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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Erbrecht; Erbrezeß; Erbschaft; Erbschaftsgeld; Erbschaftsklage; Erbschaftssteuern

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Erbrecht - Erbschaftssteuern.

Erbrecht, im subjektiven Sinn das Recht einer Person (des Erben), in die Vermögensrechte eines Verstorbenen (des Erblassers) einzutreten. Im objektiven Sinn versteht man unter E. (jus hereditarium) den Inbegriff der hierauf bezüglichen Rechtssätze. Das ganze E. baut sich, rechtsphilosophisch betrachtet, auf dem bei allen zivilisierten Völkern anerkannten Satz auf, daß gewisse Lebens- und Rechtsverhältnisse des Menschen die physische Persönlichkeit desselben überdauern, und daß es mit schweren wirtschaftlichen und sittlichen Schäden verknüpft sein würde, wollte die Gesetzgebung mit der physischen auch die vermögensrechtliche Persönlichkeit ihr Ende erreichen lassen. Die sozialistische Theorie freilich, welche das Privateigentum überhaupt in Gesamteigentum der als Staat organisierten bürgerlichen Gesellschaft verwandelt wissen will, kann selbstverständlich auch kein E. anerkennen. Dagegen entspricht der herrschenden Anschauung, wie sie sich in einem langen Völkerleben entwickelt hat, die Grundidee des Erbrechts, daß nur diejenigen Rechtsverhältnisse des Menschen mit dem Tod erlöschen, welche rein persönlicher Art sind, also z. B. die mit der amtlichen Stellung verknüpften. Würde man dagegen die Schulden eines Menschen dessen Leben nicht überdauern lassen, so würden sich natürlich die Kreditverhältnisse desselben bei Lebzeiten weit ungünstiger gestalten, und würde man ihm die Aussicht nehmen, das bei Lebzeiten Erworbene bei seinem Tode denjenigen zu hinterlassen, welche ihm im Leben besonders nahe standen, so würde dies auf die menschliche Erwerbsthätigkeit und Wirksamkeit den nachteiligsten Einfluß ausüben. Dazu kommt der Anspruch der Kinder auf Versorgung und Unterhalt seitens der Erzeuger und nach deren Tod aus dem hinterlassenen Vermögen derselben. Ebendieselben wirtschaftlichen und ethischen Gründe aber, welche dafür sprechen, daß das Gesetz dem Kreis der Verwandten und dem überlebenden Ehegatten Ansprüche auf die Hinterlassenschaft des Erblassers sichere, können auch dafür geltend gemacht werden, daß man bei Lebzeiten über seinen Nachlaß letztwillig verfügen und ihn denjenigen hinterlassen könne, welchen man sich besonders verpflichtet fühlt, oder für die man besondere Neigungen empfindet. Freilich muß diese Testierfreiheit wiederum durch das Gesetz eine Einschränkung zu gunsten derjenigen finden, welche durch Bande der Blutsverwandtschaft dem Erblasser besonders nahe stehen, und die ein Recht darauf haben, aus dem Vermögensnachlaß des Erblassers die Mittel zum Lebensunterhalt zu beziehen. So entstehen die drei Hauptfälle der Erbfolge (s. d.), je nachdem das Gesetz oder der Wille des Erblassers den Erben beruft oder endlich ein Pflichtteilsberechtigter gegen den Willen des Erblassers zur Erbschaft berufen wird. Damit sind auch die drei Hauptteile des positiven Erbrechts gegeben: Intestaterbrecht (gesetzliches E.), testamentarisches E. und Noterbenrecht. Was die letztwillige Ordnung der Erbfolge anbetrifft, so kommt zu der testamentarischen Erbfolge des römischen noch der Erbvertrag (s. d.) des deutschen Rechts hinzu. Auch kann im Testament (s. d.) nicht bloß die Einsetzung eines oder mehrerer Erben erfolgen, sondern diese können auch mit bestimmten Zuwendungen (Legaten, Vermächtnissen) zu gunsten dritter Personen belastet werden (s. Legat). Der Unterschied zwischen dem Erben und dem Vermächtnisnehmer besteht jedoch darin, daß der Erbe in die gesamte vermögensrechtliche Persönlichkeit des Erblassers, ganz oder doch wenigstens zu einem Quoteteil, eintritt, während es sich bei jenem nur um den Erwerb einzelner Vermögensrechte (Singularsuccession) handelt. Dieser im römischen Recht konsequent durchführte Gedanke der Universalsuccession successio in universum jus, quod defunctus habuit) liegt auch dem modernen E. zu Grunde. Im einzelnen ist dasselbe freilich außerordentlich vielgestaltig, und gerade auf dem erbrechtlichen Gebiet ist die partikulare Rechtszerrissenheit in Deutschland noch sehr groß, wenn auch das römische E. das gemeinrechtliche ist und im wesentlichen die Grundlage der erbrechtlichen Bestimmungen in den einzelnen Staaten und Landschaften bildet. Vgl. Erbfolge.

Erbrezeß (Erbvergleich), das Übereinkommen mehrerer Erben hinsichtlich der Verteilung eines auf sie schon vererbten Nachlasses; auch die hierüber ausgefertigte gerichtliche Urkunde. S. Erbteilung.

Erbschaft (lat. hereditas), der Nachlaß eines Verstorbenen, insofern er durch den Tod desselben (des Erblassers) auf einen andern (den Erben) übergehen kann. Das eigentliche Wesen der E. ist, daß der Erbe die Person des Erblassers in vermögensrechtlicher Beziehung repräsentiert, also nur insoweit, als die Rechte und Verbindlichkeiten des Erblassers übertragbar sind; namentlich sind die höchst persönlichen Rechtsverhältnisse, z. B. Familienrechte, Amtsverhältnisse etc., ausgeschlossen. Solange noch kein bestimmter Erbe vorhanden ist, wird die E. als eine juristische Person betrachtet und heißt Hereditas jacens. Erworben wird die E. nach römischem und gemeinem deutschen Erbrecht (s. d.) erst durch deren Antritt, indem die Delation derselben weiter nichts als die rechtliche Möglichkeit des Erwerbs begründet. Zum Antritt einer E. bedarf es einer ausdrücklichen Erklärung, wofür jedoch auch Handlungen, welche die Absicht der Übernahme ausdrücken, gelten (pro herede gestio). Der Erbe hat sich binnen einer gewissen Frist (spatium deliberandi) zu erklären, ob er die E. antreten will oder nicht (s. Bedenkzeit). Außerdem kann dem Erben, wo nicht etwas andres gesetzlich bestimmt ist, auf Antrag der Gläubiger seitens des Richters aufgegeben werden, sich binnen einer festgesetzten Frist über den Antritt der E. zu erklären. Im ältern deutschen Rechte dagegen galt der Grundsatz: der Tote erbt (d. h. ergreift) den Lebendigen, ein Prinzip, welches sich partikularrechtlich erhalten und auch im französischen Recht Anerkennung gefunden hat (s. Erbfolge). Der Erbe kann die E. ohne irgend einen Nachteil antreten, falls er nur innerhalb der gesetzlichen Frist ein Verzeichnis des Nachlasses einreicht. Er haftet alsdann für Erbschaftsschulden nur bis zum Belauf der E. Ein solcher Erbe heißt Benefizialerbe (s. Beneficium inventarii).

Erbschaftsgeld, s. Abschoß.

Erbschaftsklage, s. Erbfolge.

Erbschaftssteuern, welche von Hinterlassenschaften Verstorbener erhoben werden, sind schon seit langer Zeit bekannt. Sie bestanden in Rom unter Augustus mit Befreiung der Aszendenten und Deszendenten unter der Form der vigesima hereditatum, wurden in England 1694 eingeführt ohne Unterscheidung der Verwandtschaftsgrade und bestehen gegenwärtig in den meisten Kulturstaaten. Sie sind eigentliche Gebühren (Erbschaftsgebühr), sofern sie nach Maßgabe der bei Vererbungen in Anspruch genommenen Amtshandlungen (Hinterlegung eines Testaments, Sicherung der Beweisgründe etc.) bemessen und erhoben werden. In der Praxis tragen sie meist den Charakter von Steuern. Zu ihrer Rechtfertigung werden teils sozialpolitische, teils echt finanzpoli-^[folgende Seite]