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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Genossenschaften

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Genossenschaften (Vorschuß-, Konsumvereine).

dessen Geschäfte durch einen besoldeten Anwalt (bis zu seinem Tode der Gründer des Verbandes, Schulze-Delitzsch, jetzt Reichstagsabgeordneter Friedr. Schenck in Berlin) besorgt werden. Letzterer besorgt auch die Herausgabe des statistischen "Jahresberichts". Die dem Verband angehörigen Vereine senden alljährlich zu einem allgemeinen Vereinstag Vertreter. Dieser Vereinstag ist die oberste Instanz, welche die gemeinsamen Interessen überwacht, deren Wahrnehmung bei der Gesetzgebung ebenso wie die Beratung der einzelnen Vereine bei ihrer Organisation etc. dem Anwalt übertragen ist. Zwischenglieder zwischen den einzelnen Vereinen und dem Vereinstag bilden die Unter-, Provinzial- oder Landesverbände, zur Zeit 33 an Zahl, umfassend die Vereine einzelner Provinzen und Länder oder auch gewisser Zweige der G. (Fachverbände). Die von diesen Zwischengliedern gewählten Vorstände bilden einen engern Ausschuß und stehen dem Anwalt bei Ordnung der Finanzen des Verbandes wie in allen andern wichtigen Angelegenheiten zur Seite. Als Verbandsorgan in der Presse dient die von Schulze-Delitzsch gegründete Wochenschrift "Blätter für Genossenschaftswesen" (früher "Innung der Zukunft", Leipz. 1866 ff., jetzt redigiert von Schenck). Die von Verbandsvereinen 1864 mit 9 Mill. Mk. Aktienkapital gegründete Deutsche Genossenschaftsbank von Sörgel, Parrisius u. Komp. in Berlin und ihre Kommandite in Frankfurt a. M. vermitteln den G. die Großbankverbindung und den Giroverkehr.

[Vorschußvereine.] Die in Deutschland am meisten vertretenen G. sind die Kreditgenossenschaften (Vorschuß- und Kreditvereine, Volks- und Gewerbebanken), deren erste als Vorschußverein 1850 von Schulze-Delitzsch zu Delitzsch in der Provinz Sachsen gegründet wurde. Über die Entwickelung der G. bieten folgende Zahlen, auch wenn sich dieselben nur auf die Vereine beziehen, die der Anwaltschaft ihre Geschäftsabschlüsse einreichten, doch ein zuverlässiges Bild:

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Rechnungsjahr Zahl der Vereine Mitgliederzahl Gewährte Vorschüsse u. Prolongationen Eigner Fonds Auf Kredit entnommen Dem Anwalt bekannte Vereine

in Millionen Mark

1859 80 18676 12 0,8 3,0 190

1860 133 31603 25 1,6 7,2 257

1865 498 169595 203 14,5 52,9 961

1870 740 314656 623 43,9 138,0 1871

1875 815 418251 1496 91,9 330,2 2764

1880 906 460656 1447 118,4 364,5 1895 <sup>1</sup>

1884 879 451779 1517 126,5 393,2 1965

<sup>1</sup> Seit 1879 ausschließlich Deutsch-Österreichs.

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Diese G., welche den Raiffeisenschen Darlehnskassen in ihren Zielen sehr nahe stehen und nur in den Verwaltungsformen sich wesentlich unterscheiden, wollen das Kreditbedürfnis ihrer Mitglieder, welche als einzelne Personen an sich nur geringen Kredit genießen, durch Vereinigung der gesamten Einzelkredite in einen durch die Solidarhaft ihrer Mitglieder wesentlich erhöhten, somit die Beschaffung fremder Kapitalien erleichternden Gesamtkredit und durch Gewährung von verzinslichen Vorschüssen an ihre Mitglieder befriedigen. Als Mittel des Geschäftsbetriebes dienen die eingezahlten Geschäftsanteile, die aus Eintrittsgeldern und Gewinnanteilen angesammelten Reserven und die Anlehen. Ein regelmäßiger Geschäftsgang wird gesichert durch Vorsicht bei der Kreditgewährung (nur für kurze Zeit und produktive Zwecke unter sichernder Bürgschaft), durch richtige Bemessung der Fristen für Kündigung des geliehenen Kapitals, der Mitgliedschaft und für Auszahlung von Geschäftsanteilen. Diese G. können insbesondere auch dadurch einen guten Einfluß ausüben, daß sie zur Kapitalbildung und zur Sparsamkeit anregen.

[Konsumvereine.] Die Konsumvereine (Lebensbedürfnisvereine), welchen Mitglieder der verschiedensten Berufsstellungen angehören können, kaufen Waren, insbesondere Lebensmittel, im großen ein und geben sie an die Mitglieder (manche Vereine auch an Nichtmitglieder) zumeist mit mäßigem Aufschlag, in seltenen Fällen zu den Selbstkosten ab. Am Schluß des Geschäftsjahrs wird der Geschäftsgewinn nach Verhältnis der Einlagen oder des Jahreskonsums als Gewinnanteil verteilt oder gutgeschrieben. Das nötige Geschäftskapital wird durch Geschäftsanteile und Eintrittsgelder beschafft, ausnahmsweise auch durch Anlehen, bez. Warenkauf auf Kredit. Der Verkauf soll nur gegen Barzahlung erfolgen. Einzelne Vereine sind nur Markenvereine (Markenkonsumvereine), welche mit Geschäftsleuten Verträge dahin abschließen, daß ihre Mitglieder, welche sich durch vom Verein ausgestellte Marken zu legitimieren haben, bei Entnahme von Waren Rabatt erhalten. Dieselben kommen, nachdem manche derselben wenig günstige Erfahrungen gemacht haben (schlechtere Behandlung, geringere Warenqualität), heute nur noch selten vor. Dagegen bestehen solche Markenverträge bei vielen Konsumvereinen, welche eigne Warenlager halten, für solche Lebensbedürfnisse, die in diesen Lagern nicht vorrätig sind. Die Konsumvereine wollen nicht allein billige, sondern auch unverfälschte Waren liefern, durch Zwang zur Barzahlung vom Kreditnehmen und seinen Folgen loslösen und das Ansammeln von Ersparnissen erleichtern. Dagegen haben manche derselben mit dem Übelstand zu kämpfen, daß sie nicht das jeden Vorteil ausnutzende Interesse des Geschäftsmanns bethätigen können, insbesondere wenn sie sich nicht einer sehr tüchtigen und opferwilligen Leitung erfreuen. Außerdem hält die Solidarhaft leicht kaufkräftige Mitglieder fern. Eine wohlthätige Wirkung üben die Konsumvereine besonders bei mangelnder Konkurrenz aus (Fabriken, Bergwerke mit zahlreichen Arbeitern in verkehrsarmen Gegenden). Verkaufen Konsumvereine auch Waren an Nichtmitglieder, so sind sie auch als gewerbesteuerpflichtig anzusehen. Vgl. Pfeiffer, Die Konsumvereine, ihr Wesen und ihr Wirken (2. Aufl., Stuttg. 1869); Schneider, Taschenbuch für Konsumvereine; Anweisung zu deren Gründung und Einrichtung (Leipz. 1883). Die Entwickelung der Konsumvereine veranschaulicht nachstehende Übersicht:

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Jahr Dem Anwalt bekannte Vereine Vereine, von denen Abschlüsse vorlagen Zahl der Mitglieder Verkaufserlös Geschäftsanteile Anlehen

in Millionen Mark

1864 97 38 7709 0,8 0,06 0,05

1870 739 111 45761 9,0 0,82 0,55

1878 1052 202 109515 28,6 2,93 2,81

1881 660 <sup>1</sup> 185 116510 32,8 3,09 2,93

1883 675 172 110433 32,7 3,07 3,11

1884 678 164 117278 34,6 2,85 2,24

<sup>1</sup> Seit 1879 ausschließlich Deutsch-Österreichs.

Die Zahl der der Anwaltschaft bekannten Kreditgenossenschaften und Konsumvereine betrug 1884: 1956, welche sich auf die einzelnen Provinzen des Königreichs Preußen und die übrigen Staaten des Deutschen Reichs wie folgt verteilten: