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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Gebirge

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Gebirge (Gebirgsbildung nach Heim).

sämtlichen G. der Erde in bestimmte Hebungssysteme verschiedenen Alters einordnete und in der örtlichen Verteilung dieser Systeme eine gesetzmäßige Verteilung nach größten Kreisen der Erdkugel nachweisen zu können glaubte. Neuerdings hat die gewöhnlich an Heims Namen geknüpfte, aber auch von andern (so namentlich von Süß, Favre, Lory) mit sehr wesentlichen Beobachtungen und Abstraktionen gestützte Hypothese, welche sich zunächst auf den Mechanismus der Bildung der Alpen bezieht, aber auch auf alle übrigen Kettengebirge ausgedehnt worden ist, die meiste Popularität errungen. Für die Oberflächengestaltung der Alpen kam Heim zu der Annahme, daß dieselbe vorwiegend ein Resultat der von außen einwirkenden Abspülung, Erosion, ist. Der innere Bau und Risse, welche mit der ursprünglichen Bildung des Gebirges zusammenhängen, üben keinen oder nur wenig Einfluß aus, und ebenso ist die Mitwirkung der Gletscher bei der Hervorbringung der heute vorliegenden Kontur eine minimale gewesen. Dagegen ist die Menge des weggeführten Materials eine ganz außerordentliche und kann auf die Hälfte der Gesamtmasse geschätzt werden, welche ehemals die Alpen bildete. Der innere Bau, zunächst der Alpen, dann auch andrer Kettengebirge, ist charakterisiert durch die gewaltigen Lagerungsstörungen, und da diese Biegungen, Überkippungen, Faltenbildungen ebenso wie die Transversalschieferung und Formveränderungen von Petrefakten (gestreckten Belemniten, elliptisch verzogenen Ammoniten) nur in Gebirgen und zwar einigermaßen häufiger bloß in Kettengebirgen vorkommen, so ist man berechtigt, alle diese Erscheinungen als Produkte der gebirgsbildenden Kräfte selbst zu betrachten. Bezeichnet man die Gesamtheit dieser Erscheinungen als Umformung der Gesteine, so ergibt sich, daß sich solche Umformung teils mit, teils ohne Bruch vollziehen kann. Im erstern Fall treten Verwerfungen, Risse, Rutschflächen, Zertrümmerungen bis zur Breccienbildung und im Gefolge Aderbildung, Verkittung der Trümmer in veränderter gegenseitiger Stellung auf, im letztern Fall die Schichtenstörung ohne Zerreißung, die Transversalschieferung, Streckung etc. Dabei verbietet alles, was die Erfahrung über die Erhärtung des Gesteinsmaterials lehrt, anzunehmen, daß eine der beiden Umformungen sich am noch weichen Material vollzogen hätte, und auch die Umformung ohne Bruch muß sich am harten, selbst sprödesten Material abgespielt haben. Die Beobachtung lehrt ferner, daß von der letztern Umformung die verschiedenartigsten Gesteine betroffen wurden, daß dasselbe Gestein der Umformung mit und ohne Bruch unterlegen sein kann, daß sich dagegen die Andeutungen einer bruchlosen Umformung mit der Tiefe unter der heutigen Gebirgsoberfläche mehren und sich der ganze Prozeß nur in sehr bedeutender Tiefe unter der ursprünglichen Gebirgsoberfläche abspielen konnte. So kommt Heim zu dem Kardinalsatz: "In einer gewissen Tiefe unter der Erdoberfläche sind die Gesteine weit über ihre Festigkeit hinaus belastet. Dieser Druck pflanzt sich nach allen Richtungen fort, so daß ein allgemeiner, dem hydrostatischen Druck entsprechender Gebirgsdruck allseitig auf die Gesteinsteilchen einwirkt. Dadurch sind dort die sprödesten Gesteine in einen 'latent plastischen' Zustand versetzt. Tritt eine Gleichgewichtsstörung durch eine neue Kraft (den gebirgsbildenden Horizontalschub) hinzu, so erfolgt die mechanische Umformung in dieser Tiefe ohne Bruch, in zu geringen Tiefen bei den sprödern Materialien aber mit Bruch."

Auf den "gebirgsbildenden Horizontalschub" läßt sich nun die Hebung der Alpen ganz allgemein, übereinstimmend für die Zentralmassive und für die dieselben flankierenden Sedimente, zurückführen, eine Übereinstimmung des Bildungsmodus, welche eine gegenteilige Ansicht (Studer), die in den zentralen Massiven erumpiertes, die Aufrichtung des Mantels verursachendes Material erblickt, nicht zu erklären vermag. Gegen die letztere Ansicht spricht vor allem, daß die betreffenden Eruptivgesteine älter sind als die Faltenbildung; beteiligen sich doch an der Zusammensetzung der Falten die Sedimente jeden Alters herab bis zum Tertiär in untereinander konkordanter Lagerung. Ferner läßt sich die innere Struktur auch der Zentralmassen auf Faltenbau zurückführen. So finden sich im Simplon, Monte Rosa noch vollkommen erhaltene Gewölbe mit auf der Höhe flach liegenden Schiefern, während die Dachstruktur (Tauern) ein Gewölbe darstellt, dessen Biegung abgewittert ist. Parallelstruktur (Aiguilles rouges) entsteht durch Falten, deren Schenkel bis zur parallelen Stellung zusammengepreßt sind, während die Wölbung entfernt ist, und die Fächer (Gotthard, Montblanc) sind übergebogene Faltenschenkel wiederum mit abgewitterter Gewölbebiegung. Aber nicht nur der Art, sondern auch der Zeit der Bildung nach fällt die Entstehung der Umformung der Massive mit der der Sedimente zusammen und gehört, wie diese, der jungtertiären Periode an.

^[Abb.: Schematische Darstellung der Gebirgsbildung nach Heim.]