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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Fabrikgesetzgebung

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Fabrikgesetzgebung (Schweiz).

Ein Kind aber, das in einer Woche in der Vormittagsreihe arbeitete, darf in der folgenden nur in der Nachmittagsreihe arbeiten. Sonnabends darf seine Arbeit nie früher beginnen, noch später endigen als die einer jugendlichen Person; aber ein Kind darf nie an zwei Sonnabenden hintereinander und nie an einem Sonnabend in einer Woche beschäftigt werden, in welcher an irgend einem andern Wochentag seine Arbeitszeit mehr als 5½ St. betrug. Bei dem zweiten System darf es nur an drei Wochentagen und an ihnen nach den für jugendliche Arbeiter geltenden Vorschriften beschäftigt werden, aber noch mit der Maßgabe, daß die Arbeit während 14 Tagen nie an den gleichen Wochentagen stattfinden darf. Bei beiden Systemen darf es nicht ohne Unterbrechung von mindestens ½ St. länger als 4½ St. hintereinander arbeiten.

2) Für die in der "nichttextilen Industrie" beschäftigten Personen dieser Art bestehen folgende Modifikationen dieser Bestimmungen:

a) Alle drei Klassen dürfen Sonnabends bis 2 Uhr und 5 St. hintereinander,

b) jugendliche Personen und Frauen dürfen an den fünf ersten Wochentagen 10½ St. beschäftigt werden.

c) Kinder dürfen hier nach dem System der Arbeit an umschichtigen Tagen nur beschäftigt werden, wenn in der Fabrik mindestens 2 St. für Mahlzeiten an den fünf ersten Wochentagen gewährt werden. Statt der Vorschrift, daß sie nicht zwei Sonnabende hintereinander und an einem Sonnabend gar nicht beschäftigt werden dürfen, wenn sie an einem andern Wochentag schon mehr als 5½ St. beschäftigt waren, besteht nur die Bestimmung, daß sie Sonnabends nicht in derselben (Vor- oder Nachmittags-) Reihe arbeiten dürfen, in welcher sie an einem andern Tag derselben Woche gearbeitet haben.

3) Bezüglich der Werkstätten ist die Arbeit der Kinder und jugendlichen Personen in gleicher Weise geregelt wie bezüglich der Nichttextilindustrie. Was die Frauen betrifft, so wird unterschieden, ob in der Werkstätte auch Kinder, resp. jugendliche Personen beschäftigt sind oder nicht. In jenem Fall besteht für sie gleiches Recht wie für die jugendlichen Arbeiter, und es ist für sie kein Unterschied zwischen Werkstättenarbeit und Arbeit in der nichttextilen Industrie. In diesem Fall aber ist für sie jenes Recht dahin modifiziert: der Arbeitstag darf an den fünf ersten Wochentagen von 6 Uhr morgens bis 9 Uhr abends, am Sonnabend von 6 Uhr morgens bis 4 Uhr nachmittags währen; in dieser Zeit müssen sie aber an den fünf ersten Wochentagen 4½ Stunden, Sonnabends 2½ St. frei von Arbeit sein (wirkliche Maximalarbeitszeit also 10½, resp. 7½ St.).

Die den unter 1) bis 3) angeführten Klassen für Mahlzeiten normierte Zeit muß stets in dieselbe Tagesstunde fallen, und während dieser Zeit dürfen sie nicht in der Fabrik oder Werkstätte beschäftigt werden, noch in irgend einem Raum, in welchem eine gewerbliche Arbeit vorgenommen wird, sich aufhalten.

4) Bezüglich der Arbeit in häuslichen Arbeitsstätten ohne Anwendung mechanischer Kräfte enthält das Gesetz nur Schutzbestimmungen für Kinder und jugendliche Personen. Kinder dürfen nur beschäftigt werden an den fünf ersten Wochentagen entweder in der Zeit von 6 Uhr morgens bis 1 Uhr nachmittags oder von da bis 8 Uhr abends (mit der Maßgabe, daß, wenn sie in einer Woche vormittags beschäftigt wurden, sie in der nächsten Woche nachmittags beschäftigt werden müssen) und Sonnabends nur in der Zeit von 6 Uhr morgens bis 4 Uhr nachmittags (mit der Maßgabe, daß sie Sonnabends nicht vor oder nach 1 Uhr nachmittags beschäftigt werden dürfen, wenn sie in derselben Woche vor oder nach dieser Zeit beschäftigt waren), u. sie dürfen nicht länger als 5 Stunden hintereinander ohne Unterbrechung von ½ St. für Mahlzeit beschäftigt werden. Für jugendliche Personen ist der Arbeitstag an den fünf ersten Wochentagen von 6 Uhr morgens bis 9 Uhr abends, am Sonnabend von 6 Uhr morgens bis 4 Uhr nachmittags und während derselben die Maximalarbeitszeit auf 10½ St., resp. (Sonnabends) 7½ St. normiert.

III. Das Gesetz regelt den obligatorischen Schulbesuch der in Fabriken und Werkstätten beschäftigten Kinder in der Weise, daß Kinder, welche nach dem System der täglichen Arbeit beschäftigt sind, an den fünf ersten Wochentagen in einer obrigkeitlich als genügend (efficient) anerkannten Schule täglich einmal und Kinder, welche nach dem System der Arbeit an umschichtigen Tagen beschäftigt sind, innerhalb 14 Tagen an fünf dem Tag ihrer Arbeit vorhergehenden Werktagen täglich zweimal eine solche Schule besuchen müssen. Die Regierung bestimmt die Stundenzahl eines solchen Schulbesuchs. Ein Kind, welches in einer Woche nicht den vorgeschriebenen Schulunterricht empfangen hat, darf in der nächsten Woche nicht beschäftigt werden, bevor es nicht die versäumten Schulstunden nachgeholt hat.

IV. Eine besondere Vorsorge ist noch für Personen unter 16 Jahren getroffen. Keine solche Person darf in Fabriken über 7, resp. 14 Tage beschäftigt werden, ohne daß der Fabrikbesitzer ein amtliches Zeugnis erhalten hat, welches das Alter derselben konstatiert und zugleich, daß die gesetzlich zulässige Beschäftigung ihrer Gesundheit nicht schaden werde. Auch der Besitzer einer Werkstätte soll ein solches Zeugnis sich beschaffen. Jeder Fabrikinspektor aber darf, wenn er findet, daß Personen, die auf Grund solcher Zeugnisse in Arbeit genommen sind, die Arbeit nicht zuträglich sei, die Beschäftigung derselben untersagen und eine ärztliche Untersuchung veranstalten.

V. Von Unfällen, welche Arbeiter in Fabriken oder Werkstätten treffen und welche entweder den Tod oder eine solche Körperverletzung derselben herbeigeführt haben, daß sie in den nächsten 48 Stunden nicht wieder arbeiten können, ist sofort dem Fabrikinspektor und dem Distriktsarzt Anzeige zu machen. Der letztere hat sofort Natur und Ursache des Unfalles zu untersuchen und dem Inspektor Bericht zu erstatten.

Die Haftpflicht (s. d.) der Arbeitgeber wurde durch ein besonderes Gesetz vom 7. Sept. 1880 geregelt.

Mit dem Gesetz von 1878 ist die englische F. zu einem formellen Abschluß gelangt. Man glaubt mit ihr bis zu der Grenze gegangen zu sein, welche die notwendige Rücksicht auf die Erhaltung der internationalen Konkurrenzkraft der Industrie und die berechtigten Interessen der Unternehmer ziehe. Zu der englischen F. sind auch noch zu rechnen das Gesetz vom 6. Aug. 1872 über Schiedsgerichte in Arbeitsstreitigkeiten und die besondern Gesetze über Arbeiterwohnungen von 1868 mit den Novellen von 1879 und 1882, von 1875 mit den Novellen von 1879 und 1882 und von 1851, 1866, 1867 (s. darüber B. Ruprecht, Die Wohnungen der arbeitenden Klassen in London, Götting. 1884).

Schweiz.

Größer ist der Schutz, welchen die Eidgenossenschaft den Fabrikarbeitern gewährt. Eine eidgenössische F. existiert erst seit dem Fabrikgesetz vom 23. März 1877, das nicht ohne schwere Kämpfe zur Annahme gelangte und 1. Jan., resp. 1. April 1878 in Kraft trat. Bis dahin war die F. Gegenstand der kantonalen Gesetzgebung. Die industriellen Kantone hatten mit wenigen Ausnahmen schon seit den 30er Jahren fabrikgesetzliche Bestimmungen (Zürich und Thurgau schon seit 1815). Eine neue Ära dieser Gesetzgebung begann seit 1859, in welchem Jahr Zürich ein neues allgemeines Fabrikgesetz erließ. Diesem Beispiel folgten fast alle industriellen Kantone. Besonders einschneidende Gesetze wurden erlassen in