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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Frauenglas

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Frauenfrage (Litteratur) - Frauenglas.

Anschauungen eines Volkes gelten können. Als solche Berufszweige, welche in Zukunft mehr den Frauen zuzuweisen sind, können die Ausübung der ärztlichen Praxis für Frauen- und Kinderkrankheiten und das höhere Lehramt wenigstens in den Mädchenschulen genannt werden. Die Frage, ob besondere Frauenuniversitäten zu gründen seien oder den Frauen Zutritt zu den bestehenden Hochschulen gewährt werden solle, ist von sekundärer Bedeutung. Erhebliche Bedenken gegen ein gemeinsames Studium beider Geschlechter entstehen auf dem Gebiet des medizinischen Unterrichts. Sollte man sich endgültig für die Zulassung der Frauen zum Studium entscheiden, so wird jedenfalls von ihnen das gleiche Maß von Vorkenntnissen wie von den Männern gefordert werden müssen.

Die erste Hochschule, welche die Frauen zum Studium zuließ, war Zürich. Sie blieb lange Zeit die einzige. Später erst öffneten ihnen die übrigen schweizerischen Universitäten sowie das eidgenössische Polytechnikum ebenfalls ihre Thore. Dasselbe thaten Paris, wo 1886 neun Frauen die Heilkunde ausübten, und einzelne deutsche Hochschulen. In England sind an einigen Universitäten, zuerst in Edinburg und Cambridge, Mädchen wenigstens zu den wissenschaftlichen Prüfungen zugelassen worden, welche für solche veranstaltet werden, die keine Universität besucht haben. Edinburg gewährt ihnen außerdem in beschränktem Maß Zutritt zu den Vorlesungen. 1881 zählte man in England 3,304,000 Frauen, welche einem Beruf oder Gewerbe oblagen, um damit ihren Unterhalt zu verdienen. Davon waren 3216 als höhere und niedere weibliche Beamte im Staatsdienst, 3017 im Gemeindedienst beschäftigt. 2646 Frauen befaßten sich mit gelehrten Studien, 11,376 hatten sich der Musik gewidmet, 94,221 wirkten als Vorsteherinnen von Schulen, 28,605 als Lehrerinnen etc. In Amerika werden in einem großen Teil der dortigen Hochschulen die Frauen zugelassen, ferner hat man dort eine Anzahl female colleges errichtet. Nicht bloß weibliche Ärzte, auch weibliche Prediger und Advokaten gibt es dort in beträchtlicher Anzahl. In Rußland sind zwar Gymnasien für Mädchen geschaffen worden, aber keine Frauenuniversitäten. Es sind indessen an den dortigen Hochschulen öffentliche Vorlesungen für Frauen mit zweijährigem Kurs eingerichtet worden. Deutschland besitzt eine Frauenhochschule indem Viktoria-Lyceum zu Berlin. Es werden dort regelmäßige freiwillige Vorträge von Männern der Wissenschaft für erwachsene Töchter der höhern Stände gehalten. Das Institut dient jedoch dem Bedürfnis nach höherer Bildung, ohne die Eigenschaften einer eigentlichen Universität zu besitzen. Dem Viktoria-Lyceum wurde 1870 ein Damenlyceum in Breslau and das Alice-Lyceum in Darmstadt nachgebildet.

Die Gleichstellung des weiblichen Geschlechts mit dem männlichen auf dem Gebiet des Privatrechts (Einräumung gleicher Befugnisse in Bezug auf Vermögensverwaltung, Testamentserrichtung, Vormundschaftsführung, Bürgschaftsleistung etc.) entspricht einer Forderung der Gerechtigkeit, deren Erfüllung auf höherer Kulturstufe nicht abzuweisen ist. Von den meisten modernen Kulturvölkern ist sie im Prinzip anerkannt und der Hauptsache nach vollzogen. Immerhin sind noch manche beschränkende Bestimmungen, besonders im Familienrecht, in Geltung, welche der Anschauung entspringen, daß dem Mann als dem Haupte der Familie auch die Verwaltung und Nutznießung des seiner Frau gehörigen Vermögens gebühre. Daß die politische Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts ebenso allgemeine Anerkennung in Zukunft finden werde wie die privatrechtliche unterliegt starkem Zweifel. Auch gehen die Forderungen der Frauen selbst in der Regel über die Gewährung des bloßen Stimmrechts nicht hinaus. Das auf politische Gleichberechtigung gerichtete Verlangen entspringt weniger einem praktischen Bedürfnis als einer theoretischen Anschauung von zweifelhaftem Werte. Die geistige Individualität der Frau sowie das bei ihr vorherrschende Gemütsleben lassen sie für eine thätige Teilnahme am öffentlichen Leben wenig geeignet erscheinen. Verwirft auch die moderne Kultur sowohl die grausame Knechtung der Frau, wie sie bei rohen Völkern und im Orient vorkommt, als auch die römische Tutel (s. Vormundschaft) und das mittelalterliche Mundium (s. d.), so will sie doch durch Anerkennung der idealisierten Geschlechtsverschiedenheit gerade dem Interesse echter Weiblichkeit dienen und der Frau zu einer würdigen Stellung und zu einem segensreichen Wirkungskreis verhelfen. Dem Mann der Staat, der Frau die Familie!

[Litteratur.] v. Hippel, Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber (Berl. 1792); J. St. ^[John Stuart] Mill, Die Hörigkeit der Frau (a. d. Engl. von Jenny Hirsch, das. 1872); August, Die soziale Bewegung auf dem Gebiet der Frau (Hamb. 1868); Luise Otto, Das Recht der Frauen auf Erwerb (das. 1866); Minna Pinoff, Reform der weiblichen Erziehung (Bresl. 1867); Daubié, La femme pauvre au XIX. siècle (2. Aufl., Par. 1870, 3 Bde.); K. Th. Richter, Das Recht der Frauen auf Arbeit (Wien 1869); v. Sybel, Über die Emanzipation der Frauen (Bonn 1870); Luise Büchner, Die Frauen und ihr Beruf (4. Aufl., Leipz. 1874); Dieselbe, Die Frau (Halle 1878); Schönberg, Die F. (Basel 1873); Teichmüller, Über die Frauenemanzipation (Dorp. 1877); v. Holtzendorff, Die Verbesserungen in der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Stellung der Frauen (Berl. 1877); Reuper, Frauenberuf und Frauenbildung (Wien 1878); Pierstorff, Frauenbewegung und F. (Götting. 1879); v. Nathusius, Zur F. (Halle 1871); L. v. Stein, Die Frau auf dem Gebiet der Nationalökonomie (Stuttg. 1875); Derselbe, Die Frau auf dem sozialen Gebiet (das. 1880) Fanny Lewald, Für und wider die Frauen (2. Aufl., Berl. 1875); Hedwig Dohm, Der Frauen Natur und Recht (das. 1876); Dieselbe, Die wissenschaftliche Emanzipation der Frau (das. 1874); v. Scheel, F. und Frauenstudium ("Jahrbücher für Nationalökonomie", Bd. 22); v. Bischoff, Das Studium und die Ausübung der Medizin durch Frauen (Münch. 1872); Hermann, Das Frauenstudium und die Interessen der Hochschule Zürich (Zürich 1872); Böhmert, Das Studieren der Frauen (Leipz. 1872); Schwerin, Die Zulassung der Frauen zur Ausübung des ärztlichen Berufs (Berl. 1880); Hirt, Die gewerbliche Thätigkeit der Frauen vom hygieinischen Standpunkt aus (Bresl. 1873); Wachler, Zur rechtlichen Stellung der Frauen (das. 1869). Vgl. auch Klemm, Die Frauen, kulturgeschichtliche Schilderungen (Dresd. 1854-59, 6 Bde.); Scherr, Geschichte der deutschen Frauenwelt (4. Aufl., Leipz. 1879); "The Year-Book of women's work" (Lond.). Zeitschriften: "Neue Bahnen", redigiert von Luise Otto und Auguste Schmidt (halbmonatlich, Leipz., seit 1866; Organ des Allgemeinen deutschen Frauenvereins); "Deutscher Frauenanwalt, Organ der deutschen Frauenbildungs- und Erwerbsvereine", herausgegeben von Jenny Hirsch (Berl. 1870-81); "Frauenheim" (Löbau i. Westpr., seit 1885).

Frauenglas, s. Gips.