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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Galizien

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Galizien (Bodenbeschaffenheit, Bevölkerung, Land- und Forstwirtschaft).

das nur noch jenseit dieser Flüsse im O. zu dem wellenförmigen Plateau der podolischen Höhe (bis 400 m) und im NW. von Krakau zu dem galizischen Anteil der Tarnowitzer Platte (bis 470 m) ansteigt. - Was die Gewässer betrifft, so gehört der westliche Teil Galiziens dem Stromgebiet der Weichsel, der östliche dem des Dnjestr an, zum kleinern Teil dem des Dnjepr im NO. (bei Brody) durch den Styr, der ein Zufluß des Pripet ist, und dem der Donau durch den Pruth, der die südöstliche Ecke des Landes durchfließt. In die Weichsel münden als Nebenflüsse in G., von den Karpathen kommend, die Sola, Skawa, Raba, der Dunajec mit dem Poprad und der Biala, die Wisloka, der schiffbare San mit dem Wislok und der Bug; der Dnjestr dagegen empfängt rechts den Stryj, die Swica, die Lomnica und Bistrica, links die Lipa-Zlota, Stripa, Sered und den Zbrucz (oder Podhorce), welcher die Ostgrenze bildet. Unter den Zuflüssen des Pruth ist der Czeremosz, der Grenzfluß gegen die Bukowina, nennenswert. Unter den 35 Mineralquellen (worunter sich 22 schwefelhaltige finden) sind der Säuerling zu Szczawnica, die eisenhaltigen Quellen zu Krynica, die Jodquellen von Iwonicz und die Schwefelquellen von Truskawiec die besuchtesten. G. hat unter allen österreichischen Kronländern das strengste Klima, da die Extreme der Wärme und Kälte ca. 80° C. auseinander liegen. Ohne Schutz gegen die rauhen Nord- und Nordostwinde, hat es späte Frühlinge, kurze Sommer, aber lange und kalte Winter. Die mittlere Jahrestemperatur von Lemberg stellt sich auf 8° C., in Tarnopol sinkt sie sogar bis 6,1° C. Die mittlere Wärme des Juli erreicht in Lemberg 19,4°, in Tarnopol 18,6° C.; die mittlere Kälte des Januars in Lemberg -3,8°, in Tarnopol -5,8° C. Der mittlere Niederschlag stellt sich für Lemberg auf 72 cm, in Krakau erreicht er nur 57 cm. Gewitter sind nicht häufig; die Winterstürme kommen aus NO.

[Bevölkerung.] Die Bevölkerung von G. betrug Ende 1869: 5,444,689, Ende 1880: 5,958,907 Einw. und hat sich demnach in der Zwischenperiode um jährlich 0,82 Proz. vermehrt. Die sonst noch viel bedeutendere Volkszunahme (in der Periode 1857-1869 jährlich 1,42 Proz.) wurde im letzten Jahrzehnt durch verheerende Epidemien (Cholera 1872-73, Diphtheritis 1878-79) aufgehalten. Auf 1 qkm entfallen im Durchschnitt 76 Einw., als Extreme stehen sich die Bezirke Biala (131 Einw. auf 1 qkm) und Nadworna (31 Einw. auf 1 qkm) gegenüber. An Wohnorten gibt es 83 Städte, 230 Märkte und 11,060 Dörfer mit 926,319 bewohnten Häusern. Hinsichtlich der Nationalität (Umgangssprache) kommen von der Gesamtbevölkerung Ende 1880: 42,9 Proz. auf die Ruthenen, 51,5 Proz. auf die Polen. Diese überwiegen in Westgalizien, jene in Ostgalizien. Innerhalb dieser beiden slawischen Volksstämme unterscheiden sich merklich die Bewohner der Gebirge von denen der Ebene, nicht allein in Sitte und Tracht, sondern auch in Körperbeschaffenheit. Die Bergbewohner in den westlichen Karpathen, die Goralen (ein Fünftel der gesamten polnischen Bevölkerung), sind hochgewachsen und brünett, dagegen die Bewohner der Weichselebene, die Masuren und Lisowiaken, von mehr untersetzter Statur und blond. Die Polen bilden den galizischen Adel und im W. auch den Bauernstand. Im O. treten die Bewohner des Gebirges, Huzulen genannt, als der schönste und stämmigste Menschenschlag Galiziens hervor; die übrigen, Ruthenen, von denen jene einen kleinen Teil ausmachen, sind ein abgehärtetes, starkknochiges Geschlecht, langsam, demütig, fast melancholisch, aber treffliche Arbeiter, gefällig und höchst gastfreundlich. Außerdem wohnen in G. Deutsche (über 100,000, darunter viele Kolonisten, welche seit Joseph II. ins Land kamen) in den größern Städten und mehr als 100 kleinern Ortschaften über das ganze Land verteilt; ferner 2430 meist handeltreibende Armenier (mitunter auch wohlhabende Großgrundbesitzer) und 686,596 Juden, mehr als zwei Drittel der israelitischen Bevölkerung des gesamten Kaiserstaats. Letztere leben in den Städten von Handel und Gewerbe, in den Dörfern von Pachtungen und Landbau; die Geschäfte liegen meist in ihren Händen. Eine besondere Sekte der galizischen Juden sind die Karaiten, welche den Talmud verwerfen und sich im 13. Jahrh. zu Halicz angesiedelt haben. Sie sind gegenwärtig auf wenige Familien zusammengeschmolzen. Von den christlichen Bewohnern bekennen sich 2,714,977 zur römisch-katholischen Kirche (vorwiegend Polen im W.), 2,510,408 zur griechisch-katholischen Kirche (zumeist Ruthenen im O. des Landes); 40,994 sind evangelisch, 2430, wie bereits erwähnt, Armenier. Die Römisch-Katholischen stehen unter einem Erzbischof (zu Lemberg) und 3 Bischöfen (zu Krakau, Przemysl und Tarnow); die Griechisch-Katholischen unter einem Erzbischof (zu Lemberg) und einem Bischof (zu Przemysl); die Armenisch-Katholischen gleichfalls unter einem Erzbischof zu Lemberg; die Protestanten haben einen Superintendenten und 4 Seniorate.

[Land- und Forstwirtschaft.] G. ist vorwiegend ein Acker- und Getreideland. Der Boden ist fast durchgängig, die Karpathengegenden und einige morastige Striche ausgenommen, fruchtbar. Er wird aber schlecht bebaut, und auch das Klima ist im allgemeinen dem Anbau nicht sehr günstig, weshalb der Ertrag verhältnismäßig gering ist. Die produktive Bodenfläche beträgt nahezu 97 Proz. der ganzen Landesfläche; auf Ackerland kommen 50, auf Wiesen 11½, auf Gärten 1½, auf Weiden 10, auf Wald 26¾ und auf Teiche und Sümpfe ¼ Proz. der produktiven Bodenfläche. Die Getreideernte ergibt jährlich etwa 26 Mill. hl, hauptsächlich Hafer, Roggen und Gerste und zwar über den eignen Bedarf des Landes, weniger Weizen; außerdem werden auch, namentlich im O. des Landes, Mais, Buchweizen und Hirse angebaut. In den Gebirgsgegenden wiegt der Anbau von Kartoffeln (30 Mill. hl) und Flachs (125,000 metr. Ztr.) vor. Weinbau findet in G. nicht statt. Dagegen ist noch die Kultur von Tabak (36,000 metr. Ztr.), Hanf (250,000 metr. Ztr.), Hülsenfrüchten (1,200,000 hl), Klee (3,7 Mill. metr. Ztr.), mehreren Öl- und Gewürzpflanzen (Raps, Anis, Fenchel, Mohn, Kümmel etc.) sowie der Rübenbau (3,8 Mill. metr. Ztr.) von Bedeutung. Auch die Obstkultur, der Gemüse- und Gartenbau sowie die Wiesenkultur sind in G. ergiebig. Bei zweckmäßiger Bewirtschaftung und ausreichenden Arbeitskräften wurde der Ertrag des Landes jedoch noch bedeutend höher sein. Die Wälder, sehr ungleich verteilt, bestehen aus Laub- wie aus Nadelhölzern und liefern Bäume (Kiefern, Erlen und Eichen) von bedeutender Größe, die behufs des Schiffbaues in großer Anzahl ins Ausland versendet werden. Der jährliche Holzzuwachs beträgt ca. 6 Mill. Festmeter. Die Holzausfuhr geht hauptsächlich nach Russisch-Polen und Preußen (Danzig). Die Beförderungsmittel für den Holzexport bieten hauptsächlich die Flüsse Weichsel mit Dunajec und San und Dnjestr, auf welchen jährlich über 4 Mill. metr. Ztr. zum Schiffbau bestimmten Holzes ausgeführt werden. In einzelnen Gegenden sind jedoch die Waldungen bereits