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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Frankreich

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Frankreich (Geschichte: Karl VI., Karl VII.).

sein der nationalen Einheit mächtig) gab ihm den Vorwand, den Kampf gegen die Engländer von neuem aufzunehmen. Da König Eduard III. alt und schwach geworden, der heldenhafte Prinz von Wales in ein schweres Siechtum verfallen war, dem er bald erlag, nahm der Krieg eine für die Franzosen sehr günstige Wendung. Die Bretonen Duguesclin und Clisson entrissen an der Spitze der französischen Armee den Engländern fast alle ihre Eroberungen wieder (1369-1375); Kastilien und Neapel ordneten sich dem französischen Einfluß unter. Die Zuchtlosigkeit der Söldnerbanden unterdrückte der König, war auf gute und schnelle Rechtspflege bedacht und brachte trotz des Kriegs Handel und Gewerbe in Aufschwung. Die großen Ausgaben für den Krieg zwangen ihn freilich, das Volk mit Steuern zu bedrücken. Aber schon 16. Sept. 1380 starb Karl V., sein Reich seinem noch nicht zwölfjährigen Sohn Karl VI. (1380-1422) hinterlassend. Die Oheime des jungen Königs rissen die Herrschaft an sich, indem sie untereinander und mit dem Volk haderten. Der Übermut und die Habgier des zügellosen Adels riefen an verschiedenen Stellen des Reichs Aufstände des Volkes hervor. Der nicht allein in seiner Macht, sondern auch in seiner Existenz bedrohte Adel scharte sich um den jungen König, welchem die Uneinigkeit der Bürger freie Hand ließ. Zuerst wurden die Flandrer bei Roosebeke geschlagen (1382); nach deren Unterwerfung wurden die eigentlich französischen Städte unter schweren Strafen zum Gehorsam zurückgebracht. Allein die Oheime des Königs, der Herzog Johann von Berri und Philipp von Burgund, mißbrauchten den Sieg des Adels zu selbstsüchtiger Bereicherung; zumal des Burgunders Macht wuchs bedeutend, indem ihm die reiche Erbschaft des flandrischen Grafenhauses zufiel. Besser gestalteten sich die Verhältnisse, als der junge König selbst die Zügel der Regierung ergriff. Er entfernte seine Oheime von der Staatsleitung und setzte die alten Räte seines Vaters wieder in ihre Stellen ein. Allein Karl VI. wurde bald durch sein lebhaftes Naturell zu Ausschweifungen und wilden Vergnügungen aller Art verlockt, die seine Nerven auf das äußerste überreizten. Dabei wußte er sich durch seine mißvergnügten Oheime von Verrätern umgeben. Künstliche Aufregung, die jene ihm bereiteten, ein Brand, in dem er beinahe umkam, versenkten ihn 1393 in völlige Geistesnacht, aus welcher er sich immer nur für kurze Zeit wieder erholte.

Nun bemächtigten sich Philipp von Burgund und des Königs Bruder, der Herzog Ludwig von Orléans, der Regentschaft, indem sie sich beständig um den maßgebenden Einfluß stritten. Diese Feindschaft machte sich auch auf dem kirchenpolitischen Gebiet geltend, wo der Burgunder der durch das Schisma angeregten Reformrichtung huldigte, während Ludwig von Orléans dem in Avignon residierenden Papst anhing. Ebenso zeigte jener sich den volkstümlichen Bestrebungen günstig, Orléans dagegen der Sache der Aristokratie. Der Tod Philipps von Burgund (1404) brachte die Gewalt ganz in die Hände des Herzogs von Orléans, der dieselbe aber, im Einverständnis mit der Königin Isabeau (einer bayrischen Prinzessin), auf das schändlichste mißbrauchte, um in Üppigkeit und Pracht zu leben, den König in Mangel und Schmutz verkommen zu lassen, die Angelegenheiten des Reichs zu vernachlässigen und das Volk auf alle Weise zu drücken. Die allgemeine Unzufriedenheit benutzte der Sohn Philipps von Burgund, Johann der Unerschrockene, ein heftiger, leidenschaftlicher Mann, um an der Spitze eines Heers in Paris einzuziehen und die Macht des Herzogs von Orléans zu brechen (1405). Als dieser von neuem Streit erhob, ließ Johann ihn ermorden (1407) und erlangte damit die Herrschaft in F., die er zur Hebung des Bürgertums benutzte. Ihm stand die Adelspartei gegenüber, deren Haupt der Graf von Armagnac war, und welche namentlich im südlichen F. zahlreich und mächtig war. Der Kampf zwischen den Bourguignons, die den Norden des Reichs mit Paris beherrschten, und den Armagnacs verwüstete jahrelang das unglückliche Land. Als der Dauphin Ludwig sich den Armagnacs zuneigte, erhob sich wider ihn der Pariser Pöbel, von dem Fleischer Caboche geführt, und übte in der Hauptstadt einen blutigen demagogischen Terrorismus aus. Gerade dieser Umstand wurde Johann dem Unerschrockenen schädlich, denn indem sich alle Besitzenden dem Dauphin gegen die wilden "Cabochiens" anschlossen, wurde es diesem möglich, dieselben zu unterdrücken (1413), den Burgunder aus der Stadt zu vertreiben und alle Kräfte des Staats gegen ihn aufzubieten. Johann wandte sich um Beistand an die Engländer, welche damals unter der Herrschaft des hochbegabten, kriegerischen Heinrich V. standen. Gern folgte dieser der Aufforderung (1415) und schlug das dreifach überlegene französische Heer bei Azincourt (25. Okt. 1415).

Während die Parteikämpfe zwischen den Bourguignons und Armagnacs fortwüteten, machten die Engländer, unterstützt von Burgund und der Königin Isabeau, die ihren eignen Sohn Karl (jetzt nach dem Tode des ältern Bruders, Ludwig, Dauphin) bitter haßte, namhafte Fortschritte; Paris selbst fiel in ihre Gewalt (1418). Als der Dauphin den Herzog von Burgund verräterisch auf der Yonnebrücke bei Montereau ermorden ließ (1419), erklärte der ganze Norden sich für Burgund und England. Heinrich V. heiratete eine Tochter Karls VI. und wurde im Vertrag von Troyes (1420), den das Parlament zum Reichsgesetz erhob, als Nachfolger in F. anerkannt. Indes starb er schon im Sommer 1422 mit Zurücklassung eines einjährigen Sohns, Heinrichs VI., und wenige Monate später (Oktober 1422) folgte ihm der blödsinnige Karl VI. in das Grab. Der Norden Frankreichs huldigte nun dem unmündigen Heinrich VI. von England; der bisherige Dauphin wurde nur südlich der Loire als König Karl VII. (1422-61) anerkannt. In wiederholten Siegen eroberten die Engländer alles Land nördlich von der Loire; nur Orléans, der wichtigste Übergangspunkt an diesem Fluß, leistete hartnäckigen Widerstand. Karl VII. gab sich indessen in Chinon in der Touraine einem weichlichen, trägen Hofleben hin, an der Rettung des Landes verzweifelnd. Um so aufgeregter war das französische Landvolk, indem durch die Verwüstungen der englisch burgundischen Streifkorps das Nationalgefühl erst recht erwachte. Im äußersten Osten des Reichs, in Domremy, erhob sich Jeanne d'Arc, ein 17jähriges schwärmerisches Landmädchen, welches im Glauben, durch himmlische Visionen zur Rettung des Vaterlands berufen zu sein, an den Hof des Dauphins eilte. Sie wußte unter vornehm und gering Glauben an ihre Sendung zu erwecken, die französischen Krieger zu begeistern, Orléans zu entsetzen (1429) und führte Karl VII. nach Reims zur Krönung. Zwar wurde sie bei dem Versuch, Compiègne zu entsetzen, von den Engländern gefangen genommen und nach einem schändlichen Prozeß in Rouen als Zauberin verbrannt (30. Mai 1431), allein der Anstoß zum nationalen Kampf war gegeben. Philipp von Burgund, der englischen Herrschaft überdrüssig, schloß gegen Bewilligung großer