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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Fabrikgesetzgebung

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Fabrikgesetzgebung (Deutschland).

Aargau (1862), Glarus (1864), Baselland (1868), Baselstadt (1869), St. Gallen, Thurgau. Die Schutzbestimmungen waren sehr weitgehende.

Das neue Gesetz hat gleiches Recht für alle Kantone geschaffen. Es betrifft nur die Arbeit in den Fabriken, d. h. "in denjenigen industriellen Anstalten, in welchen gleichzeitig und regelmäßig eine Mehrzahl von Arbeitern außerhalb ihrer Wohnungen in geschlossenen Räumen beschäftigt wird". Der Schutz, den es gewährt, ist teils ein allgemeiner, für alle Arbeiter, teils ein besonderer, für einzelne Arbeiterklassen.

I. Die allgemeinen Schutzbestimmungen sind hauptsächlich folgende: 1) Gesetzlicher Arbeitstag von 6 Uhr morgens bis 8 Uhr abends (im Sommer von 5 Uhr morgens bis 8 Uhr abends) und Maximalarbeitszeit von 11 Stunden, an den Tagen vor Sonn- und Festtagen von 10 St. Der Bundesrat hat die Befugnis, bei gesundheitsschädlichen und andern Gewerben diese Zeit noch zu reduzieren. Eine ausnahmsweise, vorübergehende Verlängerung der Arbeitszeit ist mit Genehmigung der kantonalen Verwaltungsbehörden zulässig. Zum Mittagsessen ist um die Mitte der Arbeitszeit mindestens eine Stunde freizugeben und eventuell außerhalb der gewohnten Arbeitsräume eine angemessene, im Winter geheizte Lokalität den Arbeitern unentgeltlich zur Verfügung zu stellen. 2) Die Nachtarbeit, d. h. die Arbeit zwischen 8 Uhr abends und 6, resp. 5 Uhr morgens, ist nur ausnahmsweise zulässig, als regelmäßige nur bei Fabrikationszweigen, die ihrer Natur nach einen ununterbrochenen Betrieb erfordern, und hier auch nur mit Genehmigung des Bundesrats. Eine ausnahmsweise, vorübergehende Nachtarbeit kann von kantonalen Verwaltungsbehörden gestattet werden. Einmalige Nachtarbeit für dringende Reparaturen bedarf keiner Genehmigung. 3) Die Sonntagsarbeit ist, wie die Nachtarbeit, verboten und geregelt. Wo sie gestattet wird, muß für jeden Arbeiter der zweite Sonntag frei bleiben. Die Kantonalgesetzgebung kann weitere von Arbeit freie Feiertage bestimmen. 4) Im Interesse der Gesundheit und Sicherheit der Arbeit sind folgende Vorschriften erlassen: In jeder Fabrik sind die Arbeitsräume, Maschinen und Werkgerätschaften so herzustellen und zu unterhalten, daß dadurch Gesundheit und Leben der Arbeiter bestmöglich gesichert werden. Namentlich ist für gut beleuchtete, möglichst staubfreie, ordentlich ventilierte Arbeitsräume, bei gefährlichen Maschinen und Treibriemen für eine sorgfältige Einfriedigung und überhaupt für die Anwendung aller erfahrungsgemäß und nach dem technischen Produktionsprozeß und den gegebenen Verhältnissen möglichen Schutzmittel zu sorgen. Die Errichtung einer neuen und Umgestaltung einer bestehenden Fabrik bedarf der Genehmigung der Kantonsregierung, die nur erteilt werden darf, wenn die Fabrikanlage den gesetzlichen Anforderungen entspricht, und bei Fabrikanlagen, deren Betrieb ihrer Natur nach mit besondern Gefahren für Gesundheit und Leben der Arbeiter und der Bevölkerung der Umgebung verbunden ist, an angemessene Vorbehalte zu knüpfen ist. 5) Bei erheblichen Körperverletzungen oder Tötungen in der Fabrik hat der Fabrikbesitzer sofort der kompetenten Lokalbehörde Anzeige zu machen, welche die Ursachen und Folgen des Unfalles zu untersuchen und der Kantonsregierung zu berichten hat. 6) Die Regelung der Haftpflicht (s. d.) der Fabrikbesitzer wurde einem besondern Bundesgesetz vorbehalten (Gesetz vom 25. Juni 1881). 7) Obligatorisch ist der Erlaß einer Fabrikordnung (s. d.), welche, nach vorheriger Mitteilung an die Arbeiter, der Genehmigung der Kantonsregierung bedarf und in jeder Fabrik augenfällig anzuschlagen, auch jedem Arbeiter bei seinem Dienstantritt besonders zu behändigen ist. Die verhängten Bußen (wozu Lohnabzüge für mangelhafte Arbeit oder verdorbene Stoffe nicht gehören) sind im Interesse der Arbeiter, namentlich für Unterstützungskassen, zu verwenden.

II. Besondere Schutzbestimmungen bestehen: 1) Für Frauenspersonen. Sie dürfen unter keinen Umständen zur Sonntags- oder zur Nachtarbeit verwendet werden, ebensowenig zur Reinigung im Gang befindlicher Motoren, Transmissionen und gefahrdrohender Maschinen. Haben sie ein Hauswesen zu besorgen, so sind sie ½ Stunde vor der Mittagspause zu entlassen, sofern diese nicht mindestens 1½ Stunde beträgt. Wöchnerinnen dürfen vor und nach ihrer Niederkunft im ganzen während 8 Wochen, nach ihrer Niederkunft mindestens 6 Wochen nicht in der Fabrik beschäftigt werden. Schwangere Frauen dürfen in manchen Fabrikationszweigen überhaupt nicht arbeiten. 2) Für minderjährige Arbeiter, Kinder, welche das 14. Lebensjahr noch nicht zurückgelegt haben, dürfen gar nicht zur Arbeit in Fabriken verwendet werden. Jungen Leuten unter 18 Jahren ist die Sonntags- und Nachtarbeit untersagt. Ausnahmsweise kann jedoch der Bundesrat unter gewissen Kautelen diese gestatten. Für Kinder von 14 und 15 Jahren dürfen der Schul- und Religionsunterricht und die Arbeit in der Fabrik zusammen 11 Stunden pro Tag nicht übersteigen. In manchen Fabrikzweigen dürfen Kinder überhaupt nicht beschäftigt werden. Der Bundesrat hat diese Zweige zu bestimmen.

Die Durchführung des Gesetzes liegt den Kantonsregierungen ob, zum Zweck der Kontrolle hat aber auch der Bundesrat eigne Beamte, Fabrikinspektoren, zu ernennen (s. Fabrikinspektion).

Deutsches Reich.

In Deutschland hat die F. einen eignen Entwickelungsgang genommen. Schon in den 20er Jahren war von der preußischen Regierung der Erlaß eines Gesetzes, betreffend die Kinderarbeit in Fabriken, in Aussicht genommen worden. Die Anträge des rheinischen Provinziallandtags sowie die Wahrnehmung, daß die Fabrikdistrikte nicht im stande seien, ihr Rekrutenkontingent für die Armee vollständig zu liefern, führten zum Regulativ vom 9. März 1839 (dazu Kabinettsorder vom 6. April 1839), welches die Aufnahme von Kindern in Fabriken, Berg- und Hüttenwerken vor dem 9. Jahr verbot, die Arbeitszeit der jungen Leute unter 16 Jahren auf 10 Stunden täglich normierte und ihnen die Nachtarbeit und die Arbeit an Sonn- und Festtagen untersagte; auch war darin der Erlaß besonderer bau-, sanitäts- und sittenpolizeilicher Anordnungen vorgesehen. Verschärft wurden diese Vorschriften durch das Gesetz vom 16. Mai 1853, indem das Normaljahr für die Aufnahmefähigkeit in Fabriken auf das 12. Jahr hinaufgesetzt und eine weitere Beschränkung der täglichen Arbeitszeit junger Personen verfügt wurde. Bemerkenswert ist, daß schon dieses Gesetz die Aufstellung besonderer Fabrikinspektoren in Aussicht nahm. Weitere fabrikgesetzliche Bestimmungen enthielt die Gewerbeordnung von 1856, z. B. über das Truckverbot, welche fast sämtlich wörtlich in der deutschen Gewerbeordnung Aufnahme fanden. Auch andre deutsche Staaten erließen frühzeitig Verordnungen zum Schutz der Kinderarbeit in Fabriken, so Baden (1840), Bayern (1840). Von den größern deutschen Staaten hatte Württemberg diesen Punkt nicht durch detaillierte Bestimmungen geregelt, sondern nur den allgemeinen