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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Genfer Konferenz; Genfer Konvention

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Genfer Konferenz – Genfer Konvention.

auf auch der Staatsrat, dessen »unabhängig« gesinnte Mitglieder dimissionierten, in ihrem Sinn bestellt wurde. Die Carteretsche Regierung erwarb sich Verdienste durch Einführung des obligatorischen Primärschulunterrichts (1872), Erweiterung der alten Genfer Akademie zu einer vollständigen Universität mit vier Fakultäten, die schon jetzt die besuchteste der Schweiz ist (Oktober 1873), hat aber namentlich Aufsehen erregt durch den Kampf, den sie gegen die frühern Bundesgenossen der Radikalen, die Ultramontanen, zu führen hatte, welche unter der Leitung des ehrgeizigen katholischen Stadtpfarrers Kaspar Mermillod das altberühmte Bollwerk des Protestantismus wieder in einen katholischen Bischofsitz umzuwandeln bestrebt waren. Schon 1864 hatte Bischof Marilley von Freiburg, zu dessen Diözese seit 1819 das katholische G. gehörte, auf höhere Weisung hin Mermillod als seinem »Hilfsbischof« die bischöflichen Gewalten über G. delegieren müssen. Als 1871 Marilley auf die direkte Aufforderung des Staatsrats sich weigerte, irgend welche Verantwortlichkeit für den genferischen Teil seiner Diözese zu übernehmen, untersagte jener Mermillod alle bischöflichen Funktionen und entsetzte ihn, da er sich weigerte zu gehorchen, seiner Stelle als Pfarrer (20. Sept. 1872). Am 16. Jan. 1873 erfolgte die förmliche Ernennung Mermillods zum apostolischen Vikar von G. durch den Papst, worauf der Schweizer Bundesrat 11. Febr. diese Ernennung für nichtig erklärte und am 17. wegen der Widersetzlichkeit Mermillods dessen Ausweisung verfügte, die sofort vollzogen wurde. In G. wurden, nachdem die nationalen Parteien bei den Großratswahlen 10. Nov. 1872 einen glänzenden Sieg über die Ultramontanen davongetragen, 1873 zwei Gesetze über den katholischen Kultus erlassen (19. Febr. und 27. Aug.), welche auch die Verfassung der katholischen Kirche auf die Gemeinde basierten und von den Geistlichen einen Eid auf die Staatsgesetze verlangten. Alle Pfarrer, die denselben verweigerten, wurden entfernt und, da nur die christ- (alt-) katholische Richtung sich den Gesetzen fügte, diese als Landeskirche anerkannt, während sich die römisch-katholischen Genossenschaften in die Stellung von Privatvereinen gedrängt sahen. Diese Ereignisse übten eine wohlthätige Rückwirkung auf die Haltung Genfs in eidgenössischen Dingen aus; während es die Bundesverfassung von 1872 als zu zentralistisch mit 7908 gegen 4541 Stimmen verworfen, standen 1874: 9674 Ja 2827 Nein gegenüber. Angesichts der Hetzereien Mermillods vom französischen Gebiet aus hielt der Staatsrat mit eiserner Konsequenz an der von ihm eingenommenen Position fest; die Altkatholiken wurden in ultramontanen Dörfern durch militärisches Einschreiten geschützt, renitente Munizipalbehörden entsetzt und Pfarrer, die Erlasse Mermillods publizierten, dem Strafrichter überwiesen. Der Große Rat beschloß 23. Aug. 1875, die religiösen Korporationen, die schon durch ein Gesetz von 1871 beschränkt worden waren, völlig aufzulösen und ihre Güter einzuziehen, und verbot 28. Aug. alle öffentlichen Kultusfunktionen. Die Ohnmacht der Ultramontanen bewirkte allmählich eine Auflösung der gouvernementalen Majorität; es bildete sich eine Koalition der Konservativen und Independenten, welche als »demokratische« Partei der autoritären Politik der Radikalen Opposition machte, bei den Neuwahlen zum Großen Rat 1878 einen völligen und bei denjenigen zum Staatsrat 1879 einen teilweisen Sieg davontrug. Durch eine 18. Mai 1879 angenommene Partialrevision wurde das fakultative Referendum in die Verfassung eingeführt; dagegen verwarf das Volk die von den Ultramontanen, Fazyanern und den protestantischen Orthodoxen angestrebte Aufhebung des Kultusbudgets und die damit verbundene Trennung von Kirche und Staat 4. Juli 1880 mit 9306 gegen 4064 Stimmen. Die Neuwahlen zum Großen Rat vom 16. Nov. 1880 sicherten der Carteretschen Richtung wieder eine überwiegende Majorität.

Vgl. »Mémoires et documents pour servir à l’histoire de Genève« (Genf 1842 ff.); Thourel, Histoire de Genève (das. 1833, 3 Bde.); Pictet de Sergy, Genève, origine et développement de cette république (das. 1842‒47, 2 Bde., bis 1532 reichend; mit der Fortsetzung von Gaullieur bis 1856, das. 1856); Roget, Histoire du peuple de Genève depuis la réforme (das. 1870‒83, 7 Bde.); Galiffe, Quelques pages d’histoire de Genève (das. 1863); Derselbe, Genève historique et archéologique (das. 1872); Pictet de Sergy, Genève ressuscitée le 31 déc. 1813 (das. 1869); Blavignac, Études sur Genève depuis l’antiquité jusqu’à nos jours (das. 1872, 2 Bde.); Le Fort, L’émancipation politique de Genève (das. 1883); Cherbuliez, Genève, ses institutions, ses mœurs, etc. (das. 1868); Marc Monnier, Genève et ses poètes (das. 1875); Montet, Dictionnaire des Genévois et des Vaudois, etc. (Lausanne 1878, 2 Bde.).

Genfer Konferenz, internationale Versammlung, welche infolge der Anregungen von Palasciano in Neapel, Arrault in Paris und namentlich von Heinrich Dumont ^[gemeint ist Henri Dunant] in Genf auf Einladung der Genfer gemeinnützigen Gesellschaft (Präsident Moynier) 26. Okt. 1863 in Genf zusammentrat und den Beschluß faßte, auf Bildung von nationalen Vereinen in den einzelnen Ländern zum Zweck der Pflege der verwundeten und erkrankten Soldaten im Krieg (Rotes Kreuz, Vereine vom Roten Kreuz, internationale Vereine zur Pflege im Feld verwundeter und erkrankter Krieger; s. die betreffenden Artikel) hinzuwirken. Außerdem wurde in dieser Versammlung der Grund gelegt zur Genfer Konvention, indem man beschloß, über die Gewährung der Neutralität gewisse Wünsche an die Regierungen zu richten. (Vgl. Genfer Konvention.) Die Versammlung vom 26. Okt. 1863 trug einen lediglich privaten Charakter. G. K. heißt auch derjenige internationale Kongreß von Vertretern der Vereine vom Roten Kreuz, bez. von einzelnen Vertretern der der Genfer Konvention beigetretenen Regierungen, welche 1.‒6. Sept. 1884 in Genf stattgefunden hat. (Vgl. Rotes Kreuz, internationale Konferenzen)

Genfer Konvention, völkerrechtlicher, internationaler Vertrag, durch welchen der Schutz der Verwundeten, der bisher immer nur für den einzelnen Fall auf die Dauer eines Kriegs oder bestimmten Zeitraums von den betreffenden kriegführenden Staaten unter sich als verbindlich anerkannt worden war, durch einen gemeinsamen Vertrag aller Staaten für alle Zeiten gesetzlich sanktioniert wurde. Infolge der Beschlüsse der Genfer Konferenz (s. d.) vom 26. Okt. 1863 erließ der Schweizer Bundesrat 6. Juli 1864 an 25 Regierungen Einladungen zur Beschickung eines diplomatischen Kongresses, dem ein aus 11 Artikeln bestehender, vom Genfer Komitee ausgearbeiteter Vertragsentwurf vorgelegt wurde. Auf diesem Kongreß waren 16 Mächte vertreten: Baden, Belgien, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Hessen-Darmstadt, Italien, die Niederlande, Portugal, Preußen, Sachsen, die Schweiz, Schweden, Spanien, die Vereinigten Staaten und Württemberg. Der vom Kongreß angenommene Vertrag bildet die