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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: England

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England (Schulwesen, gelehrte Gesellschaften, Charakter der Bewohner).

ohne Tabak und geistige Getränke, geboten werden. Auch die zahlreichen Mäßigkeitsvereine (Teetotal Societies) haben teilweise einen religiösen Anstrich.

Bildung.

Das Schulwesen Englands hat sich ungemein rasch gehoben, seitdem die Schulakte vom Jahr 1870 die Gemeinden zwingt, für Herstellung und Verwaltung der nötigen Elementarschulen Sorge zu tragen. Wo die bestehenden Schulen dem Bedürfnis nicht genügen, muß ein von den Steuerzahlern gewählter Schulrat (School Board), in welchem auch Frauen Sitz und Stimme haben, dem Mangel abhelfen. In diesen Gemeindeschulen (Board Schools) darf zwar die Bibel gelesen und erklärt werden, dogmatischer Religionsunterricht ist indes ausgeschlossen. Außer ihnen gelten aber auch die von Gesellschaften oder Privaten unterhaltenen Schulen als "öffentliche", wenn die Schüler nicht gezwungen sind, dem Religionsunterricht beizuwohnen, und dem Inspektor der obersten Schulbehörde (Board of Education) der Zutritt zu jeder Zeit gestattet ist. "Öffentliche" Schulen haben Anspruch auf einen Zuschuß aus Staatsmitteln, dessen Höhe sich nach der Zahl der Schüler und den Leistungen derselben richtet. Unter den Gesellschaften, welche sich um das Unterrichtswesen durch Gründung von Schulen wesentliche Verdienste erworben haben, stehen die 1808 gegründete konfessionslose British and Foreign School Society und die 1811 ins Leben getretene anglikanische National Society obenan. Insgesamt gab es 1884: 18,761 öffentliche Elementarschulen mit Raum für 4,826,738 Kinder. Beim Besuch des Inspektors waren 3,925,045 Kinder anwesend, und der durchschnittliche Schulbesuch betrug 3,273,124. Einige sind zu wirklichen Mittelschulen erweitert worden, und mit den meisten Stadtschulen stehen Fröbelsche Kindergärten in Verbindung. Doch macht sich der Mangel an guten Mittelschulen immer mehr fühlbar. Die zahlreichen Privatanstalten und Pensionen dieser Art entsprechen häufig selbst nicht den bescheidensten Forderungen, während die alten Stiftsschulen und die durch Schulfreunde ins Leben gerufenen sogen. Proprietary Schools dem Bedürfnis nicht genügen. Unter den sogen. 401 Colleges und Grammar Schools, welche etwa den deutschen Gymnasien oder Realgymnasien entsprechen, nehmen die von Eton, Winchester, Harrow, Westminster, Christ College in London, die City of London School und die Merchant Taylors' School den vornehmsten Rang ein, und namentlich die vier zuerst genannten widmen sich der Erziehung der Söhne vornehmer Eltern.

Universitäten bestehen in Oxford, Cambridge, Durham und Manchester (Viktoria-Universität). Die sogen. Universität von London ist dagegen bloß eine Examinationsbehörde, vor welcher die Studenten der höhern Colleges, der Fachschulen u. a. promovieren. Diese höhern Colleges sind in der That "kleine" Universitäten mit 1-4 Fakultäten. Es gibt deren 14, einschließlich 4 für Damen. An Fachschulen ist E. gerade nicht reich. In London und den größern Städten bestehen in Verbindung mit den Hospitälern 25 Schulen für Ärzte, deren Studenten nach einem vor dem College of Physicians, dem College of Surgeons oder der Apothekergesellschaft abgelegten Prüfung zur Praxis zugelassen werden. Eine "Rechtsschule" besteht in Lincoln's Inn (London), in der Regel aber gehen Juristen bei einem Advokaten (barrister) oder Notar in die Lehre und treten nach einem Examen in eine der juristischen Korporationen ein. Theologische Seminare gibt es 56 protestantische und 23 katholische, in welchen auch Schüler, die sich nicht dem Priesterstand zu widmen gedenken, Aufnahme finden. Lehrer und Lehrerinnen werden in 39 Training Colleges ausgebildet. Polytechnische Anstalten in größerm Maßstab bestehen jetzt in Birmingham, Leeds und London; eine Akademie für die Ausbildung von Ingenieuren für Indien findet sich bei Coopers' Hill. Außerdem sind noch zu erwähnen 2 landwirtschaftliche Akademien, 1 College für Tierärzte, 4 höhere Militärschulen in Woolwich und Sandhurst und 4 Konservatorien der Musik. Wenn die Anzahl der technischen Schulen gering erscheint für ein Land mit so hoher gewerblicher Entwickelung, so darf nicht vergessen werden, daß auch in den meisten höhern Colleges technische Fächer gelehrt werden. Außerdem aber entwickelt das Science and Art Department eine sehr ersprießliche Thätigkeit, indem unter seiner Leitung eine Bergbauschule, eine Schifffahrtsschule, eine Hochschule für Kunstgewerbe, über 100 technische Schulen (science schools) und 150 Zeichenschulen ins Leben gerufen worden sind. Alles in allem leitet diese Behörde, deren Mittelpunkt das Gewerbemuseum in South Kensington bildet, den Unterricht von über 1 Mill. Studierenden und Schulkindern. Auch die von den alten Gilden Londons gegründete Anstalt hat bereits über 150 technische Unterrichtskurse in Provinzialstädten eingerichtet. Im J. 1881 zählte man in E. und Wales 46,074 Lehrer und 122,846 Lehrerinnen, 2925 Studenten der Theologie, 5992 Studenten der Medizin, 1953 des Rechts und 1337 Kunstschüler.

Unter den gelehrten Gesellschaften behauptet die 1663 gegründete Royal Society den ersten Rang. Außer ihr gibt es zahlreiche Gesellschaften, welche sich die Pflege der verschiedensten Zweige des menschlichen Wissens und der Kunst angelegen sein lassen. Die zahlreichen über das ganze Land verbreiteten Literary and Mechanics Institutions suchen durch belehrende und musikalische Vorträge auf ihre Mitglieder bildend einzuwirken. Aus Gemeindemitteln unterhaltene Freibibliotheken gibt es jetzt in 102 größern Städten. Was nun auch noch die Mängel des englischen Schulwesens sein mögen, so muß doch anerkannt werden, daß die Fortschritte, die man seit 1870 in jeder Richtung gemacht hat, ganz bedeutende sind. (Weiteres s. Großbritannien.)

Charakter und Sinnesart.

Es hält schwer, den Charakter eines Volkes zu bestimmen, welches aus so mannigfachen Elementen besteht wie das englische; denn gerade was am meisten in die Augen springt, sind eben oft nur Absonderlichkeiten, welche eine Minderheit auszeichnen, denen aber die große Masse des Volkes fremd ist. Man darf wohl sagen, daß der Engländer über Mittelgröße und kräftig gebaut ist. Die Größe bei 40 Jahre alten Männern beträgt 1727 mm (bei Wohlhabenden 1745, Handwerkern 1704, Feldarbeitern 1717 mm), das Gewicht 74,4 kg (bez. 77,1, 69,9 und 73,0 kg) und der Brustumfang 767 mm. Dieser kräftige Körperbau ist wesentlich eine Folge der nahrhaften, wenn auch derben Kost. Weizenbrot und geröstetes Fleisch (an dessen Stelle beim Arbeiter häufig Speck tritt) sowie schwere Puddinge sind die Nationalgerichte. Roastbeef und aus Rosinen, Mehl, Nierenfett etc. zubereiteter Plumpudding fehlen auch dem armen Mann beim Weihnachtsfest nicht, selbst nicht in den Armenhäusern. Schweres Bier (Ale und Porter) und Wacholderschnaps (Gin) sind die Nationalgetränke. Nur die wohlhabenden Klassen trinken häufig Wein, aber während früher die schweren Portweine am beliebtesten waren, begnügt man sich jetzt mit leichtern