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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Fieber

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Fieber (Verlauf, Arten, Ursachen).

Fiebern beobachtet und ist ein Beweis hochgradiger Erschöpfung des Herzmuskels.

In dritter Reihe stehen diejenigen Fiebererscheinungen, welche auf eine Störung in der Gesamtökonomie des Körpers hindeuten: der gesamte Stoffverbrauch ist gesteigert, die Atmung häufiger, der Eiweißzerfall der Körpergewebe beschleunigt, die Harnstoffausscheidung vermehrt. Die Absonderung des Speichels, des Magen- und Darmsafts ist vermindert, die Zunge daher trocken, der Appetit fehlt. Wenn der Zustand längere Zeit andauert, so folgt aus der vermehrten Abgabe bei verminderter Aufnahme ein Schwund des Fettes und der Gewebe überhaupt, der sich bis zu vielen Kilogrammen steigern kann. - An vierter Stelle sind die Störungen des Nervensystems zu nennen. Jedem F., auch den leichtern Graden, kommt ein gewisses Gefühl von Unbehagen, Mattigkeit und Abgeschlagenheit zu; in höhern Stadien gesellen sich wohl Flimmern vor den Augen, Ohrensausen, Lichtscheu, gesteigerte Empfindlichkeit gegen alle Sinneseindrücke hinzu. Erst bei schweren, sogen. typhoiden Formen, bei denen die Temperatur dauernd um 39° und darüber schwankt, stellen sich diejenigen beängstigenden Symptome ein, welche man als Nervenfieber oder nervöses F. bezeichnet und früher als eine besondere Art des "Essentialfiebers" angesehen hat. Hierhin gehören das gestörte Bewußtsein, das Irrereden (Phantasieren oder Delirieren), große Unruhe, Widerspenstigkeit, die sich bis zur Raserei steigern kann, so daß Tag und Nacht bei dem Kranken Wache gehalten werden muß, damit er sich nicht beschädigt, aus dem Bett oder gar aus dem Fenster springt, was bei schweren Typhuskranken stets zu befürchten ist.

Der Verlauf des Fiebers ist etwa in folgenden Typen zusammenzufassen: 1) Das anhaltende F. (Febris continua) ist charakterisiert durch eine gewisse Gleichmäßigkeit im Verhalten der Körpertemperatur, deren tiefster und höchster Stand an einem Tag nicht weiter als 0,5° C. auseinander liegen dürfen. Betragen die täglichen Temperaturschwankungen 0,5-1°, so hat man es mit einer Febris subcontinua zu thun. 2) Das nachlassende F. (Febris remittens), die häufigste und günstigere Form, ist dadurch charakterisiert, daß dabei tägliche Temperaturschwankungen von mehr als 1° bis zu 2° C. vorkommen und zwar so, daß der höchste Temperaturstand gegen Abend, der niedrigste (die Remission) gegen Morgen einzutreten pflegt. 3) Das aussetzende F. (Wechselfieber, Febris intermittens) hat die Eigentümlichkeit, daß sein ganzer Verlauf aus einer Reihe von Fieberanfällen oder Paroxysmen besteht, von denen je zwei durch eine fieberfreie Zwischenzeit (Apyrexie oder Fieberlosigkeit) von bestimmter Dauer getrennt sind. Bei jedem Anfall, welcher durch einen ausgeprägten Schüttelfrost markiert wird, steigt die Temperatur binnen 2-3 Stunden auf eine Höhe von 40-41° C., dann folgt ein Hitzestadium, wobei die Temperatur ihre Höhe 2-4 Stunden lang beibehält, und nun fällt die Temperatur stufenweise während einer Zeit von 8-10 Stunden zum Normalstand herab. Damit ist der Anfall beendet. Die fieberfreie Zeit bis zum nächsten Anfall dauert verschieden lang. Manchmal findet an jedem Tag ein solcher Fieberanfall statt (Febris quotidiana), bald liegt ein fieberfreier Tag zwischen je zwei Fiebertagen (wie beim gemeinen Wechselfieber, Febris tertiana), bald beträgt die fieberfreie Zeit zwei Tage (Febris quartana) etc. 4) Das wiederkehrende, rekurrierende oder relabierende F. (Typhus recurrens) zeigt einen Krankheitsverlauf, der aus zwei oder drei Fieberanfällen von mehrtägiger Dauer besteht, zwischen denen eine fieberfreie, ebenfalls mehrere Tage dauernde Periode liegt. Das Ende einer Fieberzeit wird entweder ganz plötzlich erreicht (Krisis) dadurch, daß der Kranke am 5., 7. oder einem andern Tag (kritische Tage) plötzlich nach längerm Schweiß fieberfrei erwacht, oder das F. geht allmählich (durch Lysis) in die normale Temperatur über.

Dem Charakter nach unterschied man früher zahlreiche Fieberarten, von denen heute nur folgende noch von Bedeutung sind: 1) Das entzündliche F. (Febris synocha), dessen leichtere Grade als Reizfieber (Febris erethica) bezeichnet werden, kommt in seiner reinsten Form bei schweren örtlichen Affektionen entzündlicher Natur (z. B. der Lungen- und Brustfellentzündung) und bei sonst kräftigen Individuen vor, ist ausgezeichnet durch Frösteln oder starken Frost und darauf folgende große Hitze mit hoher Bluttemperatur; der Puls ist dabei härtlich, mäßig frequent, schnell; der Verlauf des Fiebers ist der anhaltende oder schwach nachlassende. Starkes Hitzegefühl, lebhaft gerötetes Gesicht, mäßiger Schweiß, lebhafter Durst, Verstopfung, stark sedimentierender Harn, Unruhe und Delirien des Kranken bei kräftigen Bewegungen sind hervorstechende Symptome des entzündlichen Fiebers. Die Prognose ist dabei im allgemeinen gut, weil der Organismus kräftig genug ist, die Folgen des Fiebers zu ertragen und die durch dasselbe gesetzten Störungen auszugleichen. 2) Das nervöse F. (Febris adynamica, atactica, torpida) findet sich bei Personen mit schwacher Konstitution oder bei durch vorhergehende Krankheitsprozesse erschöpften oder alten Leuten, z. B. im Typhus, als Brandfieber, bei der Ruhr etc. Der Kranke zeigt hohe Temperaturen des Rumpfes, aber kühle Extremitäten, er schwitzt stark, der Puls ist außerordentlich frequent, oft klein und doppelschlägig, das Bewußtsein benommen, wie oben dargestellt. Der Kranke liegt sich leicht auf, läßt Harn und Kot unter sich. Der Verlauf ist kontinuierlich bis nachlassend, die Prognose schlecht, denn der Kranke ist aufs äußerste erschöpft, und sein Organismus vermag die fieberhafte Störung nicht zu überwinden. 3) Das Zehrfieber (Febris hectica) kommt bei den verschiedenen Formen der Tuberkulose vor, ist ausgezeichnet durch guten Appetit des Fiebernden, der alle Speisen gut verträgt und verdaut, aber trotz reichlicher Nahrungsaufnahme sichtlich abzehrt. Das Zehrfieber zeigt alle möglichen Typen des Verlaufs nacheinander, es ist gewöhnlich ein stark und unregelmäßig nachlassendes F. Der Kranke hat starke Schweiße in den frühen Morgenstunden mit dem nachfolgenden Gefühl großer Ermattung, häufig bestehen daneben auch reichliche erschöpfende Durchfälle. Die nervösen Erscheinungen des Fiebers treten dagegen ganz zurück. Die Prognose ist meist schlecht, weil das F. sehr lange anhält und der Kranke durch dasselbe vollständig erschöpft wird.

Die Ursachen des Fiebers sind noch immer Gegenstand lebhafter Kontroversen. Bei Wundfiebern ist die schädliche fiebererregende Substanz in einigen Fällen wahrscheinlich ein chemisches Gift, das durch Zerfall von Gewebsteilen unter Einwirkung von Bakterien gebildet wird (putride Infektion); in vielen andern Fällen handelt es sich erwiesenermaßen um die Aufnahme lebensfähiger Organismen, Bakterien, deren Vegetation das F. als eine Gegenwirkung des Organismus hervorbringt. Bei den sogen. miasmatischen Krankheiten, z. B. dem Wechselfieber, nimmt man eine ähnliche Ursache als wahr-^[folgende Seite]