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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Galilei

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Galilei (Galileo).

nicht. Es sind für diese Frage drei Schriftstücke maßgebend, nämlich das Dekret des heiligen Offiziums, resp. des Papstes vom 16. Juni 1633, welches das Schlußverfahren gegen G. anordnet, und das Protokoll des Verhörs vom 21. Juni sowie das Urteil, das G. 22. Juni mitgeteilt wurde. In dem Dekret ist ausdrücklich nur von Androhung der Folter die Rede, ebenso in dem Protokoll des Verhörs, dessen Schlußsätze folgendermaßen lauten: "Und nachdem ihm gesagt, er solle die Wahrheit sagen, andernfalls würde zur Folterung geschritten, antwortete er: 'Ich bin hier, um Gehorsam zu leisten, und habe nicht die bewußte Meinung festgehalten seit der ergangenen Entscheidung, wie ich gesagt habe'. Und da nichts andres erlangt werden konnte, wurde er in Ausführung des Dekrets, nach gegebener Unterschrift, in seine Wohnung (locum suum) zurückgeführt." Unmittelbar darunter folgt Galileis Unterschrift. In der Begründung des Urteils ist der letzte Satz folgender: "Da es uns indessen schien, daß von Dir betreffs Deiner Absicht nicht die volle Wahrheit gesagt sei, hielten wir für notwendig, gegen Dich zur strengen Untersuchung (examen rigorosum) zu schreiten, in welcher Du (ohne irgend ein Präjudiz betreffs dessen, was Du bekannt hast, und was oben in Bezug auf Deine erwähnte Absicht gegen Dich gefolgert ist) katholisch geantwortet hast. Deswegen... fällen wir gegen Dich folgendes definitive Urteil." Daß man unter Examen rigorosum in der Regel ein Verhör auf der Folter verstanden habe, ist mit Sicherheit nachgewiesen, es konnte damit aber auch die Territio realis bezeichnet werden, d. h. eine Befragung unter Androhung der Tortur und im Angesicht der Marterinstrumente, deren Bedeutung und Verwendungsweise dem Angeklagten gezeigt wurden; nach der Angabe des Urteils ist gegen G. das eine oder das andre Verfahren eingeschlagen worden; welches von beiden, bleibt unentschieden. Für die beiden andern Dokumente ist eine Fälschung von der einen Seite behauptet, von der andern geleugnet worden, und aus dem Dekret vom 16. Juni lesen die einen heraus, der Papst habe die Folterung verboten, während die andern unter völlig gleichberechtigter Deutung den Papst eine Vollziehung des Examen rigorosum fordern lassen. Das Urteil wurde G. 22. Juni 1633 mitgeteilt, und nach der Verkündigung mußte er die Kopernikanische Lehre feierlich abschwören. Daß G. unmittelbar nachher aufgesprungen sei und mit dem Fuße stampfend ausgerufen habe: "Eppur si muove" ("Und sie bewegt sich doch"), ist eine später entstandene Legende. Die Inquisition hatte G. zum Kerker verurteilt; derselbe wurde ihm jedoch erlassen. Bis zum 24. Juni ward er im Gebäude der Inquisition zurückgehalten, und dann wurde ihm die dem Großherzog von Toscana gehörige Villa Medici bei Rom als Wohnung angewiesen. Schon Anfang Juli wurde er nach Siena entlassen, wo er bei dem Erzbischof Ascanio Piccolomini freundlich aufgenommen wurde, und im Dezember durfte er auf seine Villa zu Arcetri bei Florenz zurückkehren. Er war indes nicht vollständig begnadigt, stand vielmehr immer unter der Aufsicht der Inquisition; es wurde ihm bis zum Jahr 1638 nicht gestattet, nach Florenz überzusiedeln, und ihm der Aufenthalt dort nur bis Ende 1638 erlaubt, worauf er sich nach Arcetri zurückbegeben mußte, wo er bis zu seinem Lebensende blieb. Im J. 1636 vollendete G. sein größtes Werk: "Discorsi e dimostrazioni matematiche intorno a due nuove scienze" (Leiden 1638), welches in vier Dialogen Galileis wichtigste Forschungen auf dem Gebiet der Mechanik umfaßt. Es enthält die Fundamentalgesetze der Mechanik, das Gesetz der Trägheit, die Gesetze der durch eine konstante Kraft bewirkten, gleichmäßig beschleunigten Bewegung sowie den Satz vom Kraftparallelogramm oder von der Zusammensetzung der Bewegung und damit die Lehre von der Bewegung geworfener Körper und zum Teil diejenige von der Pendelbewegung. Bis 1637 war G. auch als astronomischer Beobachter unausgesetzt thätig, 1637 entdeckte er die Schwankung (Libration) des Mondes; im Juni d. J. erblindete er erst auf dem rechten, dann auch auf dem linken Auge, im Dezember 1637 war er gänzlich blind. Trotzdem war er die drei letzten Lebensjahre unausgesetzt geistig thätig, wie die aus dieser Zeit vorhandenen Briefe beweisen, und nach 1641 hat er nach dem Zeugnis von Viviani die Verbindung des Pendels mit der Uhr ersonnen. Am 8. Jan. 1642 starb er auf seiner Villa zu Arcetri. Die Kirche verweigerte das von G. gewünschte Begräbnis in Santa Croce; er wurde in der Kapelle des Noviziats zu Florenz beigesetzt, und den Freunden wurde nicht gestattet, ihm ein Denkmal zu errichten. Erst 1737 wurden seine Gebeine nach der Kirche Santa Croce übertragen, und hier ist ihm dann ein prächtiges Denkmal gesetzt worden. Die Schriften, in welchen die Kopernikanische Lehre vorgetragen und verteidigt wird, wurden erst 1835 vom Index gestrichen.

Galileis Schriften sind: "Le operazioni del compasso geometrico e militare" ("Der Proportionszirkel", Padua 1606); "Sidereus nuncius" (Vened. 1610; Fortsetzung, Bologna 1611); "Discorso intorno alle cose che stanno in su l'acqua o che in quella si muovono" (Flor. 1612); "Istoria e dimostrazioni intorno alle macchie solari e loro accidenti" (Rom 1613); "Discorso della comete di Maria Guiducci" (Flor. 1619); "Il Saggiatore" (Rom 1623); "Dialogo sopra i due massimi sistemi del mondo" (Flor. 1632); "Lettera a Cristina di Lorena sulla interpretazione delle sacre scritture in materie meramente naturali" (geschrieben 1615; gedruckt, Straßb. 1636); "Discorsi e dimostrazioni matematiche intorno a due nuove scienze" (Leiden 1638). Seine übrigen Werke sind alle erst nach seinem Tod gedruckt und dann der Gesamtausgabe einverleibt. Von diesen ist die beste die von Alberi in 16 Bänden: "Opere complete di G. G." (Flor. 1842-56). Sie gibt die Daten der Arbeiten, enthält auch die litterarischen Arbeiten (über Dante, Ariosto, Tasso etc.), den Briefwechsel und eine Biographie von Viviani. Ergänzungen hierzu finden sich in Wolynski, Lettere inedite a G. G. (Flor. 1874); Derselbe, La diplomazia toscana e G. G. (das. 1874); Pieralisi, Urbano VIII e G. G. (Rom 1875); Favaro, Scritti inediti di G. (Flor. 1884); Campori, Carteggio Galileano inedito (Modena 1881).

Biographien lieferten: Viviani (1654), Nelli (am ausführlichsten, 1793), Frist (1778), Jagemann (deutsch 1783), Venturi (mit dem Datum der Arbeiten, 1818-21, 2 Bde.), Brewster (1841), Libri (1841; deutsch, Siegen 1841), Marini (1850), Ph. Chasles (Par. 1862), Parchappe (das. 1866), v. Gebler (Stuttg. 1876). Vgl. dazu noch Caspar, G. G. Zusammenstellung der Forschungen und Entdeckungen Galileis (Stuttg. 1854); Th. Henri Martin, Galilée, les droits de la science etc. (Par. 1868); Favaro, G. G. e lo studio di Padova (Flor. 1882, 2 Bde.).

Die Akten des Prozesses wurden herausgegeben von de l'Epinois (Rom 1867), Riccardi (Modena 1873), Berti (Rom 1876 u. 1878), v. Gebler (Stuttg.