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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Geschicke; Geschiebe

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Geschicke - Geschiebe.

wickelte sich die Geschichtschreibung erst im letzten Jahrhundert der Republik zu künstlerischer Vollendung, und Sallustius, Livius und besonders Tacitus können trotz mancher Mängel ihren griechischen Vorbildern zur Seite gestellt werden. Auch in den spätern Geschichtswerken des Suetonius, Vellejus, Josephus, Ammianus, Dio Cassius u. a. sind die Nachwirkungen der Blütezeit sowohl der Form als der geschichtlichen Auffassung nach bemerkbar.

Im Mittelalter schien die historische Kunst erloschen. Nur einige Biographien, wie die Karls d. Gr. von Einhard, und Memoirenwerke (s. oben) sowie wenige universalhistorische Werke, so das des Otto von Freising, machen eine Ausnahme. Einen Aufschwung nahm die Geschichtschreibung erst wieder im humanistischen Zeitalter und zwar zunächst in Italien, wo Machiavelli grundlegend wirkte. Es entstanden nicht nur Geschichtswerke, welche ihren Stoff nach bestimmten Gesichtspunkten und Ideen behandelten, nach Wahrheit strebten und der Darstellung eine künstlerische Form zu geben versuchten, sondern es wurde auch zuerst für die gelehrte Forschung gesorgt durch Errichtung von historischen Lehrstühlen und Edition von Sammelwerken. Die verschiedenen Formen der geschichtlichen Darstellung, Annalen, Memoiren, Historien, pragmatische Geschichtswerke, endlich Universalhistorien, wurden bei den Kulturnationen, Italienern, Spaniern, Franzosen, Niederländern, Engländern und Deutschen, alle gepflegt (Genaueres bei der Litteraturgeschichte dieser Völker). Betrachtet man aber die Gesamtentwickelung der Geschichtschreibung bei den drei Hauptvölkern der neuern Zeit, so findet man wohl, daß die Franzosen auch pragmatische Geschichtschreiber, wie Montesquieu, Guizot u. a., aufzuweisen haben, aber vorzugsweise Memoiren, Biographien und rhetorische Geschichtswerke erzeugen. Bei den Engländern wird die Biographie auch sehr gepflegt; bei ihnen ist die erste größere Weltgeschichte von Guthrie und Gray entstanden; vornehmlich aber hat die englische Litteratur Meisterwerke der pragmatischen Geschichtschreibung von Hume, Robertson, Gibbon, Macaulay u. a. hervorgebracht. Deutschland dagegen hat das Höchste geleistet in der historischen Kritik, für die Niebuhr und Ranke die maßgebenden Grundsätze aufstellten, und in der Weltgeschichte, welche von Spittler, Joh. v. Müller, Herder, Heeren, Schlosser, Weber u. a. bis zum neuesten Werk von Ranke das gesamte Gebiet der G. zu beherrschen und zu verarbeiten bemüht ist. Auch Werke, die einzelne Perioden der G. behandelten, wie die verschiedenen Werke von Ranke, die G. der Revolution von v. Sybel, die deutsche G. von Häusser u. a., stellen sich auf einen universalhistorischen Standpunkt, und es ist nicht zufällig, daß, während von den deutschen Geschichtsforschern die G. aller Zeiten und Völker durchwühlt und bearbeitet wird, es an einer würdigen G. des deutschen Volkes bis jetzt fehlt.

Vgl. Bolingbroke, Letters on the study and use of history (Lond. 1751, 2 Bde.; deutsch, Leipz. 1794); Mably, De la manière d'écrire l'histoire (Par. 1783; deutsch, Straßb. 1784); Rühs, Entwurf einer Propädeutik des historischen Studiums (Berl. 1811); Wachsmuth, Entwurf einer Theorie der G. (Halle 1820); W. v. Humboldt, Über die Aufgabe des Geschichtschreibers (Berl. 1822); M. Duncker, De historia ejusque tractandae varia ratione (das. 1834); Gervinus, Grundzüge der Historik (Leipz. 1837); v. Sybel, Über die Gesetze des historischen Wissens (Bonn 1864); Trächsel, Über das Wesen und Gesetz der G. (Bern 1857); J. G. ^[Johann Gustav] Droysen, Grundriß der Historik (3. Aufl., Leipz. 1882); Freeman, The methods of historical study (Lond. 1886); Lazarus, Über die Ideen in der G. (Berl. 1865); Derselbe, G. als Erziehung des Menschengeschlechts (das. 1866); Jodl, Die Kulturgeschichtschreibung, ihre Entwickelung und ihr Problem (Halle 1878); Flint, The philosophy of history in France and Germany (Lond. 1874); R. Mayr, Die philosophische Geschichtsauffassung der Neuzeit (Wien 1877); R. Rocholl, Die Philosophie der G. (Götting. 1878); Biedermann, Philosophie der G. (Prag 1884); Wachler, G. der historischen Forschung und Kunst seit der Wiederherstellung der litterarischen Kultur in Europa (Götting. 1812-20, 2 Bde.); Wegele, G. der deutschen Historiographie (Münch. 1885); Scherrer, Übersicht der vaterländischen deutschen Geschichtschreibung (Heidelb. 1886). - Von periodischen Werken und Zeitschriften für allgemeine G. sind zu nennen: "Historisches Taschenbuch" (hrsg. von Raumer, Leipz. 1830 ff., seit 1870 von Riehl, seit 1880 von Maurenbrecher); "Allgemeine Zeitschrift für G." (hrsg. von A. Schmidt, Berl. 1844-48); "Historische Zeitschrift" (hrsg. von v. Sybel, Münch. 1859 ff., mit reichhaltigem Litteraturbericht); "Zeitschrift für allgemeine G., Kultur-, Litteratur- und Kunstgeschichte" (hrsg. von v. Zwiedineck-Südenhorst, Stuttg. 1884 ff.); "Forschungen zur deutschen G." (hrsg. von der Historischen Kommission der bayrischen Akademie der Wissenschaften, Götting. 1859 ff.); "Historisches Jahrbuch" (hrsg. von der Görres-Gesellschaft, Münster 1880 ff.); für Frankreich die "Revue historique" (seit 1876) und die "Revue des questions historiques" (seit 1867); für Italien die "Rivista storica italiana" (seit 1884); für Spanien die "Revista histórica" und die "Revista de ciencias históricas"; für Dänemark die "Historisk Tidsskrift". Eine Übersicht über die gesamte Geschichtsforschung geben die "Jahresberichte der Geschichtswissenschaft" (hrsg. von der Historischen Gesellschaft in Berlin, seit 1878); eine Bibliographie die "Bibliotheca historica" (Götting. 1862-82, halbjährlich).

Geschicke, die durch den Bergbaubetrieb zu gewinnenden Fossilien. Man redet von schlechten und guten Geschicken, insofern die Lagerung und die Art des Vorkommens dieser Fossilien deren Gewinnung schwieriger oder leichter machen; von edlen und groben Geschicken, je nachdem die Erze Gold und Silber enthalten oder nicht.

Geschiebe, Gesteinstrümmer, welche die Gewalt des Wassers in Bächen und Flüssen vorwärts bewegt und fortführt. So werden dergleichen Trümmer von Gletschern aus den höher gelegenen Gegenden in die tiefern getragen und geschoben; so zerstört die Brandung an der Küste das Gestein und bewegt (rollt oder schiebt) auch den Schutt. Nur auf der Höhe der Gletscher vermag der Gebirgsschutt seine ursprünglichen Kanten und Ecken zu erhalten; in allen übrigen Fällen rundet er sich dagegen mehr und mehr durch gegenseitige Abreibung und durch die Reibung an den Wänden des Strombettes ab und wird dadurch zu gröberm Gerölle, zu Kies, Grand und Sand oder, wie es in Österreich heißt, zu Schotter. Die ursprüngliche Gestalt der Bruchstücke und die Größe der Abreibung bestimmen die Gestalt der G. und Gerölle, die zuletzt kugelig, ellipsoidisch oder scheibenförmig erscheint. Nach der Art des Transports unterscheidet man Fluß-, Strand- und Gletschergeschiebe und -Gerölle; letztere sind kenntlich durch Längsritze, mit denen sie gleichsam schraffiert sind (s. Gletscher). Zu den auffallendsten Formen