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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Essiggeist; Essigmesser; Essigmutter; Essigsäure

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Essiggeist - Essigsäure.

mit Essig dargestellt werden. Offizinell sind folgende. Fingerhutessig (Acetum digitalis): 5 Digitalisblätter, 9 verdünnte Essigsäure, 36 Wasser und 5 Spiritus werden acht Tage maceriert; Meerzwiebelessig (Acetum scillae): 5 Meerzwiebelwurzel, 9 verdünnte Essigsäure, 36 Wasser und 5 Spiritus werden drei Tage maceriert.

Essiggeist, s. v. w. Aceton.

Essigmesser, s. Acetometer.

Essigmutter, s. Mycoderma.

Essigsäure (Acetylsäure) C2H4O2 ^[C_{2}H_{4}O_{2}] findet sich in der Natur teils frei, teils an Basen gebunden im Saft vieler Pflanzen, namentlich baumartiger Gewächse, im Schweiß und Muskelsaft, im Safte der Milz und andrer Drüsen, im Blut Leukämischer und nach dem Genuß zucker- und stärkemehlreicher Substanzen auch im Magen. Sie bildet sich bei sehr vielen chemischen Prozessen, z. B. bei der trocknen Destillation der meisten nicht flüchtigen organischen Körper, wie Holz (daher im Holzessig), beim Schmelzen von Zucker, Weinsäure und ähnlichen Substanzen mit Kalihydrat, bei der Fäulnis und hauptsächlich bei der Oxydation des Alkohols. Reiner Alkohol verdunstet an der Luft unverändert, läßt man ihn aber auf fein verteiltes Platin (Platinmohr) tröpfeln, so wird er schnell zu E. oxydiert. Der Platinmohr enthält verdichteten Sauerstoff, und dieser wird auf den Alkohol übertragen. Verdünnter Alkohol geht bei Gegenwart eines Ferments an der Luft gleichfalls in E. über, und darauf beruht die Essiggewinnung. Konzentrierte E. wird meist aus Holzessig dargestellt. Man neutralisiert denselben mit Kalk, verdampft die Lösung des essigsauren Kalks zur Trockne und bringt das Salz unter dem Namen Weißkalk in den Handel. Wo aber der Holzessig direkt auf E. verarbeitet werden soll, destilliert man ihn (wobei zuerst Methylalkohol, Holzgeist, übergeht), neutralisiert das Destillat, welches bedeutend reiner ist als der rohe Holzessig, mit kohlensaurem Natron, verdampft die Lösung des essigsauren Natrons (Rotsalz) zur Trockne, zerstört den größten Teil der empyreumatischen Substanzen, mit welchen das Salz verunreinigt ist, durch Schmelzen desselben und reinigt es durch Umkristallisieren. Man destilliert nun den gerösteten essigsauren Kalk mit Salzsäure oder, wenn es sich um reinere E. handelt, das essigsaure Natron mit Schwefelsäure. Zur Gewinnung der stärksten E. wird das essigsaure Natron durch Schmelzen entwässert und mit konzentrierter Schwefelsäure destilliert. Die gewonnene E. rektifiziert man, um die letzten Spuren empyreumatischer Stoffe zu zerstören, über übermangansaurem Kali. Bei starker Abkühlung scheidet sich dann reine E. in Kristallen ab, von welcher wasserhaltige Säure abgegossen werden kann. Auch aus Essig kann man durch Neutralisieren mit kohlensaurem Natron etc. E. gewinnen, in neuester Zeit aber gelingt dies auch durch Destillation, wobei man nach denselben Prinzipien verfährt und ähnliche (Kolonnen-) Apparate anwendet wie bei der Spiritusfabrikation. E. bildet eine farblose Flüssigkeit, riecht und schmeckt stechend sauer, wirkt höchst ätzend, erzeugt auf der Haut schmerzhafte Brandblasen, zieht an der Luft begierig Feuchtigkeit an, raucht in ammoniakalischer Luft, erstarrt bei 16° kristallinisch (Eisessig), siedet bei 118°, ist brennbar, mischt sich mit Wasser, Alkohol und Äther, löst einige ätherische Öle, Kampfer, Harze, fette Öle, Farbstoffe und reagiert stark sauer. Das spezifische Gewicht der reinen E. ist 1,055 bei 15°, steigt bei einem Wassergehalt bis 20 Proz. und sinkt dann wieder, so daß eine E., die 43 Proz. reine E. enthält, wieder das spezifische Gewicht 1,055 zeigt. Die folgende Tabelle zeigt den Gehalt der E. von verschiedenem spezifischen Gewicht bei 15°.

Gehalt der Essigsäure von verschiedenem spezifischen Gewicht bei 15°.

Proz. E. Spez. Gewicht Proz. E. Spez. Gewicht Proz. E. Spez. Gewicht Proz. E. Spez. Gewicht

0 0,9992 26 1,0363 51 1,0623 76 1,0747

1 1,0007 27 1,0375 52 1,0631 77 1,0748

2 1,0022 28 1,0388 53 1,0638 78 1,0748

3 1,0037 29 1,0400 54 1,0646 79 1,0748

4 1,0052 30 1,0412 55 1,0653 80 1,0748

5 1,0067 31 1,0424 56 1,0660 81 1,0747

6 1,0083 32 1,0436 57 1,0666 82 1,0746

7 1,0098 33 1,0447 58 1,0673 83 1,0744

8 1,0113 34 1,0459 59 1,0679 84 1,0742

9 1,0127 35 1,0470 60 1,0685 85 1,0739

10 1,0142 36 1,0481 61 1,0691 86 1,0736

11 1,0157 37 1,0492 62 1,0697 87 1,0731

12 1,0171 38 1,0502 63 1,0702 88 1,0726

13 1,0185 39 1,0513 64 1,0707 89 1,0720

14 1,0200 40 1,0523 65 1,0712 90 1,0713

15 1,0214 41 1,0533 66 1,0717 91 1,0705

16 1,0228 42 1,0543 67 1,0721 92 1,0696

17 1,0242 43 1,0552 68 1,0725 93 1,0686

18 1,0256 44 1,0562 69 1,0729 94 1,0674

19 1,0270 45 1,0571 70 1,0733 95 1,0660

20 1,0284 46 1,0580 71 1,0737 96 1,0644

21 1,0298 47 1,0589 72 1,0740 97 1,0625

22 1,0311 48 1,0598 73 1,0742 98 1,0604

23 1,0324 49 1,0607 74 1,0744 99 1,0580

24 1,0337 50 1,0615 75 1,0746 100 1,0553

25 1,0350

Das Acidum aceticum der Pharmacopoea germanica besitzt das spez. Gew. 1,064 und siedet bei 117°. Das Acid. acet. dilutum (Acetum concentratum) vom spez. Gew. 1,041 enthält 30 Proz. E. E. wirkt gärungswidrig; stark verdünnt, schimmelt sie an der Luft und zerfällt in Kohlensäure und Wasser. Bei Einwirkung von Chlor auf E. im Sonnenlicht entstehen drei Chloressigsäuren, welche zerfließliche Kristalle bilden und zum Teil als Ätzmittel empfohlen worden sind. Behandelt man ein trocknes essigsaures Salz mit Phosphoroxychlorid, so entsteht Essigsäureanhydrid (wasserfreie E.) C4H6O3 ^[C_{4}H_{6}O_{3}], eine farblose Flüssigkeit, welche ungemein stechend sauer riecht, bei 137° siedet, sich nicht mit Wasser mischt und nicht den Charakter einer Säure besitzt, aber bei längerer Berührung mit Wasser wieder in E. übergeht. Verdünnte E. (Essig) wirkt durstlöschend, kühlend, setzt, in größern Quantitäten genommen, die Pulsfrequenz und Körpertemperatur herab, veranlaßt bei längerm Gebrauch Verdauungsstörungen, Appetitlosigkeit; Neigung zum Durchfall, Kolikschmerzen; das Gesicht wird blaß, es erfolgt Abmagerung und bisweilen Lungenschwindsucht. Reine E. wirkt innerlich ätzend wie Mineralsäure; äußerlich dient sie als blasenziehendes Mittel (Vésicatoire de Beauvoisin), als Ätzmittel bei Warzen und Hühneraugen (Acetine ist mit 0,5 Volumen Wasser verdünnte E.) und zu Riechfläschchen. Verdünnte E. (Essig) wird auch als blutstillendes Mittel, zu Waschungen bei starken Schweißen, zu Umschlägen bei Kontusionen etc. benutzt. Außerdem dient E. in der Färberei und Kattundruckerei, in der Photographie, zur Darstellung von Anilin, vielen Salzen und Äthern.

Geschichtliches. Essig, aus sauer gewordenen Fruchtsäften, Wein und Bier erhalten, war bereits im Altertum bekannt und als kühlendes Getränk geschätzt. Man wußte auch, daß er gewisse Steine und Metalle löst, auf manchen Steinen Aufbrausen er-^[folgende Seite]