffen vermocht hätte. Aber was mit französischem Geld und französischer Unterstützung gewonnen war, sollte auch den Franzosen zu gute kommen. Bernhards Tod lieferte das Elsaß in die militärische Gewalt der Franzosen.

Elsaß unter französischer Herrschaft.

Die Rechte der Reichsstände im Elsaß waren durch den Westfälischen Frieden allerdings besonders anerkannt und wahrgenommen worden. Allein die Art und Weise, wie von seiten Frankreichs der Westfälische Friede ausgelegt wurde, gestattete eine Ausdehnung der Oberhoheit der französischen Krone selbst über die Reichsstädte, in welchen Frankreich durch jenen Frieden eigentlich nur die bis dahin von den Habsburgern geübten Vogteirechte erhielt. Die Eroberungen, welche die Franzosen seit dem Westfälischen Frieden im Elsaß machten, waren vorherrschend administrativer Natur. Hierbei wurden sie von einheimischen Elsässern bestens unterstützt. Auch das Beginnen der Reunionskammern Ludwigs XIV. machte im Elsaß nicht jenen abstoßenden und empörenden Eindruck, den man sonst und bis auf den heutigen Tag davon empfand. Das Hereinziehen der verschiedenen kleinen Herrschaften unter das herrschende Gesetz von Frankreich erschien den minder begünstigten Ständen des alten zerrissenen Reichslandes als ein wesentlicher Fortschritt. Auch in Straßburg machten sich seit dem Abschluß des Westfälischen Friedens viele hervorragende Personen mit dem Gedanken vertraut, daß die Stadt früher oder später unter die Schutzhoheit der französischen Krone kommen werde. Der einzige Mann, welcher im Elsaß, durch Jahresgehalt und regelmäßige Dotationen gewonnen, offen für das Interesse Frankreichs wirkte, war der Bischof Franz Egon von Fürstenberg (s. Fürstenberg 2), welcher jedoch in dem protestantischen Straßburg gar keinen Einfluß besaß.

Mehr als 100 Jahre hindurch änderte die französische Herrschaft im Elsaß an den nationalen Verhältnissen des Landes nichts. In gewisser Art kam der deutsche Charakter des Volkes gerade im 17. und 18. Jahrh. litterarisch und wissenschaftlich erst recht zur Geltung. Innige Beziehungen zwischen Deutschland und der entrissenen Mark blieben auf dem geistigen Gebiet bis zur französischen Revolution bestehen. Von Straßburg war Philipp Jakob Spener ausgegangen, dessen Richtung auf das praktische Christentum im Elsaß immer einheimisch gewesen und schon in Tauler, in Kaisersberg und in den Straßburger Reformatoren hervorgetreten war. Die Universität in Straßburg gelangte unter der französischen Regierung ebenfalls zur vollen Blüte und zu großem Ansehen. Besonders waren es Juristen, Historiker und Philologen, welche eine große Anziehungskraft ausübten: Johannes Schilter, Jeremias Oberlin und Johann Scherz, Johann Daniel Schöpflin, Schweighäuser. Goethes Aufenthalt in Straßburg fällt gleichzeitig mit demjenigen Herders in die Jahre 1770 und 1771. Inzwischen waren die Franzosen auf dem politischen und ökonomischen Gebiet desto thätiger, die Einheit der Interessen der deutschen Provinz mit denen des französischen Reichs herzustellen. Industrie und Handel wurden gehoben. Der Tabaksbau, wohl schon seit 1620 im Elsaß begonnen, wurde durch die französische Regierung eine Quelle des Landeswohlstands. Auch die Weinproduktion, welche im Beginn der französischen Herrschaft unter dem Druck der neuen Staatsgrenzen litt, hob sich im Lauf des 18. Jahrh. bedeutend. In den Städten waren zwar die alten Verfassungen unangetastet geblieben, doch gewöhnte man allmählich die Bevölkerung an den Einfluß der französischen Administration. Die Regierung ernannte die sogen. Prätoren, welche mit den konservativen Stadträten zwar meist im Streit lagen, aber doch energisch für Verbesserung der Zustände wirkten. Gewaltig waren aber die Änderungen in den konfessionellen Verhältnissen des Landes. Schon unter Ludwig XIV. wurden die abscheulichsten Gewaltmaßregeln zur Katholisierung der Bevölkerung in Anwendung gebracht, daher überwog seit der Mitte des 18. Jahrh. in Straßburg das katholische Element. Beim Ausbruch der Revolution in Paris war das Land konservativ und partikularistisch gesinnt. Erst nachdem durch die Beschlüsse der französischen Nationalversammlung vom 4. Aug. 1789 die alten städtischen Einrichtungen beseitigt worden waren, gelangten in Straßburg die Franzosenfreunde zur Regierung. Die Elsässer traten damals mit Begeisterung für die Ideen der konstitutionellen Monarchie ein und bewährten auch ihren konstitutionellen Patriotismus gegenüber den einrückenden Heeren Österreichs und Preußens 1792. Seit dem Februar 1793 stand das Elsaß unter der Diktatur von Konventskommissaren, denen sich deutsche Jakobiner, wie Eulogius Schneider, zur Verfügung gestellt hatten. Allein das deutsche Jakobinertum war den Franzosen verdächtig. Der Straßburger Maire Monet aus Savoyen machte den Vorschlag, alle deutsch sprechenden Elsässer zu deportieren und das Land an französische Sansculotten zu verteilen. Der Sturz Robespierres und seiner Parteigenossen in Paris brachte indessen dem Elsaß ruhigere Tage, und in den folgenden Jahren wuchsen die Sympathien für Frankreich in einer erstaunlichen Weise. Teils die Errungenschaften der Revolution, teils die militärische Schule unter Napoleon I. brachten den Bruch des Elsaß mit seiner deutschen Vergangenheit zum Abschluß. Wichtig für die Territorialverhältnisse des Elsaß war die Annexion der Stadt Mülhausen (1798), die, obwohl sie die französische Oberherrschaft anerkannte, doch eine selbständige Republik im Bund mit den Schweizern geblieben war. In der großen Armee Napoleons spielten viele Elsässer eine hervorragende Rolle. Kellermann, Kléber und Rapp waren Elsässer. Als nach der Schlacht bei Leipzig die verbündeten Armeen den Rhein überschritten und österreichische Truppen in den letzten Tagen des Dezembers 1813 das obere Elsaß besetzten, während Wittgensteins russisches Korps durch Niederelsaß zog, war die Gesinnung der Städte und der Landbevölkerung eine sehr feindselige. Der in den siegreichen deutschen Armeen aufgekommene Gedanke, das Elsaß dem Deutschen Reich zurückzugewinnen, wurde von der Diplomatie vereitelt. Die französischen Departements des Ober- und Niederrheins, von Präfekten regiert, entsprachen ziemlich genau den Grenzen des alten Sundgaues und Nordgaues. Nur Landau kam durch den zweiten Pariser Frieden an Bayern. Unter den Präfekten des Niederrheins bewahrt man dem Marquis von Lezay-Marnesia (s. d.) das beste Andenken.

Seit der Restauration machten alle französischen Regierungen gleichmäßig den Versuch, die französi-^[folgende Seite]