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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Gerwig - Gesandte.

und besonders seine publizistische Thätigkeit zur Entwickelung des nationalen Bewußtseins unendlich viel beigetragen hat. Aus seinem Nachlaß gab G.' Witwe "Händels Oratorientexte, übersetzt von G." (Leipz. 1873) heraus. Vgl. Lehmann, G., Versuch einer Charakteristik (Hamb. 1871); Gosche, G. (Leipz. 1871); "Briefwechsel zwischen Jakob und Wilh. Grimm, Dahlmann und G." (hrsg. von Ippel, Berl. 1885).

Gerwig, Robert, Eisenbahningenieur, geb. 2. Mai 1820 zu Karlsruhe, wo er an dem Lyceum und der polytechnischen Schule seine Ausbildung empfing, ward seit 1840 bei der Oberdirektion des Wasser- und Straßenbaues beschäftigt, 1846 zum Ingenieur bei diesem Kollegium ernannt und 1847 zum Assessor, 1853 zum Baurat, 1863 zum Oberbaurat und 1871 zum Baudirektor befördert. 1863-64 gab G. mit dem württembergischen Oberbaurat v. Beckh ein Gutachten über die Gotthardbahn und fast gleichzeitig mit dem Präsidenten der württembergischen Eisenbahnkommission, v. Klein, ein solches über die Lukmanierbahn ab und gehörte zu den badischen Bevollmächtigten der internationalen Gotthardkonferenz in Bern. Hierauf mit der Projektierung der Verbindungsbahn Hausach-Villingen, der sogen. Schwarzwaldbahn, beauftragt, legte er 1868 den ausgearbeiteten Bauplan vor und führte diese kühne Gebirgsbahn, welche auf einer Länge von 52 km 596 m steigt und neben andern Kunstbauten 38 Tunnels enthält, bis 1872 zu solcher Zufriedenheit aus, daß ihm in diesem Jahr die Bauleitung der Gotthardbahn einschließlich des 14,8 km langen Tunnels angeboten und von ihm als Oberingenieur übernommen wurde. Als aber Meinungsverschiedenheiten zwischen dem schweizerischen Staatsmann Escher und dem Bauunternehmer Favre in Verbindung mit finanziellen Schwierigkeiten seine Wirksamkeit lähmten, legte G. 1876 jene Stelle nieder, um die technische Leitung des gesamten badischen Eisenbahnwesens zu übernehmen. Er war Mitglied des badischen Landtags und seit 1875 des deutschen Reichstags, wo er der nationalliberalen Partei angehörte; starb 6. Dez. 1885 in Karlsruhe.

Geryon (Geryones, Geryoneus), fabelhafter König der Insel Erytheia im äußersten Westen des Okeanos, Sohn des Chrysaor und der Kallirrhoë, war aus drei Körpern zusammengesetzt, die nur in der Gegend des Bauches zusammengewachsen waren, und besaß große Herden roter Rinder, welche sein Hirt Eurytion in Begleitung des zweiköpfigen Hundes Orthros weidete. Der Raub dieser Rinder bildet eine der zwölf Arbeiten des Herakles (s. d.).

Gês, Volksstamm, s. Brasilien.

Ges (ital. Sol bemolle, franz. Sol bémol, engl. G flat), das durch ^ erniedrigte G. Der Ges dur-Akkord = ges b des, der Ges moll-Akkord = ges heses des. Über die Ges dur-Tonart, 6 ^ vorgezeichnet, s. Tonart.

Gesalbter (hebr. Maschiach, aram. Messias, griech. Christos), ein durch feierliche Salbung in sein Amt eingeweihter Priester, Prophet oder König. S. Christus.

Gesamte Hand, s. Lehnswesen.

Gesamteigentum, Bezeichnung für gewisse deutsch-nationale Eigentumsverhältnisse und zwar für das gemeinschaftliche Eigentum einer genossenschaftlich zusammengefaßten Mehrheit von Eigentümern, z. B. der Markgenossenschaften, der Gewerkschaften etc. Der Begriff ist jedoch ein bestrittener, indem derselbe im wesentlichen mit dem römisch-rechtlichen Begriff des Eigentums einer juristischen Person zusammenfällt; jedenfalls ist er heutzutage ohne praktische Bedeutung. Vgl. Duncker, Das G. (Marb. 1843).

Gesamtregierung, die ungeteilte Herrschaft mehrerer Personen über ein und dasselbe Gebiet. Der Umstand, daß bei den deutschen Dynastengeschlechtern der Grundsatz der Primogeniturerbfolge verhältnismäßig spät zur Geltung gelangte, wonach immer der Erstgeborne der Linie des Erstgebornen zur Regierung kommt, erklärt es, daß eine solche G. im frühern deutschen Staatsleben nichts allzu Seltenes war. Namentlich in der Form des Gesamtlehens kommt die G. vor, doch schritten die Mitregenten vielfach zur wirklichen Teilung von Land und Leuten, wie z. B. die Söhne Ernsts des Frommen von Sachsen. In neuerer Zeit kam ein eigentümlicher Fall der Gesamtregierung infolge des deutsch-dänischen Kriegs von 1864 vor, indem Österreich und Preußen die Elbherzogtümer in eine G. (Kondominat) nahmen. Die Gasteiner Konvention vom 14. Aug. 1865 überwies die Verwaltung von Holstein an Österreich und diejenige von Schleswig an Preußen, ohne jedoch die G. selbst zu beseitigen, was erst durch die Einverleibung der beiden Herzogtümer in die preußische Monarchie infolge des Prager Friedens geschah. Auch das Verhältnis der verbündeten deutschen Regierungen zu dem Reichsland Elsaß-Lothringen hat man wohl zuweilen als G. aufgefaßt, doch wird dort die Staatsgewalt von dem Kaiser allein ausgeübt.

Gesamtschuldner, s. v. w. Gemeinschuldner (s. Konkurs).

Gesamtstimme, zur Zeit des deutschen Bundestags s. v. w. Kuriatstimme (s. d.).

Gesandte, diejenigen Personen, welche zur Unterhaltung des völkerrechtlichen Verkehrs von einem Staat an einen andern gesendet werden. Sie werden notwendig, sobald Staaten in friedlichen Verkehr treten. Das frühere Altertum hatte keine ständigen diplomatischen Verbindungen. Die Athener wählten ihre Gesandten (presbeis, "Alte") durch Stimmenmehrheit, gaben ihnen bestimmte Vollmachten und ließen sich in der Regel nach vollbrachtem Geschäft Rechenschaft von ihnen ablegen. Die Legati oratores der Römer standen unter der speziellen Aufsicht des Senats. G. auswärtiger Könige oder Staaten mußten sich bei den Praefecti aerarii im Saturnustempel melden. Sie erhielten freie Wohnung, standesmäßige Verpflegung und Plätze im Zirkus und im Theater neben den Rittern. Den Gesandten feindlicher Völker wurde in der Villa publica auf dem Marsfeld Wohnung angewiesen und zur Audienz der Apollo- oder der Minervatempel geöffnet. Der gesandtschaftliche Verkehr im klassischen Altertum bewegte sich durchaus in den Formen der Mündlichkeit. Solange die republikanischen und demokratischen Staatseinrichtungen in Griechenland und Rom bestanden, traten die Gesandten als Redner vor der Volksversammlung oder im Senat auf. Die Heilighaltung der Gesandten war übrigens keine Eigentümlichkeit der klassischen Welt, selbst bei den rohesten Völkern gilt sie als Grundsatz. Je mehr das europäische Staatsleben sich entwickelte, um so wichtiger wurde das Gesandtschaftswesen, zuerst in Italien, vornehmlich in Venedig; doch kannte man vor den Zeiten der Reformation nur eine Art G., nämlich die Botschafter (magni legati, oratores, ital. ambasciatóri, span. embajadóres, franz. ambassadeurs, wahrscheinlich von ambacti oder dem in der karolingischen Zeit gebrauchten envagiar). Ministerresidenten erscheinen zu Anfang des 16. Jahrh. Alle Gesandten wurden nur zu bestimmten Zwecken gesen-^[folgende Seite]