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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Epigonen - Epiktetos.

Epigonen (griech., "Nachgeborne"), in der griech. Sage die Söhne der sieben griechischen Fürsten, welche, mit Polyneikes verbündet, gegen Theben gezogen und in diesem Kampf bis auf Adrastos sämtlich gefallen waren (s. Eteokles). Gewöhnlich werden sieben E. gezählt, nämlich: Alkmäon, Sohn des Amphiaraos, Ägialeus, Sohn des Adrastos, Diomedes, Sohn des Tydeus, Promachos, Sohn des Parthenopäos, Sthenelos, Sohn des Kapaneus, Thersandros, Sohn des Polyneikes, und Euryalos, Sohn des Mekisteus. Den Tod ihrer Väter zu rächen, zogen die Söhne zehn Jahre später, nachdem ihnen das Orakel einen glücklichen Erfolg verheißen hatte, mit Heeresmacht gegen Theben, drangen, nachdem die Thebaner auf den Rat des Teiresias zur Nachtzeit die Stadt verlassen, in dieselbe ein, plünderten sie und steckten sie in Brand. Ihre Bildsäulen waren als Weihgeschenke im Tempel zu Delphi aufgestellt. Der Krieg der E. ward erst von der epischen, später von der tragischen Dichtkunst behandelt. - Im weitern Sinn bezeichnet man in der Litteratur und überhaupt in der Geschichte als E. diejenigen, welche sich aus Mangel an eignen schöpferischen Fähigkeiten darauf beschränken, die Ideen ihrer epochemachenden Vorgänger weiter zu verbreiten und zu verarbeiten.

Epigramm (griech.), ursprünglich "Aufschrift" an einem Weihgeschenk, einem Grabmal, einem Kunstwerk etc., lediglich mit dem Zweck der Bezeichnung des Gegenstandes und dessen Bedeutung. Später erhielten diese Inschriften eine poetische Erweiterung, indem sie in knappster Fassung des Sinnes, meist in Distichen, auch Gefühlen und Gedanken Raum gaben, welche sich an die betreffende Person, Handlung oder Begebenheit knüpften, und bildeten sich so zu einer selbständigen Dichtgattung heraus. Lessing erklärt das E. für ein Gedicht, in welchem nach Art der eigentlichen Aufschrift unsre Aufmerksamkeit und Neugierde auf irgend einen einzelnen Gegenstand erregt und mehr oder weniger hingehalten werden, "um sie mit Eins zu befriedigen". Erwartung und Aufschluß sind daher die beiden wesentlichen Teile des Epigramms, von denen erstere (wie ein Rätsel) durch einen scheinbaren Widerspruch gespannt, letzterer durch eine überrraschende ^[richtig: überraschende] Deutung des Sinnes herbeigeführt wird (daher auch der deutsche Name Sinngedicht für E.). Begründer der epigrammatischen Kunst war Simonides von Keos, dessen Epigramme, zum großen Teil für die Monumente der Kämpfer in den Perserkriegen gedichtet, Muster poetischer Auffassung sind und sich durch Schärfe des Gedankens und großartige Einfachheit auszeichnen. In der Folge fand das E. die allgemeinste Pflege, und der poetische Sinn der Griechen entfaltete in dergleichen kleinen Gedichten noch lange eine große Anmut, Vielseitigkeit und Gewandtheit, auch nachdem ihnen die Kraft zu größern Produktionen entschwunden war. Ein Teil des reichen Nationalschatzes griechischer Epigramme ist uns in der griechischen Anthologie (s. d.) erhalten. Von den Griechen kam die epigrammatische Poesie nach Rom und wurde hier mit Vorliebe gepflegt, nahm aber bald den vorwiegend satirischen Charakter an. In der Periode des Augustus werden die ersten Dichter Roms sowie die angesehensten Männer des Staats unter den Epigrammdichtern genannt. Das Bedeutendste aber, was sich von dieser Art Poesie der Römer erhalten hat, sind die Epigramme des Martial; in späterer Zeit tritt noch Ausonius hervor. Auch bei den romanischen Völkern trug das E. meist den beißenden Charakter, ward aber zum Teil zum Madrigal, zum Teil auch zum Sonett umgestaltet. Am beliebtesten war es in Frankreich, wo Element Marot (1495-1544) als der erste bekannte Dichter in dieser Gattung genannt wird. Mittels des Epigramms pflegte sich besonders seit Richelieus Zeiten und kurz vor dem Ausbruch der Revolution die zum Stillschweigen verurteilte politische Opposition zu äußern. In England wußte vornehmlich Owen den Ton des Martial zu treffen. Als die ältesten deutschen epigrammatischen Produkte gelten die "Priameln" des 13. und 14. Jahrh., die jedoch, ähnlich den Sinngedichten des Orients (Indien, Persien), mehr allgemeine Sitten- und Weisheitssprüche sind. Im 17. Jahrh. hielt man sich im E. an das Vorbild der Alten und nahm sich vornehmlich Martials sarkastische Schärfe zum Muster; so besonders Logau, später Wernicke, Kästner, Lessing, Haug. Goethes und Schillers Epigramme sind, die scharf treffenden "Xenien" ausgenommen, meist Sinnsprüche allgemeinern Inhalts. Aus neuerer Zeit sind Platen, Grillparzer, Hebbel, Vischer u. a. anzuführen. Die beliebteste Form des Epigramms ist noch jetzt das Distichon, das als sein vollkommenes formales Schema angesehen werden kann, indem der Hexameter die Erwartung, der Pentameter den kurz zusammenfassenden Aufschluß gibt. Indessen eignet sich auch der kurze Iambus mit passenden Reimverschlingungen zum Träger des Epigramms. Die Theorie des Epigramms behandelten Lessing in den "Anmerkungen über das E." und Herder in der Abhandlung "Über das griechische E.", jener vorzugsweise in Rücksicht auf das satirische E. der Römer, dieser im Anschluß an die griechische Anthologie von einem umfassendern Gesichtspunkt aus. Neuere Sammlungen von Epigrammen veröffentlichten R. Benedix ("Sammlung deutscher Epigramme", Leipz. 1861), Booth ("Epigrams, ancient and modern", 2. Aufl., Lond. 1865) und Dodd ("Epigrammatists", 2. Aufl., das. 1875).

Epigrammata figurata (lat.), s. Bilderreime.

Epigrammatiker (Epigrammatist), Epigrammendichter.

Epigraph (lat. Inscriptio), Auf- oder Inschrift an einem Gegenstand, einem Haus etc.; auch s. v. w. Denkspruch; insbesondere aber die im sogen. Lapidarstil abgefaßte Inschrift auf einem Denkmal; daher Epigraphik, Inschriftenkunde (s. Inschriften).

Epigraphische Seite, die Seite einer Münze, welche Bild und Schrift trägt, gewöhnlich der Avers; ist bloß Schrift darauf, so heißt sie monepigraphisch, nur Bild, anepigraphisch.

Epigynisch (griech.), oberweibig, Bezeichnung solcher Blüten, bei denen Kelch, Blumenkrone und Staubgefäße höher zu stehen scheinen als der Fruchtknoten; vgl. Blüte, S. 65.

Epik, epische Dichtkunst (s. Epos); Epiker, Dichter eines Epos.

Epikarp, s. Perikarp.

Epikaste, s. Ödipus.

Epikedeion (griech., lat. Epicedium), bei den alten Griechen ein Trauergesang, der während der Ausstellung der Leiche gesungen ward.

Epikrise (griech.), Entscheidung; Gesamturteil über einen Krankheitsfall.

Epiktetos, stoischer Philosoph, geboren um 50 n. Chr. zu Hierapolis in Phrygien, kam als Sklave des Epaphroditos, des Günstlings Neros, nach Rom, erlangte hier wegen seines wissenschaftlichen Sinnes die Freiheit, mußte 94 auf Befehl des Domitian mit allen Philosophen Italien verlassen und begab sich nach Nikopolis in Epirus, wo er mit großem Beifall, wie auch schon in Rom, als Lehrer auftrat und wahrschein-^[folgende Seite]