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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Erdbeben

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Erdbeben.

Erscheinung (man ist berechtigt, jährlich mehrere Tausend einzelner Stöße anzunehmen), nur sind sie ungleichmäßig verteilt, insofern sie in gewissen Gegenden sehr häufig sind, andre nur selten betreffen, doch ohne daß man annehmen dürfte, es gebe eine für E. vollkommen intakte Gegend. In Berücksichtigung, daß Nachrichten über den Eintritt von E. uns nur aus einem verhältnismäßig kleinen Teil der Erde zukommen können und unter diesen Orten sicher gerade solche fehlen, an denen nach aller Analogie die E. häufig sein dürften, muß eine Statistik der E. (Perrey, Kluge, Schmidt, Falb u. a.) durchaus unvollständige Resultate liefern. Wenn daher Perrey und Falb ihre Zusammenstellungen über die Häufigkeit der E. benutzen, um nachzuweisen, daß das Maximum des Eintritts der E. mit bestimmten Jahreszeiten oder gewissen Konstellationen der Gestirne, namentlich des Mondes und der Sonne, zusammenfalle, so ist eine solche Hypothese schon wegen der mangelhaften statistischen Begründung hinfällig. Ebenso entbehrt die Behauptung des Zusammenhanges der E. mit barometrischen Minima der Begründung durch Beobachtungen. Dagegen bleibt der Wert solcher Zusammenstellungen um so weniger zweifelhaft, je mehr sie sich nicht nur auf das Datum des Eintritts beschränken, sondern eine möglichst vollständige Schilderung aller begleitenden Erscheinungen gehen. So publiziert Fuchs alljährlich eine Übersicht nach den Tagesblättern, und in den meisten Ländern, so besonders in der Schweiz, Belgien, Österreich, England, Italien, Nordamerika, Japan und in einigen deutschen Ländern (Baden, Hessen, Sachsen), haben sich besondere vom Staat oder von Privatgesellschaften niedergesetzte Kommissionen die Aufgabe gestellt, über jedes eintretende E. das genaueste Detail zu sammeln. Die Beobachtung unterstützen sollen besondere Instrumente, die Seismometer (Bewegungsmesser), teils elektrische Registrierapparate, bei welchen der Schluß des Stroms durch den Stoß veranlaßt wird, teils einfache Vorrichtungen, deren Erwerbung und Beobachtung jedem ermöglicht ist (vgl. Seismometer). Durch die Arbeiten der Neuzeit und einige wenige brauchbare Beschreibungen älterer E. ist ein gutes, aber immerhin noch sehr bescheidenes Material zu einer wissenschaftlichen Behandlung der E. allmählich gewonnen worden; es bleibt aber die Häufung brauchbarer Beobachtungen die nächste Hauptaufgabe in der Erdbebenfrage. - Untrügliche Anzeichen der E. gibt es nicht, und alles, was ältere Arbeiten über solche berichten, ist irrtümlich und bezieht sich auf zufälliges Zusammentreffen ursachlich fremdartiger Erscheinungen. Die neuerdings namentlich von Falb geübte Prophezeiung von E. auf bestimmte Daten beruht, wie namentlich Hörnes behauptet hat, auf einer unhaltbaren Hypothese.

Die E. sind Erschütterungen, welche von einem im Innern der Erde gelegenen Ort (Zentrum) ausgehen. Die sich fortpflanzende Bewegung wird in dem senkrecht über dem Ausgangsort gelegenen Teil die Erdoberfläche zuerst erreichen (Epizentrum) und hier einen von unten nach oben gerichteten Stoß (sukkussorische Bewegung) erzeugen. An den Orten, die auf der Erdoberfläche vom Epizentrum entfernt liegen, kommt die vom Zentrum ausgehende Erschütterung um so später und in um so schrägerer Richtung an, je größer die Entfernung vom Epizentrum ist. Hier kann die Erschütterung nur noch zum Teil sukkussorisch sein, zum Teil wird sie in seitlicher Richtung verlaufen (undulatorische Bewegung). Hierzu kommen aber für alle diese Orte auch seitlich vom Epizentrum ausgehende undulatorische Schwingungen, welche um so mehr den Charakter der ganzen Erschütterung bestimmen werden, je weiter die betreffenden Orte vom Epizentrum entfernt liegen, während das Vorwiegen sukkussorischer Bewegung auf die Nähe des Epizentrums hinweist, welches selbst rein sukkussorisch erschüttert wird. In einzelnen Fällen und an einzelnen Objekten kann sich auch eine drehende (rotatorische) Bewegung erzeugen, dann nämlich, wenn die undulatorische auf Gegenstände stößt, welche aus mehreren untereinander nicht genau in der Schwerpunktsachse befestigten Teilen bestehen. Die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Erdbebenwelle ist eine verschiedene, von der Qualität und der Heftigkeit des Stoßes sowie von dem Gesteinsmaterial, in welchem sie sich abspielt, abhängige. Durch einen jähen Wechsel des Gesteins, etwa beim Auftreten fester Felsen, umgeben von lockern Sanden, können inselartige Ruhepunkte innerhalb eines erschütterten Gebiets entstehen. Experimentell hat Mallet die Fortpflanzungsgeschwindigkeiten bei Erschütterungen gefunden: für Sand zu 251,5 m, für gelockerten Granit zu 398 m, für festen Granit zu 507,5 m in der Sekunde, Zahlen, welche sich, wie ein Vergleich mit der unten gegebenen Tabelle zeigt, nicht allzuweit von den bei E. beobachteten Fortpflanzungsgeschwindigkeiten entfernen. - Liegt das Epizentrum im Meer, so entstehen Wasserbeben, welche von Schiffen, die sich über dieser Stelle oder doch in der Nähe derselben befinden, als sukkussorische Stöße, als Erzittern der Wasserfläche empfunden werden. Zu unterscheiden davon sind die Flutwellen, welche durch Übertragung der E. auf die Meere entstehen, und von denen namentlich die an das südamerikanische E. vom 13. Aug. 1868 sich anknüpfende durch Hochstetter gut studiert ist. Die folgende Tabelle stellt die Resultate hinsichtlich des Wegs, welchen die Welle durchlief, und der Geschwindigkeit der Fortpflanzung zusammen:

Von Arica bis Entfernung Kilom. Zeitdauer Stunden Min. Geschwindigkeit in der Stunde Kilom.

Valdivia 2634 5 - 527

Newcastle 13690 16 2 592

Chathaminseln 10240 15 19 668

Insel Oparo 7526 11 11 672

Honolulu 10350 12 37 820

Flutwellen sind ferner durch das E. von Iquique 1877 (Geinitz) erzeugt worden sowie durch das E., welches auf die furchtbare Eruption des Krakatoa 1883 zurückführbar ist. Bei dem letztgenannten E. wurde auch erstmalig die Mitleidenschaft der Atmosphäre in einer die ganze Erde mehrmals umziehenden Luftwelle nachgewiesen (Forster, Lockyer). Von besonderer Wichtigkeit, namentlich auch bezüglich der Frage nach der letzten Ursache der E., ist die Untersuchung, von welchem Ort innerhalb der Erbe die E. ausgehen. Verbindet man die Punkte der Erdoberfläche, welche gleichzeitig erschüttert werden, durch Linien (Homoseisten), so werden diese Kurven das Epizentrum konzentrisch umgeben und durch ihre Form einen Rückschluß auf die Form des Epizentrums selbst erlauben. Kreise weisen auf einen Punkt oder doch Kreis (zentrale E.), Ellipsen auf eine Ellipse oder Linie (lineare E.) als Epizentrum hin. Das Epizentrum wird aber im allgemeinen der Form nach dem Zentrum entsprechen. Die Tiefe des Zentrums unter dem Epizentrum hat zuerst Mallet zu bestimmen gesucht, indem er die Richtung der zahlreichen Risse und Spalten, welche das neapolitanische E. vom