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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Fichte

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Fichte (Johann Gottlieb).

Krone, sehr dicht stehenden, geraden, dunkelgrünen Nadeln und kleinen Zapfen, ein sehr schöner Baum im englischen Nordamerika und auf der Ostseite der Vereinigten Staaten südlich bis Nordcarolina; die Rotfichte (A. americana Gärtn., A. rubra Poir.), unsrer F. ähnlich, mit auf der obern Seite mehr oder weniger blaugrünen Nadeln und rötlichen Zapfen, wie es scheint, nur im englischen Nordamerika einheimisch; die weiße F. (A. laxa Ehrh., A. alba Mchx., A. canadensis Mill.), in Form einer im untern Teil nicht sehr dichten Pyramide wachsend, meist etwas graugrün, bisweilen auch blaugrün, mit nicht sehr dicht stehenden Nadeln, im englischen Nordamerika und in den Vereinigten Staaten bis Nordcarolina. Vgl. Baur, Die F. in Bezug auf Ertrag, Zuwachs und Form (Berl. 1877).

Fichte, 1) Johann Gottlieb, berühmter Philosoph, einer der schärfsten Denker und kräftigsten Charaktere aller Zeiten, geb. 19. Mai 1762 zu Rammenau in der Oberlausitz als der Sohn eines Bandwebers. Als Knabe zeichnete er sich durch regen Geist und seltenes Gedächtnis aus, kam, zwölf Jahre alt, auf die Stadtschule nach Meißen und bald nachher nach Schulpforta bei Naumburg, bezog 1780 die Universität, zuerst Jena, dann Leipzig, um Theologie zu studieren. Spinozas Schriften, die ihm in die Hände fielen, besonders dessen "Ethik", die er eifrig las, brachten eine so große Aufregung in ihm hervor, daß sein Beruf zur Philosophie von dem Zeitpunkt an entschieden war. So nachhaltig war der Eindruck, obgleich er erst in der sogen. zweiten Periode seines Philosophierens hervortrat, daß Herbart, sein einstiger Zuhörer und späterer wissenschaftlicher Gegner, Fichtes spätere Philosophie eine "idealistische Übersetzung von Spinozas Pantheismus" genannt hat. Sein Verstand entschied sich für den Determinismus, sein Gemüt aber, durchdrungen von dem moralischen Bewußtsein der Freiheit, sträubte sich dagegen. Letzteres schien zwar die Oberhand zu gewinnen und ihn für Kants transcendentale Freiheitslehre, die seiner energischen Natur entsprach, empfänglicher zu machen; sein wissenschaftliches Ideal aber blieb ein der Form des Spinozismus ähnliches einheitliches System, und er übertrug es nachher auf seine Auffassung der Kantschen Philosophie. Von 1788 bis 1790 Hauslehrer in Zürich, wo er seine nachherige Gattin (seit 1793), Johanna Rahn, eine Nichte Klopstocks, zuerst kennen lernte, seit 1790 in Leipzig, dann für kurze Zeit wieder Hauslehrer in Warschau, warf er sich während mehrerer Jahre mit Feuereifer auf das Studium Kants, ging, um dessen persönliche Bekanntschaft zu machen, 1792 nach Königsberg und schrieb, um sich bei demselben würdig einzuführen, binnen vier Wochen seinen "Versuch einer Kritik aller Offenbarung" (Königsb. 1792, 2. Aufl. 1793). Diese Schrift war so ganz im Geiste der kritischen Philosophie, daß sie für ein Werk Kants gehalten wurde, bis dieser selbst den Verfasser nannte, empfahl und dadurch mit einemmal zum berühmten Mann machte. F. privatisierte hierauf einige Zeit in Zürich, verheiratete sich, hielt Vorlesungen und beteiligte sich unter dem Eindruck des benachbarten Frankreich und der republikanischen Schweiz lebhaft (obgleich nur theoretisch) an der Politik. In den Schriften: "Beitrag zur Berichtigung der Urteile des Publikums über die französische Revolution" (Jena 1793) und die "Zurückforderung der Denkfreiheit, an die Fürsten Europas" (das. 1794) beurteilte er aus dem Freiheitsbegriff der Kantschen Philosophie den gegebenen Staat und die Rechtmäßigkeit der französischen Umwälzung. Seine Beurteilung ist eine Verteidigung. In Jena, wo nach Reinholds Abgang nach Kiel die Kantsche Philosophie keinen Vertreter hatte, richtete Hufeland die Blicke des anfangs bedenklichen weimarischen Ministeriums auf F. Im Mai 1794 traf F. in Jena ein. Für seine Vorlesungen ließ er zwei Lehrbücher drucken, das eine, in Form eines Programms, war die Schrift "Über den Begriff der Wissenschaftslehre oder der sogen. Philosophie" (Weim. 1794, 2. Aufl. 1798); das andre enthielt das neue System selbst: "Grundlage und Grundriß der gesamten Wissenschaftslehre" (Jena 1794, 2 Tle.; 3. Aufl. 1802). Fichtes Auftreten in Jena war von außerordentlichem Erfolg begleitet. Um auf die moralische Bildung der Studierenden noch direkter einzuwirken, eröffnete er im Wintersemester 1794/95 Vorlesungen "Über die Moral für Gelehrte" und veröffentlichte eine Schrift: "Über die Bestimmung des Gelehrten" (Jena 1794). Als er aber auch das akademische Leben der Studenten reformieren und zu dem Ende die bestehenden Studentenorden aufheben wollte, verwandelte sich die ursprüngliche Begeisterung der Studenten für F. in solchen Haß gegen ihn, daß er, von der Regierung ohne Schutz gelassen, Jena im Sommer 1795 für einige Zeit verlassen mußte. Außer vielen einzelnen Abhandlungen in Journalen erschienen von ihm damals die "Grundlage des Naturrechts" (Jena 1796, 2 Tle.) und der "Geschlossene Handelsstaat" (Tübing. 1800), worin er die Ausführbarkeit seiner allgemeinen Staatslehre darzuthun suchte. Als Gegenstück zum Naturrecht ist das "System der Sittenlehre" (Jena 1798) zu betrachten. Die Folgen der inzwischen in Jena eingetretenen Veränderung zeigten sich, als im J. 1798 ein Sturm über F. von auswärts hereinbrach. In dem "Philosophischen Journal" von Niethammer und F. (Bd. 8, Heft 1, Jena 1798) erschien ein Aufsatz von Forberg: "Entwickelung des Begriffs Religion", wonach die Religion nur ein praktischer Glaube an eine moralische Weltordnung sein sollte. F. hatte demselben eine einleitende Abhandlung: "Über den Grund unsers Glaubens an eine göttliche Weltregierung", vorausgeschickt, deren Grundgedanke war: "Unser sittliches Handeln sei unmittelbarer Glaube an eine Ordnung der Dinge, in der das Gute nur aus dem Guten hervorgehen könne, d. h. an eine moralische Weltordnung, und diese sei das Göttliche selbst". Bald nach dem Bekanntwerden jener Aufsätze erschien ein anonymes Schriftchen unter dem Titel: "Schreiben eines Vaters an seinen Sohn über den Fichteschen und Forbergschen Atheismus", infolge dessen die kursächsische Regierung zu Dresden die Konfiskation jener beiden Aufsätze verfügte, das "Philosophische Journal" verbot und ein Requisitionsschreiben an den weimarischen Hof sendete, worin sie diesen ersuchte, die Verfasser und Herausgeber dieser Aufsätze nach Befinden zu bestrafen. F., überzeugt, der Angriff sei nicht so sehr gegen den Atheismus als vielmehr gegen den freien Menschengeist gerichtet, schrieb die "Appellation an das Publikum. Eine Schrift, die man erst zu lesen bittet, ehe man sie konfisziert" (Jena u. Leipz. 1799). Der Herzog von Weimar, dem F. diese Schrift überreichte, wollte F. schonen und die Sache damit abmachen, daß er den angeklagten Professoren einen Verweis zuerkannte. F. aber, davon in Kenntnis gesetzt, erklärte, den Verweis nicht anzunehmen, indem er zugleich anzeigte, daß er denselben mit seinem Entlassungsgesuch beantworten werde. Schon am 29. März gelangte ein Reskript an den akademischen Senat, welches diesen beauftragte, F. und Niethammer einen