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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Gesichtsschwindel; Gesichtssinn; Gesichtstäuschungen

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Gesichtsschwindel - Gesichtstäuschungen.

teils als ein anhaltender dumpfer Schmerz, teils als Schmerzanfall dar. Die Anfälle sind furchtbar quälend, die Schmerzen schießen blitzschnell auf und ab, brechen nach kurzen Intervallen ab, um sofort in gleicher Heftigkeit wiederzukehren. Die Anfälle treten teils von selbst und ganz unregelmäßig, teils bei gewissen Veranlassungen, besonders beim Sprechen, Niesen, Gähnen, Schnäuzen etc., auf. Während des Anfalles wird das Gesicht gerötet, und die Haut desselben fühlt sich heißer an; die Schlagadern klopfen heftiger. Der Verlauf ist ein sehr langwieriger, so peinigend, daß hin und wieder die unglücklichen Kranken in schwere Melancholie verfallen, und sogar zum Selbstmord hat sich der eine oder andre Kranke durch die furchtbaren Schmerzen verleiten lassen. Was die Behandlung des Gesichtsschmerzes anbelangt, so wird zunächst die Beseitigung der Ursachen desselben angestrebt werden müssen, welche freilich nur in seltenen Fällen gelingen wird. Sehr häufig lassen sich Patienten, welche glauben, daß ihr G. von einem vorhandenen hohlen Zahn hervorgerufen sei, diesen Zahn ausziehen in der Hoffnung, der G. werde damit verschwinden. Indessen wird diese Hoffnung recht oft arg getäuscht; der Patient läßt sich einen Zahn nach dem andern, mag er krank oder gesund sein, ausreißen, aber der G. bleibt ungebessert zurück. Wenn der G. durch Erkältung entstanden ist, so wird man durch warme Einwickelungen, warme Vollbäder, Schwitzkuren etc. das Übel zu bekämpfen suchen. Auch kleine Blasenpflaster, welche man auf die schmerzenden Hautstellen in der Art anbringt, daß jeden Tag eine neue Stelle mit einem solchen Blasenpflaster bedeckt wird, während man die vorher gereizten Hautstellen ausheilen läßt, werden gegen frische Fälle von G. als erfolgreich gerühmt. Wenn dem G. ein Wechselfieber zu Grunde liegt, so schwindet mit der Besserung dieses Hauptleidens durch Chinin auch der G. Etwa vorliegende Störungen der Körperkonstitution wird man nach ihrer Art zu beseitigen suchen müssen, so die Blutarmut durch Eisenpräparate, andre allgemeine Leiden durch umstimmende Brunnen- und Badekuren etc. Auch der Wechsel des Aufenthalts, welcher bei G. in vielen Fällen von entschieden günstiger Wirkung ist, scheint als umstimmendes Mittel zu wirken. Ferner sind Einreibungen von Veratrin- und Aconitinsalbe zu versuchen, wobei aber große Vorsicht zu beobachten ist, da diese Salben, ins Auge gebracht, heftige Bindehautentzündungen hervorrufen. In neuerer Zeit greift man bei der Behandlung des Gesichtsschmerzes gern zur Elektrizität, namentlich zum konstanten galvanischen Strom, und auf diesem Weg werden die überraschendsten Heilerfolge erzielt. In den schlimmsten Fällen von G., wo alle andern Mittel vergeblich angewendet worden sind, muß schließlich zur Operation geschritten werden. Dieselbe besteht darin, daß aus dem Nervenstamm, welcher Sitz des Schmerzes ist, ein Stück herausgeschnitten wird (Neurotomie), damit die Leitung im Nerv unterbrochen, der Schmerz also nicht empfunden werde. Die Operation ist umständlich und schwierig. Sie wird um so sicherern Erfolg haben, je näher am Gehirn der Nerv durchschnitten wird. Die Heilung ist jedoch auch bei sonst gelungener Operation zuweilen nur vorübergehend, weil die Nervenstümpfe zusammenwachsen und die Leitung wiederherstellen können. Noch schwerer wird man sich zu der gleichfalls empfohlenen Unterbindung der Arteria Carotis entschließen. Das wichtigste und einzig zuverlässige Mittel ist das Morphium, welches nicht allein symptomatisch, d. h. schmerzstillend, wirkt, sondern mitunter vollkommene, dauernde Genesung herstellt. Neuerdings ist die Nervendehnung (s. d.) mit vorübergehendem Erfolg angewandt worden.

Gesichtsschwindel, eine Form des Schwindels, welche durch die infolge der Lähmung der Augenmuskeln hervorgerufene Scheinbewegung der umgebenden Objekte veranlaßt wird. Der Kranke glaubt seine Augen in normaler Weise zu bewegen, obwohl sie seinem Willen nicht mehr folgen, und so entsteht eine schwindelerregende Unsicherheit über den Ort der eignen Person und der umgebenden Gegenstände.

Gesichtssinn, s. Gesicht, S. 235.

Gesichtstäuschungen (Augentäuschungen, Okularspektra), durch das Auge und den Sehnerv vermittelte Empfindungen, welche nicht der Wirklichkeit entsprechen. Man unterscheidet subjektive und objektive G. Erstere werden ausschließlich durch subjektive Reize angeregt und gewinnen scheinbar objektive Gestalt, während die objektiven durch einen äußern Sinnesreiz eingeleitet werden, der aber zu Empfindungen und Vorstellungen führt, die dem Reiz nicht entsprechen. Bei den subjektiven G. kann entweder das Auge oder ein bestimmter Teil des Gehirns den Reiz empfangen. Es entsteht eine Lichtempfindung in vollkommener Finsternis, wenn auf den Sehapparat mechanische, elektrische, chemische oder thermische Reize einwirken. Am bekanntesten ist das blitzähnliche Leuchten, welches bei einem Schlag oder Stoß auf das Auge wahrgenommen wird. Bei schneller Bewegung des Auges im Finstern glaubt man bisweilen eine Lichterscheinung wahrzunehmen, die so genau der Wirklichkeit entspricht, daß der geübteste Beobachter über ihre wahre Natur im Zweifel bleibt. Aber auch ohne jegliche äußere Reizung ist das dunkle Gesichtsfeld bei geschlossenen Augen niemals ganz frei von Licht- und Farbenbildern. Diese werden auch wahrgenommen, wenn die Netzhaut im Auge für Licht völlig unempfindlich geworden ist, und gestalten sich unter Umständen zu einem quälenden Leiden (Photopsie). Sie sind durch den Druck des Bluts auf die Nerven zu erklären und treten daher besonders bei Kongestionen nach dem Kopf auf. Bemächtigen sich nun abnorme Erregungszustände des Gehirns solcher G., so können sie zu Halluzinationen, Illusionen und Visionen sich gestalten. Einen Übergang zu den objektiven G. bilden die sogen. entoptischen Erscheinungen, bei denen im optischen Apparat des Auges vorhandene Gegenstände oder Veränderungen zu falschen Wahrnehmungen führen. Dahin gehören die "fliegenden Mücken" (mouches volantes), die Verzerrungen von Gegenständen durch abnorme Gestaltung der Krümmungsflächen der brechenden Medien (Metamorphopsie), die falsche Beurteilung der Größe gesehener Gegenstände infolge plötzlich eintretender Veränderungen in der Akkommodationskraft des Auges oder in der Leistungsfähigkeit der Muskeln, welche die Konvergenzstellung der Augen bewirken (Makropie, Mikropie), ferner die scheinbare Bewegung von Objekten infolge einer außerhalb des Bewußtseins sich vollziehenden Augenbewegung. Neben diesen G., welche alle mehr oder weniger auf Erkrankungen oder ungewöhnliche Reizungen des Gesichtssinns zurückzuführen sind, gibt es andre, welche aus der normalen Beschaffenheit des Organs entspringen. So täuscht uns der Augenschein andre Verhältnisse vor, als in Wirklichkeit vorhanden sind; entfernte Gegenstände erscheinen kleiner, und über die räumlichen Verhältnisse des Gesehenen belehrt uns nur die Erfahrung, wie das Kind beweist, welches nach dem Mond greift, und das Verhalten des Blindgebornen