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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Europa

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Europa (Bodengestaltung im Osten).

namhafte Länge von 3700 km. Südlich vom Ural ist seine Grenze topisch so unbestimmt wie die Europas überhaupt. Man hat diese Tiefebene, die bei 5,506,000 qkm (100,000 QM.) Flächeninhalt fast zwei Drittel des ganzen europäischen Kontinents umfaßt, in eine größere sarmatische und eine kleinere germanische geteilt und als Grenze die Sumpfniederungen zwischen den Gebieten der Weichsel und des Dnjepr angenommen. Besitzt das große europäische Tiefland gleich, insbesondere im O., ausgedehnte Ebenen im wahren Sinn des Wortes durch die nahezu horizontale Lagerung festerer Gesteinsplatten oder als noch nicht lange trocken gelegter Meeresboden, so ist das doch durchaus nicht sein allgemeiner Charakter, sondern meist ist es vielmehr ein wellenförmig-hügeliges Land, unterbrochen durch die breiten, ebenen Niederungen seiner Stromthäler. Sein charakteristisches Merkmal liegt in der vorherrschenden Horizontalität der sedimentären Gebirgsformationen und in der Abwesenheit oder großen Seltenheit von Höhen und Gebirgszügen mit gehobenen Gebirgsschichten. Doch finden wir im S. einen langen erhöhten Rücken, der als eine natürliche Scheide das einförmige Gebiet abgliedert, den südlichen oder uralo-karpathischen Landrücken. Er besteht aus zwei wesentlich verschiedenen Abteilungen, im O. aus dem Obtschej Syrt und den Wolgahöhen, welche die steilen Ufer an der rechten Seite der Wolga bilden, und die wir oben als Naturgrenze Asiens und Europas bezeichnet haben, und aus einer größern westlichen Abteilung, die als niedrige Bodenanschwellung aus der Steppe der Donischen Kosaken zwischen Taganrog und Perekop bis zur Lüneburger Heide an der Nordsee sich verfolgen läßt. Dieser westliche Abschnitt verläuft in seiner ganzen Erstreckung aus SO. nach NW. u. wird von der donischen Steppe bis Winniza am Bug von einer Urgebirgsplatte gebildet, welche die Stromschnellen in den Betten der sie durchschneidenden Flüsse, so des Dnjepr (Porogen), veranlaßt; ersetzt sich durch Podolien, an den Grenzen Galiziens und durch Südpolen fort, wo er sich im niedrigen System des südpolnischen Mittelgebirges mit der 611 m hohen Lyssagora zu seiner höchsten Höhe erhebt. Weiter westlich breitet er sich zu dem 350 m hohen Plateau der Tarnowitzer Höhen aus, setzt sich als Trebnitzer Höhen fort und bildet die niederschlesischen Höhen an der Oder. Westlicher zieht durch Norddeutschland, parallel mit den letztgenannten Höhen, in gleicher nordwestlicher Richtung, vom Plateau der Oberlausitz aus eine Bodenanschwellung längs der Nordseite der Elbe, Fläming genannt, und jenseit der Elbe endet dann dies System nordwestlich gerichteter Landrücken mit der Lüneburger Heide in den Niederungen an der Nordsee. Klimatische und Bodenverhältnisse erteilen dem südlichen Landrücken im O. den Steppencharakter, machen ihn in Polen zu reichem Waldland, andernorts zur einsamen, trocknen Heide.

Einen zweiten Gürtel von Bodenanschwellungen hat man als nördlichen oder uralo-baltischen Landrücken zusammengefaßt. In Osteuropa ist es ein breiter, mit dichtem Wald und Sumpf und einzelnen Seen bedeckter, wenig markierter, sanft ansteigender Rücken, der aber eine wichtige Naturscheide bildet, indem er nicht allein die Wasserscheide zwischen den Zuflüssen des Nördlichen Eis- und des Baltischen Meers einerseits und dem Wolgasystem anderseits bildet, sondern auch eine Grenze der nordischen Pflanzen- und Tierwelt zieht und die finnischen Volksstämme von den Russen scheidet. Überwunden durch Kanäle, hat er aufgehört, ein Hemmnis des innern Verkehrs zu sein. Seine höchsten Rücken sind gegen 300 m hoch und erreichen im Quellgebiet der Wolga, im Waldaiplateau, 351 m Höhe. Westlich breitet er sich zu dem Plateau Ostlivlands, Semgallens und Litauens aus, das im Muna, südlich vom Peipussee, bis 324 m aufsteigt. Zwischen Niemen und Weichsel folgt der seenreiche ostpreußische Rücken, in dem der Hasenberg sich bis 194 m erhebt. Während an der ostpreußischen Küste zwischen den flachen, niedrigen, schmalen Nehrungen, welche die Haffe von der Ostsee abscheiden, nur die Küste des bernsteinreichen Samlandes zu etwa 100 m ansteigt, erhebt sich jenseit der Weichselniederungen, an den Grenzen Hinterpommerns und Westpreußens, der baltische Gürtel im Turmberg bei Schönberg zu einer Höhe von 334 m. Die steilen Uferhöhen an der Oder bei Stettin vermitteln die Verbindung des hinterpommerschen Rückens mit dem, welcher die Ukermark, Mecklenburg, Holstein und die ganze jütländische Halbinsel durchzieht, und von dem große Strecken unter das Niveau von 100 m sinken. Wo Lehmbedeckung ist, findet sich reicher Ackergrund, und der Boden trägt Laubwald, Buchen und Eichen; wo der Sand hervortritt, decken ihn die genügsame Kiefer und Heide; überall liegen aber Seen auf ihm, und mit vollem Recht verdient dieser nördliche Landrücken daher den Namen der baltischen Seenplatte. Die dänischen Inseln sind eine Fortsetzung dieses nördlichsten deutschen Tieflandes, auch ihre höchsten Höhen erheben sich nur wenig über 100 m; dasselbe gilt vom südlichsten Schweden. Um diese Landrücken und zwischen ihnen breiten sich Niederungen aus, zu denen sie sich sanft senken, so unmerklich, daß der Reisende es meist kaum bemerkt; zahlreiche Bäche fließen in sie hinab, und so breiten sich dort außer fruchtbaren Niederungen auch weite Sümpfe und Torfmoore aus, so die des Havellandes, die an der Spree, Netze, Warthe, Weichsel und am Bug; ihre größte Ausdehnung erhalten sie aber an der Ostgrenze des alten Polen, wo die großen, den östlichen Teil des Tieflandes von dem westlichen trennenden Rokitnosümpfe im obern Gebiet des Pripet sich durch 5 Längen- und 2½ Breitengrade erstrecken. Während die nordöstlichen Niederungen einst von Sumpf und Wald bedeckt waren, die nur die Hand des Menschen der Kultur gewann, in den fruchtbaren westlichen Niederungen teilweise bis zur Ausrottung des Waldes, tritt man mit dem Dnjepr in die ausgedehnten, waldentblößten, trocknen Steppen, die nur längs der Flüsse Versumpfung des Landes zeigen. Auch in der Natur des baltischen Landrückens tritt mit den Grenzen Litauens eine Änderung hervor. Während westlich, im deutschen und preußisch-polnischen Tiefland, nur an einzelnen Punkten die feste Unterlage des darüber ausgebreiteten losen tertiären und diluvialen Schuttlandes auftaucht, breiten sich ostwärts, auf russischem Boden, unter diesen jüngern Bildungen des Landrückens sowohl als der Niederungen die Schichten der unterliegenden ältern Gesteine aus, und es sind vorzugsweise die ausgedehnten Kalkplatten, welche diesen Landstrichen den Charakter wahrer Ebenen geben. Auch ist das weite Flachland Rußlands zwischen dem nördlichen und südlichen Rücken noch weiter abgegliedert; von dem 270 m hohen, mit Wald und Sumpf bedeckten Plateau des Quellgebiets der Ströme Dnjepr und Düna, welches noch ganz den Charakter des erwähnten östlichen baltischen Rückens trägt, an den es sich anschließt, geht nämlich ein dritter, mittlerer Landrücken aus, dem die Wasserscheide zwischen Wolga und Dnjepr folgt, eine weitere Na-^[folgende Seite]