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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Gerste

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Gerste (Kultur).

mit längern Grannen als die vorige, wächst überall an Mauern, Zäunen, Ställen etc., wird von Schafen gefressen. Die Wiesengerste (H. pratense Sm., H. nodosum L.) ist perennierend, 45-80 cm hoch, mit tief grasgrünen, flachen Blättern, etwa 2,5 cm langen Ähren und wimperlosen Blütchen, wächst auf guten, frischen Wiesen, ist gutes, nahrhaftes Futter- und Weidegras und verkündet, wo sie vorkommt, reichen Graswuchs. Zur Ansaat eignet sie sich nur in starker Mischung mit andern Gräsern in feuchtem Klima und auf gutem, etwas bindigem Boden.

Die Kulturgersten gedeihen am besten in mildem Kalkmergelboden, dessen Obergrund sich leicht erwärmt, hinlängliche Bindigkeit besitzt, lange die Frische bewahrt und auf einem Mergelgrund liegt, den die tief gehende Wurzel leicht durchdringt. Auch milder Lehm, der frei von stagnierenden Tag- und Grundwässern ist, sagt der G. zu. Man läßt die G. am besten in der Wechselwirtschaft auf eine gedüngte Hackfrucht folgen. Wegen der Niedrigkeit des Halms vermag sie sich von allen Getreidearten am wenigsten gegen Unkraut zu schützen und verlangt daher ein gut gereinigtes Erdreich. Daher würde ihr auch frischer Dung nachteilig sein, welcher überdies Doppelwüchsigkeit oder Lagerung befürchten läßt. Bei der kurzen Vegetationszeit der G. (vierzeilige 12-14, sechszeilige 16-18 Wochen) gedeiht sie auch noch in mäßig warmem Sommer und hoch im Norden. Aber auch im Süden, in Kleinasien und den Kaukasusländern gibt sie reiche Erträge. Da die Sommergersten bei uns vorzugsweise zur Bierbereitung und zu Graupen verwendet werden, so hat man nicht nur auf die Größe der Ernten, sondern auch auf die Tauglichkeit zur Malzbereitung besondere Rücksicht zu nehmen. Die Wintergerste (vierzeilige, kleine gemeine, Sandgerste, Fig. 1) wird in Norddeutschland und Schweden am häufigsten (als Sommer- und Winterfrucht) gebaut, verträgt weniger bindiges Erdreich als die zweizeilige, ist aber sehr empfindlich gegen Nachtfröste und wird daher sehr spät gesäet. Man unterscheidet vier Varietäten: Wintergerste, Perl-, Bärengerste, Rettema, mit stets beschalten, gelben oder schwarzen (Rußgerste) Körnern, wird besonders in Nordwestdeutschland und am Rhein gebaut, bestockt sich sehr schön, verträgt den geilsten Boden, lagert sich nicht leicht, gibt höhere Erträge als die kleine G. als Sommerfrucht und reichliches, kräftiges Stroh und wird gleich nach dem Einbringen des Heus geerntet (daher Rettema, "rette den Mann", nämlich durch zeitiges Brot bei hohen Fruchtpreisen). Das Korn ist sehr kleberreich, daher zu Brot und Graupen, aber nicht zur Bierbereitung geeignet. Man baut sie meist nach Raps oder Hackfrucht und säet sehr früh, damit die Bestockung vor Winter beendigt sei. Das Korn wiegt nicht sehr schwer. Die Sommergerste mit beschalten Körnern (kleine, vierzeilige, gemeine, Sand-, Spät-, Zeilen-, Bärengerste), in Norddeutschland die gemeinste Art, gibt noch im guten Mittelboden der Sandregion Erträge, wird in Norwegen noch unter 70° nördl. Br. (Altengard) gebaut, ist leichter als zweizeilige G. und verbraut sich auch nicht so gut wie diese, es sei denn, daß man mit frischer G. malzen müßte. Die Himmelsgerste (Sommergerste mit nackten Körnern, Himalajagerste, ägyptisches Korn, Russen-, Jerusalemsgerste [zum Teil], Griesgerste, walachische G., Davidskorn) verlangt besonders guten, kräftigen Boden, bestockt sich besser, ist gegen Fröste weniger empfindlich, im Halm kräftiger als die vorige und gibt auf kräftigem Boden ebenso gute Ernten wie die zweizeilige G., eignet sich trefflich zur Graupen-, Gries- und Mehlbereitung, aber nicht zum Malzen, unterliegt sehr stark dem Sperlingsfraß und fällt leicht aus. Sehr ähnlich ist ihr die Löffelgerste (H. trifurcatum, Fig. 5), deren Korn statt der Grannen drei in Form einer Gabel abstehende, kleine, spelzenartige, hohle Schuppen trägt; dieselbe wird kaum angebaut. Die sechszeilige G. (Stock-, Roll-, Kiel-, Rot-, Bärengerste, Fig. 2) wird seit etwa 300 Jahren in Deutschland gebaut (nur als Sommerfrucht), hat aber niemals allgemeinere Verbreitung gefunden. Sie geht leicht auf, bestockt sich schön, widersteht gut dem Unkraut, lagert sich weniger leicht, leidet nicht leicht vom Rost und ist in den Ähren sehr ergiebig. Da aber ihre Halme weitläufiger stehen, bringt sie doch keine reichere Ernte als die kleine G. und weniger Stroh. Die Körner malzen zwar gut, sind aber wegen der dicken Spelzen leichter. Die zweizeilige G. (große, Frühgerste, Fig. 3) wird in Mittel- und Süddeutschland allgemein, aber nur als Sommerfrucht angebaut, gedeiht am besten in sehr gutem Kalkmergelboden, aber auch noch vortrefflich in kräftigem Lehmboden der Thon- und Sandkonstitution. Die gemeine lange G. (große, Ziel-, Zeil-, März-, Frühgerste, H. distichon nutans) verlangt einen reinen, sorgsam bestellten Boden, wird frühzeitig gesäet und bestockt sich stark, eignet sich trefflich zur Malzbereitung. Die kurze G. (Stauden-, Platt-, Spiegel-, Hainfelder G., H. distichon erectum, Fig. 4) hat manche Vorzüge vor der vorigen; doch ist das Stroh etwas geringer, der Ausdrusch schwerer, auch keimt sie schneller beim Malzen und darf daher mit der vorigen nicht gemischt werden. Die Brauer ziehen deshalb jene vor. Die zweizeilige, nackte G. (Himmels-, Himalaja-, Kaffeegerste) wird wie die gemeine zweizeilige G. kultiviert, verlangt aber ausgesprochen kräftigen Gerstenboden, gibt geringern Ertrag als jene, aber ungemein schwere Körner. Ihre Verwertung ist beschränkt, und deshalb kommt sie nicht in allgemeinere Kultur. Die Fächergerste (Pfauen-, Bart-, Wucher-, Riemen-, türkische, Peters-, Dinkel-, Jerusalemer G. [zum Teil], Hammelkorn, Fig. 6) bestockt sich ungemein stark, keimt schneller als gemeine G., hat steife Halme, wird selten vom Rost befallen, widersteht auch der ungünstigen Witterung, fällt nicht aus, ist vor Sperlingsfraß geschützt, vorzüglich zum Malzen geeignet, gibt aber nur im ausgesprochenen Gerstenboden bedeutende Erträge, hat härteres Stroh, drischt sich schwerer und muß beim Malzen auch von der gemeinen G. getrennt werden. Sie wird deshalb nicht sehr häufig angebaut. Wahrscheinlich ist dies die Mutterform des H. distichon erectum.

Über Aussaat, Ertrag etc. belehrt die nachstehende Tabelle:

Gerste Aussaat auf 1 Hektar Ertrag von 1 Hektar Keimfähigkeit Vegetationsperiode 1 Scheffel wiegt

breitwürfig Scheffel Kilogr. gedrillt Scheffel Kilogr. Körner Scheffel Stroh Kilogr. Jahre Wochen Kilogr.

Zweizeilige 4,7-5,8 153-192 4,3-5,4 137-170 43-69 1566-2740 2 16-18 31,85

Vierzeilige 5,4-6,5 157-192 4,7-5,8 141-170 34-60 1175-2350 2 12-14 29,12

Wintergerste 4,7-5,8 137-168 4,3-5,4 125-157 69-103 1958-2937 2 40-44 29,12