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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Frankreich

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Frankreich (Geschichte: die dritte Republik).

darauf die Beratung der Verfassungsgesetze in dem Dreißigerausschuß, in dem 25 Monarchisten saßen, begonnen. Da der Streit der Parteien hierbei von neuem entbrannte, so zogen sich die Verhandlungen im Ausschuß und im Plenum ohne Resultat bis zum Herbst 1874 hin, bis der Ausfall der Gemeinderats- und Generalratswahlen zu gunsten der Radikalen und Bonapartisten die Gemäßigten belehrte, daß die Republik schleunigst begründet werden müsse, wenn sie noch einen konservativen Charakter behalten solle. Endlich Anfang 1875 kamen die Verfassungsgesetze in einer von Ventavon entworfenen Form zur definitiven Verhandlung in der Nationalversammlung und wurden mit einigen Modifikationen, welche die Mittelgruppe unter Wallon beantragte, 25. Febr. mit 425 gegen 252 Stimmen genehmigt. Dieselben bestimmten, daß an der Spitze der Republik ein von beiden Kammern auf sieben Jahre gewählter Präsident stehen, bis 1880 aber Mac Mahon dies Amt bekleiden, und die gesetzgebende Gewalt von zwei Kammern geübt werden sollte, einer aus direkt gewählten Vertretern des Volkes bestehenden Deputiertenkammer von 533 und einem Senat von 300 Mitgliedern, von denen 225 von den Gemeinde-, Arrondissements- und Generalräten auf neun Jahre gewählt, 75 von der Nationalversammlung auf Lebenszeit ernannt, dann durch Wahl des Senats selbst ergänzt werden sollten; die Verfassung sollte 1. Jan. 1876 in Kraft treten und nach Ablauf des Septennats revidiert werden dürfen.

Nach Abschluß der Verfassungsberatungen bildete nach dem Rücktritt Cisseys, der im Mai 1874 an Broglies Stelle getreten war, Buffet ein Ministerium aus Vertretern der Mittelparteien, welche die Verteidigung der Prinzipien der Ordnung und der sozialen Erhaltung, die ihr Programm bildete, besonders durch Begünstigung der Ultramontanen zu verwirklichen meinten. Das Unterrichtsgesetz vom 12. Juli 1875 überlieferte die Schule fast ganz dem katholischen Klerus. Auch die bonapartistische Partei gewann immer mehr an Macht und Einfluß. Die Liberalen bemühten sich vor allem, die Auflösung der Nationalversammlung zu beschleunigen, und machten daher beim Wahlgesetz für die Deputiertenkammer und beim Gesetz über die Beziehungen der öffentlichen Gewalten zu einander erhebliche Zugeständnisse. Nachdem die 75 Senatoren gewählt waren, wurden 31. Dez. 1875 die Sitzungen der Nationalversammlung geschlossen, die fünf Jahre hindurch die Geschicke Frankreichs geleitet hatte.

Die Herrschaft der dritten Republik.

Das schwankende und ohnmächtige Verhalten der monarchistischen Mehrheit der Nationalversammlung, besonders ihre stark hervortretenden klerikalen Tendenzen hatten ihr die Masse des Volkes entfremdet. Dies zeigten die Wahlen für die neue Deputiertenkammer, welche 20. Febr. 1876 stattfanden und 360 Republikaner neben bloß 170 Konservativen ergaben, während aus den Wahlen der 225 Senatoren 30. Jan. noch 120 Konservative hervorgegangen waren. Die Republikaner, an deren Spitze sich jetzt Gambetta stellte, traten überdies sehr gemäßigt auf, während unter den Konservativen die Bonapartisten und Ultramontanen die leitende Stimme hatten. Diese brachten sofort das Ministerium Dufaure zu Falle (1. Dez. 1876), und als darauf Jules Simon, der für einen entschiedenen Republikaner galt, ein neues Kabinett bildete, stieg die Flut der klerikalen Agitation im Land immer höher. Dieselbe fand scheinbar bei der Arbeiterbevölkerung Beifall, und dies ermutigte die Führer der Partei, Broglie und Buffet, zu einem energischen Reaktionsversuch. Nachdem Simon 3. Mai 1877 das Verlangen der Ultramontanen, für die Freiheit des Papstes gegen Italien aufzutreten, unter dem Beifall der Kammern abgelehnt hatte, geriet er wenige Tage darauf wegen einiger Änderungen des Gemeinde- und des Preßgesetzes mit der Mehrheit der Kammern in Konflikt. Dies nahm der Präsident Mac Mahon zum Anlaß, 16. Mai Simon zu entlassen und ein reaktionäres Ministerium unter Broglie zu berufen, das die Aufgabe hatte, die Befestigung der Republik zu verhindern und die Errichtung einer konservativ-klerikalen Monarchie in der Zukunft möglich zu erhalten, inzwischen aber die Macht der Kirche zu verstärken. Die Kammer wurde 18. Mai vertagt und, nachdem der Senat seine Zustimmung zu ihrer Auflösung erteilt hatte, 25. Juni aufgelöst; die Neuwahlen wurden auf den 14. Okt. festgesetzt.

Obwohl der Minister des Innern, Fourtou, alle Mittel des Kaiserreichs, Absetzung der republikanischen Beamten, Unterdrückung der Presse und des Versammlungsrechts, die offiziellen Kandidaturen etc., rücksichtslos anwendete, Mac Mahon selbst seine persönliche Autorität in Manifesten und Reden einsetzte, fielen doch die Wahlen nicht reaktionär aus. Die von Gambetta mit großem Geschick geleiteten Republikaner behaupteten 320 Sitze und siegten auch bei den Generalratswahlen (4. Nov.). Das Ministerium Broglie dankte daher sofort ab, und nachdem der Versuch der Klerikalen, durch das reine Geschäftsministerium Rochebouet die Entscheidung zu verschleppen, von den Kammern mit Hohn zurückgewiesen worden, fügte sich Mac Mahon, da ein Staatsstreich mit Hilfe der Armee keinen Erfolg verbürgte, und berief im Dezember Dufaure wieder an die Spitze der Regierung. Hiermit war der Sieg der Republikaner definitiv entschieden, und ihr Übergewicht befestigte sich immer mehr. Sie machten anfangs von demselben einen bescheidenen Gebrauch, um so mehr, da man den Erfolg der Pariser Weltausstellung 1878 nicht durch Parteistreitigkeiten gefährden wollte. Aber nachdem die Ergänzungswahlen für den Senat, welche 5. Jan. 1879 stattfanden, auch in dieser Körperschaft eine republikanische Majorität von 177 gegen 121 Mitglieder geschaffen hatten, traten die Republikaner anspruchsvoller auf. Sie verlangten die Beseitigung der klerikalen und monarchistischen Elemente nicht bloß aus der Verwaltung, sondern auch aus den höhern Justiz- und Armeestellen. Dies bewog Mac Mahon, der nur den Klerikalen zuliebe seit seiner Niederlage 1877 im Amt geblieben, 30. Jan. 1879 seine Entlassung zu fordern. Die Kammern traten sofort zum Kongreß zusammen und wählten mit großer Mehrheit den Präsidenten der Deputiertenkammer, das Haupt der gemäßigten Republikaner, Jules Grévy, zum Präsidenten der Republik auf sieben Jahre. Nachfolger desselben als Kammerpräsident wurde Gambetta. Der gut republikanische, aber streng kirchliche Dufaure fühlte sich nun auch nicht am Platz und überließ Waddington die Führung des Ministeriums.

In der Deputiertenkammer, in welcher sich die Republikaner durch die Nachwahlen nicht unerheblich verstärkt hatten, besaßen fortan die Fraktionen der republikanischen Linken und der Union républicaine, welche man wegen ihrer Anbequemung an die Verhältnisse Opportunisten oder als Anhänger Gambettas Gambettisten nannte, die Oberhand, wurden aber von der äußersten Linken, den Radikalen, mit immer neuen Anträgen auf Bekämpfung der Reaktion und Befestigung der Republik bedrängt, gegen die sie sich