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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Gehirnerschütterung; Gehirnerweichung

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Gehirnerschütterung - Gehirnerweichung.

scheinungen sind wie beim Pferd. Bei Schafen ist die G. häufiger und gewöhnlich die Folge der Einwanderung der Bandwurmembryos in die Schädelhöhle (s. Drehkrankheit). Bei Hunden kommt die Krankheit öfters während des Zahnwechsels vor und äußert sich durch Verminderung des Bewußtseins, Taumeln oder Drehen nach einer Seite, vermehrte Wärme am Schädel, Rötung der Schleimhäute nebst Fiebersymptomen. Zur Kur werden kalte Umschläge auf den Kopf, innerlich Laxiermittel, ferner Klystiere angewendet und leichtverdauliche Nahrungsmittel gegeben.

Gehirnerschütterung (Commotio cerebri) entsteht durch einen starken Schlag an den Kopf, durch einen Sturz von beträchtlicher Höhe und ähnliche Einwirkungen. Der Getroffene stürzt zusammen, ist bewußtlos, kommt aber bald zum Bewußtsein zurück und klagt nun über Schwindel, Verwirrung der sinnlichen Vorstellungen, Ohrensausen, Neigung zum Schlaf. Bei schwerer G. hält die Bewußtlosigkeit längere Zeit an, der Getroffene liegt unbeweglich in tiefem Schlaf, sein Gesicht ist blaß, Hände und Füße fühlen sich kalt an, die Respiration ist leicht, der Pins klein und gleichmäßig. Die Augen sind unempfindlich gegen Lichteindrücke, der Kranke reagiert nicht auf Hautreize. Kommt er dann zum Bewußtsein, so dauern einzelne Sinnesstörungen noch an, das eine oder andre Glied kann nicht nach Belieben bewegt werden, die Sprache ist gestört etc. Häufig hat der Kranke nicht die geringste Erinnerung von dem, was sich mit ihm zugetragen hat. Stets ist bei der G. mehr oder weniger heftiges Erbrechen vorhanden, welches sich einigemal zu wiederholen pflegt. Trotz der schweren Symptome, welche selbst in den Tod ausgehen können, findet man bei reiner und einfacher G. keine gröbere anatomische Veränderung im Gehirn, und hierin unterscheidet sich die Erschütterung von der Gehirnquetschung (Contusio cerebri), bei welcher stets Substanz zerdrückt wird und Blut austritt. Die einzige, nur mit dem Mikroskop zu ermittelnde, aber doch höchst bedeutungsvolle Veränderung ist die von Virchow entdeckte Verkalkung der Ganglienzellen am Orte der Gewalteinwirkung, durch welche der Verlust der höchsten Lebensthätigkeiten völlig erklärt wird, da eine spätere Verkalkung nur dann Platz greifen kann, wenn die Zellen vorher für ihre Funktion abgestorben sind. Je nach dem Grade der Erschütterung kann sofort der Tod eintreten, oder es kann infolge einer nachfolgenden Gehirnentzündung nach Tagen eine Gehirnlähmung das Leben beschließen, oder die G. kann ohne Schaden in völlige Heilung übergehen.

Gehirnerweichung (Encephalomalacia), Kollektivbezeichnung für sehr verschiedenartige Zustände, welche jedoch das Gemeinsame haben, daß dabei irgend ein Hirnabschnitt seine Textur eingebüßt hat und zu einer breiigen Masse erweicht ist. Man unterscheidet gewöhnlich nach einem rein äußerlichen Merkmal, nämlich dem Farbenunterschied, eine rote G., welche später zur braunen G. werden kann, eine gelbe und weiße G. 1) Die rote G. entsteht jedesmal dadurch, daß Blut aus arteriellen Gefäßen austritt und sich in der weichen Substanz des Gehirns durch Zerreißung und Zertrümmern der nervösen Elemente seinen Raum verschafft. Der so entstandene Blutherd gleicht einem roten Brei. Die Entstehungsursache der roten G. kann in vielen Fällen auf eine äußere Gewaltwirkung, Quetschung oder Gegenschlag (contre-coup) zurückgeführt werden, wobei dann die Herde in der Rindensubstanz gelegen sind, oder sie kann in der Berstung erkrankter, aneurysmatisch erweiterter oder durch Blutgerinnsel (emboli) verschlossener Gefäße beruhen. Ist die Masse des ergossenen Bluts nicht so groß, daß augenblicklich der Tod in Form eines Schlagflusses erfolgt, so verfällt der rote Brei einer Rückbildung. Das Blut wird aufgelöst, großenteils aufgesogen, zum andern Teil in Form von körnigem, seltener kristallinischem Pigment deponiert, wodurch der Herd in eine braune Erweichung umgewandelt wird. Die nervösen Bestandteile verfallen der Fettentartung und werden gleichfalls von den Lymphgefäßen fortgeführt; die Umgebung liefert ein sparsames durchfeuchtetes Bindegewebe, womit dann die Bildung einer gelbbraunen Narbe (plaque jaune der französischen Autoren) vollzogen, der höchste Grad der Heilung erzielt ist. 2) Die gelbe G. hat ihren Namen von der gelben Farbe verfetteter Teile der Gehirnsubstanz. Zuweilen ohne nachweisbaren anatomischen Grund, zuweilen bei schleichend verlaufenden Entzündungen, Verdickungen oder Verödungen von Gehirnarterien verfällt derjenige Bezirk, der in seiner Ernährung auf dieses Gefäß angewiesen ist, dem langsamen Gewebstod (Necrobiosis). Die Funktion hört auf, die abgestorbenen Teile fallen der Fettmetamorphose anheim, und solange dieses Fett in Form von sogen. Fettkörnchenzellen an Ort und Stelle liegen bleibt oder benachbarte Hirnabschnitte mit in den Zustand chronischer Entzündung hineinzieht, spricht man von gelber G. Sofern sich eine Heilung anbahnt, wird das Fett resorbiert, es bleibt auch hier eine Narbe zurück. 3) Als weiße G. bezeichnete man früher eine Auflockerung der sehr blassen Marksubstanz, welche die Gehirnhöhlen begrenzt, wenn diese letztern mit wässeriger Flüssigkeit (Hydrocephalus internus) stark angefüllt gesunden wurden. Diese G. ist aber ein nach dem Tode durch Maceration entstehender Fäulniseffekt. Als wirklich krankhafte weiße G. darf man wohl hin und wieder Erweichungsherde ansehen, welche ihrer Natur nach zu den gelben gehören, bei denen aber das Fett nicht so butterähnlich dicht, sondern mehr milchähnlich mit Wasser untermischt angeordnet liegt.

Die Symptome einer G. hängen ganz und gar ab: a) Von ihrem Sitz. Ein Herd im Streifenhügel bedingt Lähmung, ein solcher im Sehhügel Erblindung, eine G. der zweiten linken Schläfenwindung Verlust der Sprache, G. der Rautengrube lähmt zuweilen auf der Stelle Atmung und Herzthätigkeit, an andern Stellen entstehen Krämpfe, an noch andern Schmerzen und Verlust jeder Art höherer Seelenthätigkeit, welchem Gebiet der psychischen Leistung, dem Willen, der Erinnerung etc., sie dienen mögen. b) Von der Ausdehnung, den die Zerstörung erreicht hat. Eine kleine verletzte Stelle im linken Streifenhügel bedingt z. B. Lähmung der rechten Gesichtshälfte; ist der Herd links größer, so wird der Oberarm der rechten Seite, bei totaler Zertrümmerung der linken großen Ganglien die ganze rechte Körperhälfte gelähmt. Ferner kann eine kleine Erweichung weit leichter ausheilen als eine große; die Funktion der einen Region wird von einer andern mit übernommen, wie die experimentellen Untersuchungen der Physiologen bewiesen haben. c) Von großem Einfluß ist die plötzliche oder allmähliche Entstehung der G. Alle die zahlreichen Fälle, bei welchen durch Hineinfahren eines Blutpfropfes (embolus) in eine Gehirnarterie bei Herzkranken eine Zerreißung und eine momentane Zertrümmerung von Nervensubstanz zu stande kommt, werden wegen dieser jähen Wirkung als Schlaganfälle, Schlagflüsse bezeichnet. Man meint hiermit eben das plötzliche und ganz unvermittelt ein-^[folgende Seite]