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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Gehirnabsceß; Gehirnblutung; Gehirnbruch; Gehirndruck; Gehirnentzündung

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Gehirnabsceß - Gehirnentzündung.

senlähmung, Gesichtslähmung, Herzlähmung) in die Erscheinung treten. Welcherlei anatomische Ursachen einer jeden Gehirnkrankheit zu Grunde liegen, läßt sich aus den Erscheinungen durchaus nicht ohne weiteres schließen, da nicht selten Entzündungen oder Neubildungen, welche von den Gehirnhäuten oder den Gehirnhöhlen oder gar der Schädelkapsel ausgehen, dieselben Symptome machen wie diejenigen der nervösen Gehirnsubstanz selbst; ja, es geschieht ganz häufig, daß eine Entzündung oder ein Parasit (Finne) anfangs Reizerscheinungen auslöst und erst in spätern Stadien, wenn die Nervensubstanz zerstört ist, zur Lähmung führt. Wenn man von den Geisteskrankheiten (s. d.) absieht, so sind die Gehirnerweichung (s. d.), der Gehirnschlag (s. d. und Embolie) und bösartige Geschwülste im G. die häufigsten Krankheiten; nach dem Obigen werden aber die Gehirnhautentzündungen, namentlich syphilitische Karies (s. d.) des Schädels, den eigentlichen Gehirnkrankheiten zugezählt.

Gehirnabsceß, s. Gehirnentzündung.

Gehirnblutung, s. Gehirnerweichung und Schlagfluß.

Gehirnbruch (Hirnbruch, Encephalocele), das teilweise Hervortreten des Gehirns aus der knöchernen Schädelkapsel, ist gewöhnlich angeboren (E. congenita) und kommt nur bei mangelhafter Bildung der knöchernen Hirnschale vor. Solche angeborne Hirnbrüche treten an verschiedenen Stellen des Kopfes, am Hinterhaupt, an der Stirn, in der Gegend der Schläfenschuppe, selbst an der Schädelbasis auf, so daß der Hirnbruch in die Nasen oder Rachenhöhle, zuweilen sogar aus dem Mund hervortritt. Die mit angebornem Hirnbruch behafteten Kinder sterben gewöhnlich frühzeitig, weil sich der Bruch leicht entzündet und die Entzündung sich auf das Hirn und die Hirnhäute überhaupt ausbreitet. Nur ganz kleine Hirnbrüche können länger ertragen werden. Als traumatischen oder erworbenen Hirnbruch bezeichnet man die Fälle, wo das Hirn nach Verletzung seiner Bedeckungen teilweise unbedeckt durch die Wunde vordringt. Die vorgefallene Masse erscheint gerötet, schwammartig, geht gern in Verschwärung und Brand über; sie muß abgetragen und die Wunde bedeckt werden. Solche Fälle enden meist tödlich.

Gehirndruck (Compressio cerebri), d. h. Druck auf die Hirnmasse, entsteht bei Schädelbrüchen, wenn die Knochenstücke niedergedrückt sind, ferner durch Geschwülste, welche sich im Innern der Schädelhöhle bilden, sodann durch größere Blutergüsse, Wasser- und Eiteranhäufungen innerhalb der Schädelhöhle etc., wodurch der für das Gehirn bestimmte Raum anderweitig in Anspruch genommen wird. Gewöhnlich versteht man unter G. die Summe derjenigen Symptome, welche durch die Raumbeengung des Gehirns hervorgerufen werden, Kopfschmerz, Klingen in den Ohren, Verdunkelung des Gesichtsfeldes, Lähmungen und vor allem tiefe Schlafsucht (Coma). Fieber ist beim G. bald vorhanden, bald fehlt es. Eine ärztliche Behandlung des Gehirndrucks ist nur in dem Fall möglich, wo durch die Trepanation ein niedergedrücktes Knochenstück emporgehoben oder einer Eiteransammlung im Schädel Abfluß verschafft werden kann. In neuester Zeit ist es mehrfach gelungen, bei Blutungen aus der mittlern Gehirnarterie, welche bei Kopfverletzungen nicht so selten vorkommen, durch die Trepanation die Blutstillung zu bewirken, den G. zu beseitigen und Heilung zu erzielen. In allen andern Fällen steht der Arzt dem Symptomenkomplex des Gehirndrucks hilflos gegenüber.

Gehirnentzündung (Encephalitis) darf streng genommen nur die Entzündung der eigentlichen Gehirnsubstanz genannt werden. Im Munde der Laien wird das Wort G. für alle akuten, mit Fieber einhergehenden Entzündungsprozesse gebraucht, von welchen die in der Schädelhöhle enthaltenen Organe befallen werden, also namentlich auch für die Gehirnhautentzündung (s. d.). Ganz gewöhnlich hört man irrtümlicherweise auch solche fieberhafte Krankheiten als G. bezeichnen, bei welchen das Gehirn nur insofern betroffen ist, als es unter dem Fieber zu leiden hat, während die Lokalkrankheit, von welcher das Fieber abhängt, der Beachtung ganz entgeht. So wird z. B. eine Lungenentzündung bei Kindern, weil sie mit schweren Gehirnsymptomen einhergeht, als G. aufgefaßt, obwohl das Gehirn dabei anatomisch gar keine Veränderung erkennen läßt. Die eigentliche G. in ihrer akuten Form ist eine verhältnismäßig seltene Krankheit, die nur bei Neugebornen über das ganze Organ verbreitet vorkommt, sich sonst aber immer zu bestehenden Schädlichkeiten hinzugesellt und neben diesen kaum ein andres als anatomisches Interesse verdient. Sie wird am häufigsten durch grobe mechanische Schädlichkeiten herbeigeführt, z. B. durch einen Fall auf den Kopf, durch einen heftigen Stoß oder Schlag an denselben etc. Es braucht dabei keineswegs das Gehirn unmittelbar getroffen zu werden; es kommt vielmehr vor, daß das Schädeldach, ja selbst die Weichteile über demselben unversehrt geblieben sind, und doch folgt auf den Schlag an den Kopf und ähnliche Einwirkungen eine G. nach. Ferner gesellt sich G. gern zu Blutgerinnungen in größern Venen (Sinusthrombose), dann zu Gehirnschlagflüssen hinzu, wenn ein Teil der Hirnmasse durch große Blutergüsse zertrümmert worden ist. Ebenso sehen wir in der Umgebung von Gehirngeschwülsten sowie in primären Erweichungsherden des Gehirns eine G. auftreten. Krankheiten der Schädelknochen, vorzugsweise Karies des Felsenbeins, wie sie nach lange dauernden Eiterungen des Mittelohrs nicht selten entsteht, führen ebenfalls zu G., indem sich der entzündliche oder Verschwärungsprozeß auf das Gehirn fortsetzt. Die G. betrifft immer nur einzelne Abschnitte des Gehirns, deren Größe vom Umfang einer Bohne bis zu dem einer Faust und darüber wechselt. Bald ist nur ein Entzündungsherd vorhanden, bald sind es deren mehrere. An jeder Stelle des Gehirns kann sich die G. entwickeln, doch tritt sie besonders häufig nahe an der Oberfläche des Gehirns auf. Der kranke Herd erscheint anfänglich geschwollen, stark durchfeuchtet, weich und ist mit zahlreichen kleinen Blutaustritten durchsetzt. Allmählich lockert sich die Stelle zu einem roten Brei auf. Im günstigen Fall kapselt sich der rote Erweichungsherd ab, er wird von einer bindegewebigen Hülle umschlossen, während der Gehirnbrei selbst zu einer Milch zerfällt und aufgesaugt wird. In solchen Fällen bleibt, je nach dem Umfang des Erweichungsherdes, eine Narbe oder eine mit Wasser durchtränkte schwammige Zellgewebsmasse oder endlich eine mit Serum angefüllte unregelmäßige Höhle oder Cyste zurück. Im ungünstigen Fall aber führt die G. zur Eiterung, womit ein Gehirnabsceß gegeben ist. Dieser kann fortwachsen, bis er in eine Hirnhöhle oder unter die weichen Hirnhäute einbricht; im Moment des Durchbruchs tritt augenblicklich der Tod ein. Zuweilen aber bleibt der Absceß jahrelang stationär, er wird durch eine sogen. Absceßhaut abgeschlossen, bis er später durch eine zufällige Veranlassung wieder zu wachsen anfängt und doch noch zum Tod