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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Flagellāten; Flagellieren; Flagellum; Flageolets; Flageolett; Flagge

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Flagellaten - Flagge.

Damiani) dringend empfohlen, galt neben andern äußerlichen Werken die sogen. apostolische Zucht der Geißelung im Mittelalter für ein vorzügliches Buß- und Gnadenmittel, weshalb es nicht befremden kann, daß man in Zeiten äußerer Not eine öffentliche und allgemeine Anwendung der Geißel für besonders wirksam zur Versöhnung der zürnenden Gottheit hielt. Das erste Beispiel solcher Geißlerfahrten gab Italien, welches, damals von den Parteien der Guelfen und Ghibellinen zerfleischt, in Bußzuckungen geriet. Der Dominikanermönch Rainer forderte 1261 zuerst die Einwohner von Perugia zur Geißelung auf, um Gottes Zorn zu besänftigen. Bald zogen Männer und Weiber aller Stände und jeden Alters, die Priester mit Kreuzen und Fahnen voran, selbst im strengsten Winter bis zum Gürtel nackend, durch die Straßen der Städte in Prozession umher und peitschten sich unter Seufzen bis aufs Blut. Der Papst ließ sie gewähren, da sich die sittlichen Mißstände besserten. Einige dieser Züge gingen selbst über die Alpen, fanden hier aber für jetzt nur in wenigen Ländern, besonders in Österreich, Nachahmung. Erst als der Schwarze Tod 1348 aus Asien durch Europa zog, wurde auch in Deutschland die Geißelwut durch jenes vermeintliche göttliche Strafgericht überall geweckt. In der Gegend von Straßburg i. E., Magdeburg, Speier etc. bildeten sich Geißlergesellschaften. In Scharen von 100-300 und mehr zogen diese Geißlerpaarweise, Kreuz und Fahne voran, von Dorf zu Dorf, überall mit Glockengeläute empfangen und lawinenartig wachsend. Zweimal täglich büßten sie, indem sie sich unter eigens dazu geschaffenen geistlichen Gesängen (Leisen) bis aufs Blut geißelten. Sie verbreiteten sich über ganz Deutschland, Holland, Belgien, England, Schweden, die Schweiz und Frankreich. Die Mißstimmung der Hierarchie über die Eigenmächtigkeit jener Bußgänge und über das Zurücktreten aller kirchlichen Bußen vor der Geißel sowie Klagen über schwärmerischen Unfug und Störung der bürgerlichen Ordnung veranlaßten endlich Papst Clemens VI. 1349 zu einem Verbot dieser Geißlerfahrten. Dessen ungeachtet treffen wir noch später Geißlergesellschaften, besonders in Italien, wo sie wegen ihrer weißen Gewänder "Bianchi" oder "Albati" hießen. Auch Vincentius Ferrerius (s. d.) wurde auf seinen Reisen als Bußprediger von einer Gemeinde von F. begleitet und bedurfte, um davon abzustehen, einer ausdrücklichen Abmahnung von seiten des Konstanzer Konzils. Einige Flagellantenvereine trieb die Verfolgung selbst zu einer feindseligen Stellung gegen die Kirche; mit häretischen Begharden vermischt, bildeten sie Sekten, welche den Klerus für den Antichrist erklärten und die Bluttaufe der Geißel an die Stelle aller kirchlichen Sakramente setzten. Die Inquisition baute ihnen zahlreiche Scheiterhaufen, ohne jedoch, namentlich in Thüringen, ihre gänzliche Vernichtung bewirken zu können. Vgl. Förstemann, Die christlichen Geißlergesellschaften (Halle 1828); Schneegans, Die Geißler, namentlich die Geißelfahrt nach Straßburg 1349 (a. d. Franz. von Tischendorf, Leipz. 1840); Cooper, Flagellation and the flagellants (Lond. 1873); Röhricht in der "Zeitschrift für Kirchengeschichte" 1877.

Flagellāten, s. Protozoen.

Flagellieren (lat.), geißeln; Flagellation, Geißelung; Flagellator, Geißler.

Flagellum (lat.), Geißel, Peitsche; in der Botanik s. v. w. Schößling (s. d.).

Flageolets (spr. -scholeh), in Frankreich die unreife Frucht der weißen Bohne.

Flageolett (franz., spr. -scholett), 1) (Flaschenett) kleines Blasinstrument, der letzte Vertreter der Familie der Schnabelflöten (s. Flöte), in Frankreich noch in neuerer Zeit wieder in Aufnahme gekommen, steht eine Oktave höher als die gewöhnliche (Quer-) Flöte. -

2) Orgelstimme von 2' und 1', ein Flötenregister von ziemlich enger Mensur. -

3) Bezeichnung für die durch Teilschwingungen der Saiten hervorgebrachten Töne der Streichinstrumente (Flageoletttöne, franz. sons harmoniques), welche einen eigentümlich pfeifenden, aber weichen, ätherischen Klang haben, der von dem Kratzgeräusch der sonstigen Töne dieser Instrumente frei ist (ital. flautato). Das F. wird erzeugt, indem der Punkt der Saite leise mit der Fingerspitze berührt wird, welcher genau der Hälfte, dem Drittel oder Viertel etc. der Saite entspricht; diese schwingt dann nicht in ihrer ganzen Länge, sondern in 2, 3, 4 etc. Abteilungen, deren jede selbständig den betreffenden Oberton hervorbringt. Andre als die natürlichen Obertöne der Saiten werden hervorgebracht, indem zunächst durch festen Griff (vgl. Sattel) die Saite so weit verkürzt wird, daß der gewünschte Ton in der Obertonreihe des nunmehrigen Tons der Saite entspricht, z. B. cis''' auf der g-Saite, indem a gegriffen und dann die Stelle des cis' (⅕) leicht berührt wird. Die Flageoletttöne sprechen auf dicken Saiten (Kontrabaß, Cello) leichter an als auf dünnen, auf übersponnenen schlechter als auf einfachen.

Flagge (engl. Flag, franz. Pavillon, ital. Bandiera; hierzu Tafel "Flaggen I-III", mit Textblatt), die vom Schiffsbord wehende Fahne, ist auf Handelsschiffen das Erkennungszeichen für die Nationalität des Schiffes, am Kriegsschiffsbord aber außerdem das Palladium, welches verteidigen zu dürfen die höchste Ehre des Seemannes ist, und das erst mit dem Untergang des Schiffs sinkt oder mit dessen Übergabe gestrichen wird. Außerdem führen die Schiffe Flaggen als Signale, als Merkmale für die Reeder der Handelsschiffe (Signal-, Kontorflaggen) etc. Auf Kriegsschiffen bezeichnen gewisse Flaggen auch die Gegenwart allerhöchster und höchster Herrschaften sowie den Rang des Höchstkommandierenden. Die F. besteht aus leichtwollenem gefärbten Flaggtuch, dessen Form meist rechteckig, aber auch dreieckig sowie in mehrere Spitzen auslaufend erscheint. Zahl und Zusammenstellung der Farben bieten große Mannigfaltigkeit, die für nationale Kriegs- wie Handelsflaggen der Unterscheidung wegen geboten ist. Nicht selten sind die Flaggen auch mit Emblemen und Wappentieren geschmückt. Die Zeichnung der Flaggen ist beiden Seiten eigentümlich mit nur einer Ausnahme (Paraguay). Der Unterschied zwischen F. und Fahne kann zweierlei Art sein, da erstens die Kriegsflagge in vielen Fällen sich von der Handelsflagge derselben Nation erheblich unterscheidet, welche in der Regel mit der Fahne des Landes der Tuchfläche nach identisch ist; zweitens ist das Fahnentuch mit seiner Stange stets fest verbunden, während die F. entweder in der Takelage oder am Flaggstock (oder Flaggmast), am Heck des Schiffs mittels Flaggleine geheißt (auch gehißt), d. h. aufgezogen, wird.

Die Nationalflagge ist auf Kriegsschiffen in drei Größen vorhanden, die größte Form, die z. B. als Zeichen der Ehrerbietung, des Ranges benutzt wird, hat etwa die größte Schiffsbreite zur Länge und zwei Drittel davon zur Höhe. Die nächstfolgende F. hat zwei Drittel, die kleine aber die Hälfte und endlich die Gösch ein Viertel der großen F. zur Länge, und alle haben das eben erwähnte Höhenverhältnis. Auf hoher See wird die F. des Kriegsschiffs zuweilen der Schonung